Beschluss vom 18.11.2003 -
BVerwG 4 VR 11.03ECLI:DE:BVerwG:2003:181103B4VR11.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.11.2003 - 4 VR 11.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:181103B4VR11.03.0]

Beschluss

BVerwG 4 VR 11.03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:

  1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2002 anzuordnen, wird abgelehnt.
  2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Antragsverfahrens als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf 25 000 € festgesetzt.

1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern erhobenen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 21. Oktober 2002 anzuordnen, ist unzulässig. Nach § 17 Abs. 6 a Satz 1 FStrG hat die Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss für den Bau einer Bundesfernstraße, für die nach dem Fernstraßenausbaugesetz vordringlicher Bedarf festgestellt ist, keine aufschiebende Wirkung. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO eröffnet zwar die Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung auf Antrag anzuordnen. Nach § 17 Abs. 6 a Satz 2 FStrG kann ein solcher Antrag aber nur innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses gestellt und begründet werden. Diese Frist ist hier seit langem abgelaufen. Treten später Tatsachen ein, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen, so kann der durch den Planfeststellungsbeschluss Beschwerte freilich nach § 17 Abs. 6 a Sätze 6 und 7 FStrG noch innerhalb eines Monats, nachdem er von den Tatsachen Kenntnis erlangt hat, einen hierauf gestützten Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO stellen. Die Antragsteller machen indes selbst nicht geltend, dass ihr Antrag die Reaktion auf inzwischen eingetretene neue Tatsachen ist.
2. Der auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Antrag lässt sich auch nicht auf § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stützen. Danach kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 VwGO getroffenen Beschlusses wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Das Vorbringen der Antragsteller bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen. Für eine veränderte Sach- oder Rechtslage ist nichts ersichtlich. Die von Anfang an anwaltlich vertretenen Antragsteller zeigen nicht auf, wieso sie außer Stande waren die Gründe, die sie nunmehr gegen den angefochtenen Planfeststellungsbeschluss ins Feld führen, bereits im ersten auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Verfahren geltend zu machen.
3. Die im Antragsschriftsatz vom 10. November 2003 erhobenen Bedenken geben dem Senat auch keine Veranlassung, den Beschluss vom 10. April 2003 in Anwendung des § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen zu ändern oder aufzuheben. Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss leidet nicht an dem Mangel, der ihm nach Ansicht der Antragsteller anhaftet.
Nach § 17 Abs. 5 FStrG stellt die oberste Landesstraßenbaubehörde den Plan für den Bau oder die Änderung einer Bundesfernstraße fest. Aus § 22 Abs. 4 FStrG ergibt sich, dass die Länder die zuständigen Behörden festlegen und die Zuständigkeiten delegieren können. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass nach Art. 90 Abs. 2 GG die Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften die Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs im Auftrage des Bundes verwalten. Nach Art. 85 Abs. 1 GG ist es grundsätzlich Sache der Länder, die die Auftragsverwaltung aus eigener und selbstständiger Verwaltungskompetenz wahrnehmen (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. April 1977 - BVerwG 4 C 3.74 - BVerwGE 52, 226 und vom 28. August 2003 - BVerwG 4 C 9.02 - zur Veröffentlichung bestimmt), die zuständigen Behörden zu bestimmen. Die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Behörden einzurichten und mit Zuständigkeiten auszustatten, ist ihrer Organisationsgewalt vorbehalten. Welcher rechtlichen Instrumente sie sich hierbei zu bedienen haben, richtet sich nach dem Landesorganisationsrecht.
Das Land Niedersachsen hat von der ihm in § 22 Abs. 4 Satz 2 FStrG freigestellten Möglichkeit der Delegation Gebrauch gemacht und die Zuständigkeit der obersten Straßenbaubehörde (Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr) auf nachgeordnete Behörden übertragen. Nach Abschnitt B 1 e des Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr vom 22. Februar 1994 (NdsMBl S. 367) sind die Bezirksregierungen zuständig für Planfeststellungen nach § 17 Abs. 1 FStrG. Diese Zuständigkeitsbestimmung genügt den rechtlichen Anforderungen. Entgegen der Auffassung der Antragsteller bedurfte es hierfür keiner gesetzlichen Regelung.
Artikel 41 der Niedersächsischen Verfassung vom 19. Mai 1993 rechtfertigt keine gegenteiligen Schlüsse. Danach bedürfen allgemein verbindliche Vorschriften der Staatsgewalt, durch die Rechte oder Pflichten begründet, geändert oder aufgehoben werden, der Form des Gesetzes. Die Bestimmung der für Planfeststellungen zuständigen Behörde ist keine "allgemein verbindliche Vorschrift" im Sinne dieser Verfassungsnorm. Dadurch, dass die Bezirksregierungen für zuständig erklärt werden, werden keine Rechte oder Pflichten im Sinne des Art. 41 LV begründet. Derartige Wirkungen erzeugt erst der Planfeststellungsbeschluss, der insoweit seine notwendige gesetzliche Grundlage in § 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG i.V.m. § 75 VwVfG findet. Artikel 41 LV stimmt der Sache nach mit Art. 32 der vorläufigen Niedersächsischen Verfassung überein. Wie weit dieser landesverfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalt reichte, war Gegenstand lebhafter Diskussionen. Er wurde indes in der niedersächsischen Staatspraxis nicht so verstanden, dass er sich auch auf organisatorische Regelungen und Zuständigkeiten erstreckte. Nicht zuletzt die Entstehungsgeschichte der Vorschrift (Begründung zu Art. 30 des Entwurfs) wurde als Hinweis darauf gewertet, dass die Entscheidung über materielle Rechte und Pflichten, nicht aber die Entscheidungszuständigkeit der gesetzlichen Form bedarf (vgl. Elster, in: Korte/ Rebe/Elster, Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsen, 1986, S. 324; Neumann, Kommentar zur vorläufigen Niedersächsischen Verfassung, 2. Aufl. 1987, Art. 32 Rn. 4; Groschupf, Die Entwicklung der Verfassung und Verwaltung in Niedersachsen von 1956 bis 1979, JöR (N.F.) Band 28, S. 423; offen gelassen vom OVG Lüneburg, Urteil vom 12. März 1971, OVGE 27, 395). An dieser Einschätzung hat sich unter der Geltung der Verfassung vom 19. Mai 1993 nichts geändert (Hagebölling, Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung, 1996, Art. 41 Anm. 1; ebenso wenig bietet die Kommentierung des Art. 41 von Neumann in der 3. Aufl. 2000 Anhaltspunkte, die auf einen Wandel hindeuten).
Aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt sich zwar, dass alle Fragen, die wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte sind, einer gesetzlichen Regelung bedürfen (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <251> m.w.N.). Daraus lässt sich aber nicht die allgemeine Folgerung ableiten, dass auch die Bestimmung der Behördenzuständigkeiten dem Gesetz vorbehalten ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 1975 - 2 BvR 883/73 u.a. - BVerfGE 40, 237 <248 ff.>).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 20 Abs. 3 GKG.