Beschluss vom 18.09.2006 -
BVerwG 1 DB 5.06ECLI:DE:BVerwG:2006:180906B1DB5.06.0

Beschluss

BVerwG 1 DB 5.06

  • VG Freiburg i. Br. - 02.03.2006 - AZ: VG DB 10 K 17/05

In dem Verfahren hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Heeren
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des früheren Posthauptsekretärs ... wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts ... vom 2. März 2006 aufgehoben; der Antrag des Vorstands der Deutschen Post AG auf rückwirkende Entziehung des Unterhaltsbeitrags wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Beamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen hat der Bund zu tragen.

Gründe

I

1 Das Bundesdisziplinargericht hatte durch Urteil vom 12. Dezember 2000, rechtskräftig seit 6. Februar 2002, entschieden, dass der Beamte aus dem Dienst entfernt und ihm ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. seines erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt wird. Daraufhin wurde diesem vom 1. März 2002 bis einschließlich 31. August 2002 ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 1 260,03 € netto monatlich gewährt. Mit rechtskräftigen Beschlüssen des Bundesdisziplinargerichts vom 19. August 2002 und vom 5. Dezember 2003 wurde dem früheren Beamten antragsgemäß jeweils für weitere 16 und sechs Monate ein Unterhaltsbeitrag zum gesetzlichen Höchstsatz bewilligt. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht ... auf den Antrag des früheren Beamten diesem durch rechtskräftigen Beschluss vom 16. Juli 2004 bis zum 28. Februar 2005 erneut einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. seines erdienten Ruhegehalts zugesprochen. Seit dem 1. März 2005 bezieht der frühere Beamte Rente.

2 Am 27. Dezember 2005 beantragte der Vorstand der Deutschen Post AG beim Verwaltungsgericht ..., dem früheren Beamten den bewilligten Unterhaltsbeitrag rückwirkend ab dem 6. Februar 2002 zu entziehen; insgesamt seien ihm zu Unrecht 46 384,12 € gezahlt worden. Zur Begründung wird geltend gemacht, der frühere Beamte habe in seinen jeweiligen Anträgen auf Weiterbewilligung des Unterhaltsbeitrags angegeben, arbeitslos (arbeitsuchend) zu sein. Inzwischen habe sich herausgestellt, dass diese Angaben unzutreffend gewesen seien. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen ein Taxiunternehmen in ... habe das Hauptzollamt ... mitgeteilt, dass der frühere Beamte seit dem Jahr 2000 bis zum Juli 2004 bei dieser Firma als Fahrer beschäftigt gewesen sei. Sein monatlicher Verdienst habe bei etwa 1 100 € gelegen. Dies habe der frühere Beamte bei seiner strafrechtlichen Vernehmung am 19. September 2005 eingeräumt. Zur Verschleierung seines Einkommens sei sein Verdienst als 400 €-Job, der überschießende Betrag über die Lohnsteuerkarte seiner Ehefrau abgerechnet worden. Sein Einkommen habe er gegenüber der Post und den Gerichten jeweils verschwiegen und stattdessen wahrheitswidrig angegeben, ohne Beschäftigung und sonstiges Einkommen zu sein. Mangels Bedürftigkeit hätten daher die Voraussetzungen für die Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags von Anfang an nicht vorgelegen. Durch die Täuschungshandlungen habe sich der frühere Beamte zudem als unwürdig erwiesen. Deshalb könne ihm der Unterhaltsbeitrag nicht belassen werden.

3 Mit Beschluss vom 2. März 2006 hat das Verwaltungsgericht ... antragsgemäß entschieden, dass der dem früheren Beamten gerichtlich bewilligte Unterhaltsbeitrag rückwirkend ab dem 6. Februar 2002 gemäß § 110 Abs. 1 BDO, § 85 BDG entzogen wird. Der frühere Beamte sei in Wahrheit eines Unterhaltsbeitrags nicht bedürftig gewesen. Durch seine Täuschungshandlungen habe er sich nachträglich zudem als unwürdig erwiesen.

4 Hiergegen hat der frühere Beamte rechtzeitig Beschwerde eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgebracht, er sei immer ohne feste Arbeit, d.h. arbeitsuchend gewesen. Monatlich habe er ca. 400 €, seine Ehefrau ca. 600 € verdient. Ihre Belastungen hätten etwa 1 300 € betragen. Bedürftigkeit habe deshalb vorgelegen. Da er keine Rücklagen besitze, sehe er sich außer Stande, irgendetwas zurückzuzahlen.

5 Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, nach Außerkrafttreten der Bundesdisziplinarordnung dürfe eine Entscheidung zu Lasten eines früheren Beamten gemäß § 110 Abs. 1 BDO nicht mehr getroffen werden. Es handele sich um kein Annex-Verfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

II

6 Die Beschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist rechtswidrig und verletzt den früheren Beamten in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben. Das Verwaltungsgericht war nicht befugt, auf Antrag des Vorstands der Deutschen Post AG dem früheren Beamten den vom 1. März 2002 bis zum 28. Februar 2005 nach § 77 Abs. 1, § 110 Abs.  2 BDO bewilligten Unterhaltsbeitrag gemäß § 110 Abs. 1 BDO i.V.m. § 85 BDG durch Beschluss rückwirkend zu entziehen. Nach Außerkrafttreten der Bundesdisziplinarordnung kann ein solches Begehren vom Dienstherrn gegen den früheren Beamten als Schadensersatzanspruch im Klageweg geltend gemacht werden (1.). Dies ist bislang nicht geschehen; über eine allgemeine Leistungsklage auf Schadensersatz hat das Verwaltungsgericht nicht entschieden. Da eine entsprechende Umdeutung des Antragsbegehrens nicht in Betracht kommt, scheidet eine Zurückverweisung aus (2.).

7 1. a) Gemäß § 110 Abs. 1 BDO konnte das Bundesdisziplinargericht auf Antrag der obersten Dienstbehörde u.a. beschließen, dass ein nach § 77 BDO bewilligter Unterhaltsbeitrag ganz, unter Umständen auch rückwirkend (Beschluss vom 22. August 2001 - BVerwG 1 DB 19.01 - Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 9), entzogen wird, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Verurteilte des Unterhaltsbeitrags unwürdig oder nicht bedürftig war, oder wenn er sich dessen als unwürdig erweist. Die Bundesdisziplinarordnung ist am 1. Januar 2002 außer Kraft getreten; an ihre Stelle ist das Bundesdisziplinargesetz getreten (Art. 1, 27 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Nr. 1 des Neuordnungsgesetzes vom 9. Juli 2001, BGBl I S. 1510). Gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 BDG werden die nach bisherigem Recht eingeleiteten Disziplinarverfahren in der Lage, in der sie sich bei Inkrafttreten dieses Gesetzes befinden, nach diesem Gesetz fortgeführt, soweit in den Absätzen 2 bis 10 nichts Abweichendes bestimmt ist. Danach finden die Verfahrensregeln und -grundsätze der Bundesdisziplinarordnung auch hinsichtlich des gerichtlichen Rechtsschutzes seit 1. Januar 2002 nur noch Anwendung, wenn sich dies aus § 85 Abs. 2 bis 10 BDG ergibt. Dies ist hinsichtlich des Antragsbegehrens der obersten Dienstbehörde auf Entziehung des Unterhaltsbeitrags nicht der Fall. Insoweit sind weder die Voraussetzungen des § 85 Abs. 5 Satz 1 BDG noch des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG für eine Fortgeltung des Verfahrensrechts der Bundesdisziplinarordnung erfüllt.

8 Nach § 85 Abs. 5 Satz 1 BDG bestimmen sich Statthaftigkeit, Frist und Form eines Rechtsbehelfs oder eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist, nach bisherigem Recht. Der gesetzliche Begriff „Entscheidung“ umfasst Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen über das konkrete Rechtsschutzbegehren (Beschluss vom 31. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 33.01 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 21). Danach greift § 85 Abs. 5 Satz 1 BDG hier nicht ein, da der Antrag nach § 110 Abs. 1 BDO keinen Rechtsbehelf gegen eine vor dem 1. Januar 2002 ergangene Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung darstellt. Mit dem Antrag auf rückwirkende Entziehung des bewilligten Unterhaltsbeitrags wird bei Gericht ein neues Verfahren anhängig gemacht mit dem Ziel, die früheren, rechtskräftig abgeschlossenen Unterhaltsbeitrags-Bewilligungsverfahren rückabzuwickeln. Auch wenn das Verfahren nach § 110 Abs. 1 BDO kein echtes Wiederaufnahmeverfahren ist (vgl. Beschluss vom 22. August 2001 a.a.O.), steht es einem solchen doch nahe. Für die Wiederaufnahme von Disziplinarverfahren, die vor dem 1. Januar 2002 rechtskräftig abgeschlossen worden sind, gelten aber nach den Übergangsbestimmungen des § 85 Abs. 8 BDG inzwischen die Regelungen des neuen Rechts. Dies spricht ebenfalls dafür, die Rückabwicklung von Unterhaltsbeitrags-Altverfahren nicht nach bisherigem Recht (§ 110 Abs. 1 BDO) vorzunehmen.

9 Nichts anderes ergibt sich für das Antragsbegehren - rückwirkende Entziehung des Unterhaltsbeitrags - aus § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG. Danach werden die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren nach bisherigem Recht fortgeführt. Die Geltung dieser Fortführungsklausel ist bezogen und beschränkt auf die am 1. Januar 2002 laufenden förmlichen Disziplinarverfahren. Diese Verfahren sollen nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung zu Ende geführt werden. Nach ihrer Beendigung ist für die Anwendung der Bundesdisziplinarordnung auch in Bezug auf solche Folgemaßnahmen und -entscheidungen kein Raum mehr, die in einem sachlichen Zusammenhang mit dem abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren stehen (Beschluss vom 17. Februar 2003 - BVerwG 1 DB 2.03 - Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 3). Danach greift die Fortführungsklausel des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG hier nicht ein, weil das vor dem 1. Januar 2002 eingeleitete förmliche Disziplinarverfahren gegen den früheren Beamten mit der Rechtskraft des erstinstanzlichen Disziplinarurteils am 6. Februar 2002 sein Ende gefunden hat (§ 89 Abs. 1 BDO).

10 b) Zwar hat der Senat im Hinblick auf § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG eine Ausnahme, d.h. eine Verfahrensdurchführung nach altem Recht, anerkannt für Verfahren des früheren Beamten auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 110 Abs. 2 BDO, wenn die Erstbewilligung auf § 77 BDO beruht (Beschluss vom 15. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 10). Ein solcher Ausnahmecharakter kommt jedoch dem von der obersten Dienstbehörde gemäß § 110 Abs. 1 BDO gestellten Antrag auf Entziehung eines nach §§ 77, 110 Abs. 2 BDO bewilligten Unterhaltsbeitrags nicht zu. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

11 Ausgehend von dem auch unter Geltung des Bundesdisziplinargesetzes fortbestehenden Sinn und Zweck des Unterhaltsbeitrags, dem Umstand, dass das neue Recht die Möglichkeit einer Neubewilligung nicht mehr ausdrücklich vorsieht und der Tatsache, dass die in der bisherigen Disziplinarpraxis auf den Regelzeitraum von sechs Monaten begrenzte Erstbewilligung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 77 BDO - anders als § 10 Abs. 3 Satz 3 BDG mit der Möglichkeit einer vom dispositiven Recht abweichenden Bewilligung - nicht auf einer abschließenden Billigkeitsentscheidung beruhte, lässt der Senat in ständiger Rechtsprechung (grundlegend Beschluss vom 15. Januar 2002 a.a.O., auf den wegen der Einzelheiten der Begründung Bezug genommen wird; zuletzt Beschluss vom 1. Februar 2006 - BVerwG 1 DB 1.05 - IÖD 2006, 118) übergangsweise die Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 110 Abs. 2 BDO zu. In diesen Übergangsfällen muss eine ergänzende Entscheidung zur Erstbewilligung möglich sein, weil bei der Erstentscheidung nach der bisherigen Disziplinarpraxis die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des früheren Beamten und seiner Familie und deren voraussichtliche Entwicklung nicht abschließend daraufhin gewürdigt worden sind, ob vorhersehbare unbillige Härten für die weitere Zukunft bestehen. Diese am Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte verfassungskonforme Auslegung des § 85 BDG knüpft einfachrechtlich an den Gedanken des so genannten Annex-Verfahrens an. Neubewilligungsverfahren werden als Annex-Verfahren zu dem abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren angesehen, weil sie dieses hinsichtlich des Ausspruchs des Disziplinarurteils zum Unterhaltsbeitrag der Sache nach im Sinne des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG „fortführen“.

12 Für den Antrag auf rückwirkende Entziehung des Unterhaltsbeitrags nach § 110 Abs. 1 BDO können entsprechende Überlegungen nicht nutzbar gemacht werden. Insbesondere mangelt es der Sache nach an einer „Fortführung“ des nunmehr in jeder Hinsicht abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahrens. Vielmehr soll zu Lasten des früheren Beamten ein neues Verfahren anhängig gemacht werden, um die früheren, rechtskräftig abgeschlossenen Unterhaltsbeitrags-Bewilligungsverfahren rückabzuwickeln. Für einen solchen belastenden Ausspruch bedarf es schon aus rechtsstaatlichen Erwägungen eindeutiger gesetzlicher Grundlagen. Diese sind vorhanden, so dass durch den Wegfall der Möglichkeit, gegen einen früheren Beamten gemäß § 110 Abs. 1 BDO vorzugehen, für den Dienstherrn keine Gerechtigkeitslücke entsteht.

13 Der Vorstand der Deutschen Post AG als oberste Dienstbehörde (§ 1 Abs. 2 PostPersRG) kann sich im Hinblick auf § 85 Abs. 1 Satz 1 BDG allerdings nicht mit Erfolg auf § 79 Abs. 4 Satz 3 BDG berufen. Nach dieser Vorschrift kann ein nach § 10 Abs. 3, § 12 Abs. 2 BDG gewährter Unterhaltsbeitrag (vgl. zum Anwendungsbereich des § 79 BDG dessen Abs. 1) ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit entzogen werden, wenn der frühere Beamte oder Ruhestandsbeamte schuldhaft der ihm nach Satz 2 obliegenden Verpflichtung nicht nachkommt, der obersten Dienstbehörde alle Änderungen in seinen Verhältnissen, die für die Zahlung des Unterhaltsbeitrags bedeutsam sein können, unverzüglich anzuzeigen. Die Entscheidung trifft die oberste Dienstbehörde (§ 79 Abs. 4 Satz 4 BDG). Da es sich im vorliegenden Fall um einen nach §§ 77, 110 Abs. 2 BDO bewilligten Unterhaltsbeitrag handelt, scheidet § 79 Abs. 4 Satz 3 BDG als Rechtsgrundlage für eine Entziehung aus.

14 In Altfällen - wie hier - bleibt es dem Dienstherrn aber unbenommen, auch ohne vorherige Aufhebung der gerichtlichen Bewilligung des Unterhaltsbeitrags gegen den früheren Beamten einen Schadensersatzanspruch wegen bewusst unrichtiger Angaben aus Anlass eines Antrags auf Erst- und/oder Neubewilligung geltend zu machen.

15 Als Anspruchsgrundlage kommt zunächst § 78 BBG in Betracht. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift hat ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletzt, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen hat, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Diese Regelung findet u.a. Anwendung, wenn ein Beamter schuldhaft unzutreffende Angaben zu Umständen macht, die für seine Dienstbezüge und sonstigen Bezüge maßgeblich sind (vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, Stand 2006, § 78 Rn. 20a m.w.N. aus der Rspr des BVerwG; Franke, in: GKÖD Bd. I, Stand 2006, K § 78 BBG Rn. 15); entsprechendes wird angenommen bei schuldhaftem Unterlassen der Anzeige einer Änderung solcher Umstände (vgl. zu den Anzeigepflichten eines früheren Beamten im Unterhaltsbeitragsrecht § 77 Abs. 5 Satz 2 BDO i.V.m. § 62 BeamtVG). Der Dienstherr kann einen Schadensersatzanspruch gegen einen früheren Beamten im Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO, § 126 Abs. 1 und 2 BRRG) durch Leistungsklage geltend machen (vgl. dazu Urteil vom 22. Februar 1996 - BVerwG 2 C 12.94 - BVerwGE 100, 280 <283> m.w.N. und auch Urteil vom 15. Juni 2006 - BVerwG 2 C 10.05 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

16 Ob der Dienstherr seinen Anspruch vollumfänglich auf § 78 BBG stützen kann, wenn der frühere Beamte nicht (nur) vor der Erstbewilligung, sondern (auch) aus Anlass eines Antrags auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags (§ 110 Abs. 2 BDO) bewusst unrichtige Angaben gemacht hat, kann allerdings zweifelhaft sein. Anders als bei der Erstbewilligung besteht das Beamtenverhältnis zum Zeitpunkt der Neubewilligung nicht mehr. Zwar können auch Ruhestandsbeamte „und unter Umständen auch sonstige frühere Beamte“ Pflichtverletzungen begehen, wie sie § 78 BBG voraussetzt. Dabei muss es sich jedoch stets um die Verletzung einer „Pflicht aus dem Beamtenverhältnis“ handeln (vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, a.a.O. § 78 BBG Rn. 16a), ggf. auch einer nachwirkenden Pflicht aus dem Beamtenverhältnis oder Ruhestandsbeamtenverhältnis (vgl. Franke, a.a.O.). Diese Pflicht muss im Zeitpunkt der Verletzungshandlung (unter Umständen als eine nachwirkende) bestanden haben. Nur dann ist eine spätere Beendigung des Beamtenverhältnisses, z.B. durch Verlust der Beamtenrechte, ohne Bedeutung, weil sie den einmal entstandenen Anspruch nicht berührt (vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, a.a.O., § 78 BBG Rn. 16b). Das ist aber - anders als bei der Erstbewilligung - zum Zeitpunkt der Neubewilligung nicht mehr der Fall. Die Pflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben und zur Anzeige veränderter Verhältnisse gemäß § 77 Abs. 5 Satz 2 BDO i.V.m. § 62 BeamtVG ist nach Ablauf des ersten Bewilligungszeitraums nicht eine nachwirkende aus dem Beamtenverhältnis, da ein solches nicht mehr besteht. In Bezug auf den Unterhaltsbeitrag entsteht vielmehr ein gesetzliches Verwaltungsrechtsverhältnis eigener Art. Die Pflichtenregelung mag zwar an das frühere Beamtenverhältnis anknüpfen. Sie gründet aber nicht mehr unmittelbar im Beamtenverhältnis, sondern besteht kraft Gesetzes aufgrund richterlicher Bewilligung (§ 110 Abs. 2 BDO). Darüber könnte allenfalls die Fiktion eines Ruhestandsbeamtenverhältnisses gemäß § 110 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 77 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 BDO hinweghelfen. Ob das der Fall ist, kann hier jedoch offenbleiben.

17 Soweit ein früherer Beamter nicht als solcher nach § 78 BBG haften sollte - die Vorschrift regelt abschließend Schadensersatzansprüche des Dienstherrn gegen Beamte wegen Dienstpflichtverletzungen (vgl. zuletzt Urteil vom 15. Juni 2006 - BVerwG 2 C 10.05 - m.w.N.) - und mangels Verweisung in § 77 Abs. 5 Satz 2 BDO auf § 52 BeamtVG auch nicht als fiktiver Ruhestandsbeamter, bleiben jedenfalls Ansprüche nach allgemeinen Vorschriften unberührt. Diese können sich als Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 826 BGB (Prozessbetrug, Erschleichung eines Titels) ergeben. Für den Bereich des Zivil- und Zivilprozessrechts hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 19. Februar 1986 - IV b ZR 71/84 - NJW 1986, 1751) anerkannt, dass im Falle einer sittenwidrigen Schädigung durch den Unterhaltsberechtigten der Unterhaltsverpflichtete Schadensersatzansprüche auf Rückgewähr gezahlter Unterhaltsleistungen geltend machen kann, auch wenn die von ihm erfüllten Unterhaltsverpflichtungen auf einem nicht abgeänderten Unterhaltstitel beruhten (so genannte sittenwidrige Ausnutzung eines Unterhaltstitels). Eine sittenwidrige Schädigung liegt danach vor, wenn neues eigenes Erwerbseinkommen wegen der damit verbundenen ganz wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des formell Unterhaltsberechtigten die Bedürftigkeit entfallen lässt, in Kenntnis seiner unterhaltsrechtlichen Bedeutsamkeit verschwiegen wird und der Unterhaltsverpflichtete keine Möglichkeit hat, rechtzeitig von diesen Einkünften zu erfahren und keinen Anlass hat, eine entsprechende Auskunft zu verlangen. Nach diesen Grundsätzen dürfte ein Schadensersatzanspruch in der Regel dann anzunehmen sein, wenn der frühere Beamte vor der Bewilligung des Unterhaltsbeitrags aufgefordert worden war, seine Bedürftigkeit darzulegen und zu belegen. Weder das Gericht noch die den Unterhaltsbeitrag gewährende Stelle des Dienstherrn haben aus datenschutzrechtlichen Gründen die Möglichkeit, etwa verschwiegene Einkünfte sonst in Erfahrung zu bringen. Der frühere Beamte kann auch nicht grundlos auf Auskunft verklagt werden.

18 Für alle Anspruchsgrundlagen aber gilt: In jedem Fall stehen dem früheren Beamten gegenüber Forderungen des Dienstherrn die Regelungen über den Pfändungsschutz und über Pfändungsfreibeträge (z.B. §§ 54 f. SGB I, §§ 850 ff. ZPO) zur Seite. Sie garantieren ein ausreichendes Existenzminimum.

19 2. Die rechtswidrige rückwirkende Entziehung des Unterhaltsbeitrags durch das Verwaltungsgericht kann nicht als Entscheidung über eine allgemeine Leistungsklage auf Schadensersatz aufrechterhalten werden. Dagegen spricht bereits der eindeutige Tenor des auf § 110 Abs. 1 BDO gestützten verwaltungsgerichtlichen Beschlusses; über eine allgemeine Leistungsklage wäre zudem grundsätzlich aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden gewesen (vgl. §§ 101, 107 VwGO). Das ausdrücklich auf Entziehung des Unterhaltsbeitrags gerichtete Antragsbegehren des Vorstands der Deutschen Post AG kann auch nicht in eine allgemeine Leistungsklage auf Zahlung von Schadensersatz umgedeutet werden; eine Zurückverweisung der Sache scheidet deshalb aus.

20 Entsprechend dem Zweck einer Umdeutung, wie er u.a. in § 140 BGB und § 47 VwVfG zum Ausdruck kommt, ist eine Umdeutung vorzunehmen, wenn ein fehlerhafter Rechtsakt (z.B. Rechtsgeschäft, Verwaltungsakt) entsprechend dem (mutmaßlichen) Willen seines Urhebers als anderer, aber zielidentischer und rechtmäßiger Rechtsakt aufrechterhalten werden kann (vgl. Beschluss vom 13. März 2006 - BVerwG 1 D 3.06 - m.w.N.). Dies ist hier nicht möglich. Das Antragsbegehren des Vorstands der Deutschen Post AG - rückwirkende Entziehung des Unterhaltsbeitrags durch gerichtlichen Beschluss - zielt nur auf die Aufhebung der jeweiligen gerichtlichen Bewilligungsentscheidungen. Dargetan wird dementsprechend das Vorliegen der gesetzlichen Entziehungsvoraussetzungen gemäß § 110 Abs. 1 BDO, wobei lediglich die Gesamtsumme des - aus der Sicht der Post - zu Unrecht gezahlten Unterhaltsbeitrags beziffert worden ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut der schriftlichen Äußerungen der Post ist bisher weder ein Anspruch auf Schadensersatz geltend gemacht, noch das Vorliegen der Voraussetzungen eines solchen Anspruchs dargelegt worden. Folglich fehlt es insoweit auch an der Gewährung entsprechenden rechtlichen Gehörs.

21 Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der sich aus §§ 113 ff. BDO und § 77 Abs. 4 BDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Grundsätze.