Beschluss vom 19.04.2004 -
BVerwG 7 B 53.04ECLI:DE:BVerwG:2004:190404B7B53.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.04.2004 - 7 B 53.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:190404B7B53.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 53.04

  • VG Berlin - 20.01.2004 - AZ: VG 9 A 103.99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 120 102 € festgesetzt.

Die Klägerinnen verlangen nach dem Vermögensgesetz die Rückübertragung eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks, das nach der Flucht ihrer Rechtsvorgängerin aus der DDR im Mai 1953 entschädigungslos enteignet und im Oktober 1953 an die Beigeladene und ihren Ehemann vermietet wurde. Im Jahr 1987 erwarben die Beigeladene und ihr 1996 verstorbener Ehemann, dessen Alleinerbin sie ist, das volkseigene Eigenheim unter Verleihung eines Nutzungsrechts am Grundstück. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen stellte die Entschädigungsberechtigung der Klägerinnen fest und lehnte die Rückübertragung des Grundstückseigentums ab. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, weil die Beigeladene und ihr Ehemann das dingliche Nutzungsrecht redlich erworben hätten. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerinnen hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der behaupteten Verfahrensfehler zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Beschwerde rügt ohne Erfolg, das Verwaltungsgericht habe unter Verletzung seiner Pflicht zur Sachaufklärung die Wohnfläche des Eigenheims nicht ausreichend ermittelt. Da die Klägerinnen keinen Beweisantrag gestellt hatten, wäre die Aufklärungsrüge nur begründet, wenn sich dem Verwaltungsgericht weitere Ermittlungen zur Wohnfläche hätten aufdrängen müssen. Davon kann keine Rede sein. Die vom Verwaltungsgericht angenommenen, der Bauzeichnung vom 10. April 1950 entnommenen Wohnflächen decken sich im Wesentlichen mit den Angaben der Klägerinnen im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 10. Juni 2003. Darum ist nicht erkennbar, inwiefern das Verwaltungsgericht weitere Ermittlungen zur Wohnfläche hätte vornehmen müssen. Die Beschwerde greift in Wahrheit die Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts an, das greifbare Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die im Jahr 1953 geltende Wohnraumlenkungspraxis verneint hat, weil der damals fünfköpfigen Familie der Beigeladenen allenfalls fünf Zimmer zur Verfügung gestanden hätten. Mit derartigen Angriffen lässt sich der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht darlegen.
Unzulässig ist die Verfahrensrüge, soweit die Beschwerde eine mangelhafte Sachaufklärung darin sieht, dass das Verwaltungsgericht nicht den Behauptungen der Klägerinnen nachgegangen ist, das Haus sei vor seiner Vermietung an die Familie der Beigeladenen von einem Arzt bewohnt gewesen, die Beigeladene und ihr Ehemann hätten bereits vor Bezug des Hauses über ausreichenden Wohnraum verfügt und die in dem Haus vorhandene Wohn- und Nutzfläche hätte zwingend die Einweisung wenigstens zweier mehrköpfiger Familien erfordert. Diese Rüge entspricht nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil nicht dargelegt ist, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen in diesem Zusammenhang in Betracht gekommen wären. Davon abgesehen hat das Verwaltungsgericht keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür gesehen, dass bei der Zuweisung der Wohnung an die Beigeladene und ihren Ehemann berechtigte Interessen eines bereits vorhandenen Mieters oder anderer Bewerber verletzt worden sein könnten, die Familie der Beigeladenen vor ihrem Umzug mit ausreichendem Wohnraum versorgt gewesen sei und nach damaliger Wohnraumvergabepraxis weitere Personen in das Einfamilienhaus hätten eingewiesen werden müssen. Da das entsprechende Klagevorbringen substanzlos war, musste das Verwaltungsgericht den pauschalen Behauptungen der Klägerinnen nicht nachgehen.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst. Die für klärungsbedürftig gehaltene Frage, "ob es im Rahmen der Wohnraumlenkungsvorschriften auf dem Gebiet des ehemaligen Ost-Berlins respektive der ehemaligen DDR auf den Zeitpunkt der tatsächlichen ersten Zuweisung des Grundbesitzes ankommt oder auf den Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Erwerb des Wohnhauses ... gestellt wurde", betrifft nicht revisibles Recht und rechtfertigt darum nicht die Zulassung der Revision. Davon abgesehen bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass für die Frage des redlichen Erwerbs i.S. des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG die zum Zeitpunkt des Erwerbs geltenden Rechtsvorschriften maßgeblich sind. Die für die Annahme mangelnder Redlichkeit in Betracht kommenden Umstände müssen den Erwerbsvorgang als solchen betreffen und diesen als auf einer sittlich anstößigen Manipulation beruhend erscheinen lassen (vgl. Urteil vom 13. September 2000 - BVerwG 8 C 33.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 6 S. 22 <24 f.> m.w.N.). Da die Beigeladene und ihr Ehemann zum Erwerbszeitpunkt das Eigenheim bereits seit über 30 Jahren als Mieter bewohnten, setzte dessen Verkauf nicht voraus, dass die Vorschriften der beim Erwerb geltenden Wohnraumlenkungsverordnung erfüllt waren (vgl. § 1 des Gesetzes über den Verkauf volkseigener Eigenheime, Miteigentumsanteile und Gebäude für Erholungszwecke vom 19. Dezember 1973 <GBl DDR I S. 578>; § 2 Abs. 1 der Durchführungsbestimmung zu dem genannten Gesetz vom 19. Dezember 1973 <GBl DDR I S. 590>).
Auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, "ob es für die Wohnraumlenkungsvorschriften ausschließlich darauf ankommt, wie (die Wohnräume) in behördlichen Unterlagen, wie Bauakten oder Akten anderer mit der Wohnraumverteilung zuständiger Behörden vorhanden sind, oder auf die tatsächliche Ausgestaltung und Größe der jeweiligen Wohneinheit", rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Frage zielt auf die (Hilfs-)Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass es für die Frage einer Überversorgung auf die Angaben zur Erfassung des Wohnraums im Wohnungsfonds ankomme, der das Eigenheim mit 2 1/2 Zimmern ausweise. Sie wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, da das angegriffene Urteil selbständig von der Annahme des Verwaltungsgerichts getragen wird, dass die fünf-
köpfige Familie der Beigeladenen bei Vorhandensein von fünf Zimmern nicht überversorgt gewesen sei.
Die weitere Frage, "ob und inwieweit Verstöße gegen Wohnraumlenkungsvorschriften, wie sie Anfang der 50er Jahre auf dem Gebiet von Ost-Berlin und der ehemaligen DDR bestanden und Geltung beanspruchten, Einfluss auf die Frage (haben), ob und inwieweit Verstöße gegen diesbezügliche Vorschriften die Redlichkeit bzw. Unredlichkeit eines Erwerbs von Grundbesitz gemäß § 4 Abs. 3 VermG indizieren", ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich geklärt. Hiernach fehlt es am erforderlichen Bezug zu dem Erwerbsvorgang, wenn sich eine Manipulation auf Umstände bezieht, die zwar bei einer bloßen Kausalitätsbetrachtung ursächlich für die sich später eröffnende Erwerbschance gewesen sind, denen aber keinerlei "Ausstrahlungswirkung" auf den späteren Erwerb mehr zukommt (Urteil vom 13. September 2000 a.a.O.). Unter welchen Voraussetzungen eine Ausstrahlungswirkung im konkreten Fall anzunehmen ist, ist unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände zu beurteilen und darum keiner grundsätzlichen Klärung im Revisionsverfahren zugänglich.
Nicht klärungsbedürftig sind auch die Fragen, die von der Beschwerde im Zusammenhang mit möglichen Rechtsmängeln der Enteignung des Grundstücks im Jahr 1953 aufgeworfen werden. Nach § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG ist ein Rechtserwerb in der Regel unredlich, wenn er nicht im Einklang mit den zum Zeitpunkt des Erwerbs in der DDR geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften, Verfahrensgrundsätzen und einer ordnungsgemäßen Verwaltungspraxis stand und der Erwerber dies wusste oder hätte wissen müssen; dabei muss die Abweichung von den genannten Maßstäben bei objektiver Betrachtung die Absicht erkennen lassen, den Erwerbsvorgang gezielt zu beeinflussen (Urteil vom 19. Januar 1995 - BVerwG 7 C 42.93 - BVerwGE 97, 286 <290>). Das Verwaltungsgericht hat keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass der Beigeladenen und ihrem Ehemann die Mängel des Enteignungsverfahrens hätten bekannt sein müssen. Schon deswegen kommt es für deren Redlichkeit beim Erwerb nicht darauf an, ob die Enteignung die behaupteten Rechtsmängel aufwies.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.