Verfahrensinformation

Die Beteiligten streiten um die Rückgabe eines Grundstücks in Dresden.


Ursprünglicher Eigentümer des Grundstücks war ein Amtsgerichtsrat aus Dresden. Im Januar 1941 wurde das Deutsche Reich (Reichseisenbahnvermögen) als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.


Mit Bescheid vom 17. November 1998 wurde auf Antrag der Klägerin die teilweise Rückgabe des Grundstücks an sie verfügt. Dieser Bescheid wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 9. Februar 2005 aufgehoben, weil der Rechtsvorgänger der Klägerin nicht Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes gewesen sei. Es habe sich um eine Namensverwechslung gehandelt.


Das Verwaltungsgericht hat auf die Klage der Klägerin den Bescheid vom 9. Februar 2005 aufgehoben, weil die Frist zur Rücknahme des Restitutionsbescheides von einem Jahr zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides bereits abgelaufen gewesen sei.


Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.


Urteil vom 18.08.2010 -
BVerwG 8 C 39.09ECLI:DE:BVerwG:2010:180810U8C39.09.0

Leitsatz:

Die Pflicht zur Beteiligung des Verfügungsberechtigten gemäß § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG gilt auch im Verfahren zur Rücknahme eines rechtswidrigen Restitutionsbescheides. Sie hat unabhängig davon zu erfolgen, ob die beabsichtigte Entscheidung in Rechte des Verfügungsberechtigten eingreift.

  • Rechtsquellen
    VwVfG § 48 Abs. 1, 4, § 28 Abs. 1
    VermG § 32 Abs. 1 Satz 1, 3

  • VG Dresden - 02.06.2009 - AZ: VG 7 K 458/09

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 18.08.2010 - 8 C 39.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:180810U8C39.09.0]

Urteil

BVerwG 8 C 39.09

  • VG Dresden - 02.06.2009 - AZ: VG 7 K 458/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und Dr. Held-Daab und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 2. Juni 2009 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme eines vermögensrechtlichen Bescheides, mit dem ihr das Eigentum an den nicht überbauten Teilen eines Grundstücks zurückübertragen worden ist.

2 Eigentümer des Grundstücks, S.straße ... in D., eingetragen im Grundbuch von D., Gemarkung ..., Blatt ..., Flurstück ..., heute Bestandteil des Flurstücks ..., war der Amtsgerichtsrat Dr. jur. .... Am 25. Januar 1941 wurde das Deutsche Reich (Reichseisenbahnvermögen) aufgrund einer Auflassung vom 31. Dezember 1940 in das Grundbuch eingetragen.

3 Das Flurstück ... wurde mit den benachbarten Flurstücken ..., ..., ..., ..., ... und ... zu einem Flurstück ... verschmolzen. Auf diesem Grundstück befindet sich unter anderem ein Verwaltungsgebäude ... Das Flurstück ... in seinen früheren Grenzen ist bis auf einen unwesentlichen kleinen Teil nicht bebaut, sondern wird als Parkplatz benutzt, der der Öffentlichkeit zugänglich ist.

4 Mit Schreiben vom 13. November 1991 beantragte die Klägerin bei der Stadtverwaltung D. - Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - die Rückübertragung des Grundstücks S.straße ... in D. Als Eigentümer gab sie an: „B., ..., Dr. jur.“

5 Mit Schreiben vom 20. April 1992 meldete die Klägerin die Rückübertragung des Grundstücks erneut bei der Stadtverwaltung D. unter Angabe des Eigentümers „B., ..., Dr.“ an.

6 Mit Bescheid der Landeshauptstadt D. - Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - vom 21. Mai 1996 wurde der Antrag auf Rückübertragung abgelehnt und festgestellt, die Klägerin werde nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 des Entschädigungsgesetzes in Verbindung mit dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz für den Vermögensverlust an dem Grundstück S.straße ... entschädigt. Hierüber sollte ein gesonderter Bescheid ergehen. Der Anspruch gemäß § 1 Abs. 6 VermG sei gegeben. Die Naturalrestitution des Grundstücks sei aber gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. b VermG ausgeschlossen, weil das Grundstück als Parkplatz genutzt werde.

7 Auf den Widerspruch der Klägerin wurde der Bescheid vom 21. Mai 1996 aufgehoben und festgestellt, das Eigentum an den noch zu vermessenden und näher bezeichneten nicht überbauten Teilen des Grundstücks S.straße ... sei an die Widerspruchsführerin zu Alleineigentum zurück zu übertragen. Die Widerspruchsführerin sei gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 VermG Rechtsnachfolgerin bezüglich des jüdischen Vermögens. Die Rückübertragung des streitgegenständlichen Grundstücks sei auch nicht gemäß §§ 4, 5 Abs. 1 Buchst. b VermG ausgeschlossen.

8 Mit Schreiben vom 6. Mai 2003 wies die Landeshauptstadt D. - Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - die Klägerin darauf hin, im Zuge der Neuvermessung des Grundstücks ... sei festgestellt worden, dass der in den vorgelegten Nachweisen genannte Dr. C. B. nicht mit dem Grundstückseigentümer Dr. jur. F. C. C. B. identisch sein könne. Es handele sich um zwei verschiedene Personen, die zur selben Zeit in D. gewohnt hätten. Dies habe ein Abgleich mit den Adressbüchern ergeben. Bevor die Entscheidung bezüglich der Berechtigung der Klägerin für das Grundstück S.straße ... aufgehoben werde, werde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

9 Am 17. Oktober 2003 teilte die Klägerin der Landeshauptstadt D. mit, sie habe keine Unterlagen ermitteln können, die belegten, dass der Eigentümer des streitigen Grundstücks - der Amtsgerichtsrat „Dr. F. K. Ku. B.“ - Jude war. Die bisher vorgelegten Nachweise beträfen nicht den Grundstückseigentümer der S.straße ...

10 Unter dem 4. Dezember 2003 teilte die Landeshauptstadt D. - Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - der Klägerin mit, sie beabsichtige, den Bescheid vom 21. Mai 1996 in Verbindung mit dem Widerspruchsbescheid des ... Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 17. November 1998 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin keine Berechtigte im Sinne von § 2 Abs. 1 VermG bezüglich des ehemaligen Grundstücks in der S.straße ... in ... sei, weil das Grundstück entgegen der bisherigen Annahme von keiner Maßnahme nach § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen sei. Die rechtswidrige Entscheidung sei auf eine Verwechslung aufgrund des gleichen Namens zurückzuführen. Der Bescheid sei daher zurückzunehmen. Eine Grundbuchberichtigung sei bisher nicht erfolgt, so dass nach dem bisher bekannten Sachstand auch keine Vermögensdispositionen hätten getroffen werden können. Es werde Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats gegeben. Dieses Schreiben gelte als neuer ablehnender Vorbescheid im Sinne von § 32 Abs. 1 VermG.

11 Mit Inkrafttreten des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes wurde das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen ab dem 1. Januar 2004 zuständig für Entscheidungen über vermögensrechtliche Ansprüche, auf die § 1 Abs. 6 VermG anzuwenden ist. Dies teilte die Landeshauptstadt D. der Klägerin mit Schreiben vom 27. Januar 2004 mit.

12 Das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen teilte der D. unter dem 14. Dezember 2004 mit, es beabsichtige, den dem Schreiben beigefügten Rücknahmebescheid zu erlassen. Die D. erhalte gemäß § 32 Abs. 1 VermG Gelegenheit, innerhalb eines Monats ab Zugang des Schreibens zu der beabsichtigten Entscheidung Stellung zu nehmen.

13 Dieses Schreiben leitete die D. zuständigkeitshalber an das B. weiter.

14 Mit Bescheid vom 9. Februar 2005 hob das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Bescheid der Landeshauptstadt D. - Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - vom 21. Mai 1996 in Verbindung mit dem Widerspruchsbescheid des ... Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 17. November 1998 auf und stellte fest, dass die Antragstellerin nicht Berechtigte gemäß § 2 Abs. 1 VermG bezüglich des Grundstücks S.straße ... in D. ist. Das Grundstück S.straße ... in D. sei nicht von einer Maßnahme nach § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen. Gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG könne ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch wenn er unanfechtbar geworden sei, zurückgenommen werden. Im vorliegenden Fall sei nach Eintreten der Bestandskraft des Bescheides festgestellt worden, dass dieser auf unrichtigen Tatsachenangaben der Klägerin beruhe. Das habe die Klägerin auch anerkannt. Daher werde der rechtswidrige Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit und für die Zukunft zurückgenommen.

15 Der daraufhin erhobenen Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und mit Urteil vom 2. Juni 2009 den Bescheid des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 9. Februar 2005 aufgehoben. Der bestandskräftige Bescheid des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen der Landeshauptstadt D. vom 21. Mai 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des ... Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 17. November 1998 sei zwar rechtswidrig, weil die Klägerin nicht Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes sei. Der angefochtene Bescheid vom 9. Februar 2005 sei aber nicht fristgemäß ergangen. Im vorliegenden Fall sei der Behörde spätestens am 23. Oktober 2003 die Rechtswidrigkeit des zu Gunsten der Klägerin ergangenen Rückübertragungsbescheides bekannt gewesen, denn an diesem Tag sei beim Amt zur Regelung offener Vermögensfragen der Landeshauptstadt die Mitteilung der Klägerin eingegangen, die eine Namensverwechslung bestätigt habe. Das daraufhin zur beabsichtigten Aufhebung des Bescheides ergangene Anhörungsschreiben des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 4. Dezember 2003 sei der Klägerin am 8. Dezember 2003 zugestellt worden, so dass gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 VermG ihre Anhörung am 8. Januar 2004 abgeschlossen gewesen sei. Die Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG sei somit am 8. Januar 2005 abgelaufen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Hinblick auf die Anhörung des Beigeladenen mit Schreiben vom 14. Dezember 2004. Deren Anhörung sei nicht zwingend geboten. Aus § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG ergebe sich lediglich, dass dem Verfügungsberechtigten eine Abschrift des Anhörungsschreibens nach § 32 Abs. 1 Satz 1 VermG zu übersenden sei. Damit solle ihm Klarheit darüber verschafft werden, ob er mit einer Stattgabe oder einer Ablehnung des Rückübertragungsantrages zu rechnen habe. Dass hier die Übersendung des Anhörungsschreibens unterblieben sei, sei indes unschädlich, weil die Rücknahme des Rückübertragungsbescheides die Rechtsposition des Beigeladenen nicht zu dessen Nachteil hätte verändern können. Anhaltspunkte dafür, dass der Verbleib des Grundstücks bei dem Beigeladenen diesen benachteiligt hätte und das Bundeseisenbahnvermögen deshalb hätte angehört werden müssen, seien von dem Beigeladenen nicht vorgetragen worden.

16 Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt mit dem Antrag,
das Urteil des Verwaltungsgerichts ... vom 2. Juni 2009 zum Aktenzeichen ... aufzuheben und die Klage ... gegen den Rücknahmebescheid der Beklagten vom 9. Februar 2005 abzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht ... zurückzuverweisen.

17 Sie rügt die fehlerhafte Anwendung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG. Die Jahresfrist beginne bei einem Zuständigkeitswechsel erst dann, wenn die zuständig gewordene Behörde Kenntnis von allen für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Umständen erlangt habe. Das zum 1. Januar 2004 zuständig gewordene Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen habe den Vorgang nach der Übergabe erstmals unter dem 8. Dezember 2004 bearbeitet. Dementsprechend habe der nunmehr zuständige Amtswalter erst zu diesem Zeitpunkt die Rechtswidrigkeit des Restitutionsbescheides feststellen und die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG in Lauf setzen können.

18 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

19 Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

II

20 Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat unter Verstoß gegen revisibles Recht der Klage der Klägerin gegen den Rücknahmebescheid des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 9. Februar 2005 stattgegeben (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Urteil beruht auf einer unrichtigen Anwendung von § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG, § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts wurde der Bescheid der Landeshauptstadt D. - Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - vom 21. Mai 1996 in Verbindung mit dem Widerspruchsbescheid des ... Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 17. November 1998 innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Behörde von den Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigen, zurückgenommen (§ 48 Abs. 4 VwVfG). Die im Urteil getroffenen Feststellungen reichen für eine abschließende Sachentscheidung aus (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO). Die Klage muss abgewiesen werden, weil der Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2005 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

21 Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, von dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme rechtfertigen. Die Frist beginnt zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. Beschluss des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 - BVerwG Gr.Sen. 1 und 2.84 - BVerwGE 70, 356 <362> = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 33; Urteile vom 20. Dezember 1999 - BVerwG 7 C 42.98 - BVerwGE 110, 226 <233> = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 97 und vom 27. April 2006 - BVerwG 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 <14> = Buchholz 428.2 § 2 VZOG Nr. 16). Es reicht nicht aus, dass die die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig sind. Die Jahresfrist beginnt erst, wenn diese Tatsachen vollständig, uneingeschränkt und zweifelsfrei ermittelt sind (Urteil vom 24. Januar 2001 - BVerwG 8 C 8.00 - BVerwGE 112, 360 <362> = Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 40 S. 4 f. mit Hinweis auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 a.a.O.). Die Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG kann erst beginnen, wenn Entscheidungsreife eingetreten ist. Die Rücknahmebehörde muss sich die Kenntnis anderer Behörden nicht zurechnen lassen, weil sonst das mit § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG verfolgte Ziel, der zuständigen Behörde eine ausreichend lange Zeit für eine Prüfung und Entscheidung zu gewähren, verfehlt würde (Urteil vom 20. Dezember 1999 a.a.O. S. 234 bzw. 14). Die zuständige Behörde erhält Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter von den die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen positive Kenntnis erlangt hat (Urteil vom 24. Januar 2001 a.a.O. S. 363 f. bzw. S. 6).

22 Eine solche vollständige Tatsachenkenntnis hatte die Beklagte frühestens nach Ablauf der in ihrem Schreiben vom 14. Dezember 2004 dem Beigeladenen gesetzten Frist von einem Monat nach Zugang des Schreibens zur Stellungnahme zur beabsichtigten Rücknahmeentscheidung. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die einjährige Rücknahmefrist habe bereits mit der abgeschlossenen Anhörung der Klägerin am 8. Januar 2004 zu laufen begonnen, da eine Anhörung des Beigeladenen nicht zwingend geboten gewesen sei, ist mit § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG nicht vereinbar. Die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung, § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG verpflichte nur zur Übermittlung einer Abschrift des Anhörungsschreibens nach § 32 Abs. 1 Satz 1 VermG und greife hier nicht ein, weil die Rücknahme des Rückübertragungsbescheides die Rechtsposition des Beigeladenen nicht zu dessen Nachteil hätte verändern können, geht an Sinn und Zweck dieser Vorschrift vorbei. Sie normiert ein Beteiligungsrecht des Verfügungsberechtigten, das auch im Rücknahmeverfahren besteht und keine Betroffenheit in eigenen Rechten voraussetzt.

23 Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 VermG hat die Behörde dem Antragsteller die beabsichtigte Entscheidung schriftlich mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats zu geben. Dem Verfügungsberechtigten ist eine Abschrift der Mitteilung nach Satz 1 zu übersenden (§ 32 Abs. 1 Satz 3 VermG).

24 Diese spezialgesetzliche Regelung dient der Wahrung des in einem rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahren gebotenen rechtlichen Gehörs. Zur Herstellung der Entscheidungsreife, nach deren Eintritt die Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erst beginnen kann, gehört im Rückübertragungs- wie im Rücknahmeverfahren die Anhörung der Beteiligten, und zwar unabhängig von deren Ergebnis. Die Einwände des Anzuhörenden können nur dann ernstlich zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden, wenn die Behörde sich ihre Entscheidung bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens offenhält.

25 Die Anwendung von § 32 Abs. 1 VermG ist nicht auf das Restitutionsverfahren an sich beschränkt. Die Vorschrift findet auch im Rücknahmeverfahren Anwendung, das gleichsam spiegelbildlich zum Restitutionsverfahren erfolgt. Weder der Wortlaut der Vorschrift noch der systematische Zusammenhang gebieten eine Differenzierung zwischen dem Restitutionsverfahren und dessen Rückabwicklung.

26 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verlangt § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG eine Anhörung des Verfügungsberechtigten vor Erlass der beabsichtigten Entscheidung und nicht nur dessen Information hinsichtlich einer beabsichtigten Rücknahmeentscheidung gegenüber dem ursprünglichen Antragsteller.

27 Der Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 1 und 3 VermG mag zwar ein Beteiligungsrecht von unterschiedlicher Gewichtung nahelegen. Während Satz 1 von einer schriftlichen Mitteilung der beabsichtigten Entscheidung und der Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats spricht, beschränkt sich Satz 3 auf die Verpflichtung zur Übersendung einer Abschrift der Mitteilung nach Satz 1 an den Verfügungsberechtigten. Gegen eine Differenzierung mit der Folge, dass sich aus Satz 3 lediglich eine Informationspflicht der entscheidenden Behörde gegenüber dem Verfügungsberechtigten ergibt, sprechen jedoch die systematische Verknüpfung zwischen Satz 1 und 3, der Sinn und Zweck der Vorschrift sowie ihre Entstehungsgeschichte.

28 § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG wurde aufgrund von Art. 1 Nr. 28 Buchst. b Zweites Vermögensrechtsänderungsgesetz vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1257) neu in das Vermögensgesetz eingefügt. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass der Verfügungsberechtigte von der beabsichtigten Entscheidung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 VermG Kenntnis erhält, damit er Gelegenheit hat, die Behörde auf etwaige Entscheidungshindernisse aufmerksam zu machen (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes, BRDrucks 227/92 S. 168). Dadurch sollte eine bessere Abstimmung zwischen dem Rückgabeverfahren nach dem Vermögensgesetz und den Regelungen des Investitionsvorranggesetzes ermöglicht werden.

29 Auch wenn die Vorschrift mit Blick auf das Investitionsvorranggesetz konzipiert wurde, schließt dies ein Verständnis im Sinne einer umfassenden Anhörung des Verfügungsberechtigten nicht aus. Der Verfügungsberechtigte ist in der Regel neben dem Antragsteller im Restitutionsverfahren der Hauptbetroffene, weil er Eigentümer des Restitutionsobjektes ist oder die Verfügungsmacht darüber inne hat (§ 2 Abs. 3 VermG). Ein sachlicher Grund, hinsichtlich der Beteiligung von Restitutionsberechtigtem und Verfügungsberechtigtem im Restitutions- und im Rückabwicklungsverfahren zu differenzieren, ist nicht erkennbar. Demgegenüber hat die ursprüngliche Zweckbestimmung nur eingeschränkte Bedeutung, zumal das Investitionsvorranggesetz in seiner endgültigen Fassung vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1257) erheblich vom Gesetzesentwurf abweicht (vgl. Art. 5 § 17 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Gesetze - Zweites Vermögensrechtsänderungsgesetz - BRDrucks 227/92 S. 45). Die Vorschrift enthielt ursprünglich den Grundsatz, dass das Rückübertragungsverfahren nach dem Vermögensgesetz nicht schon durch das Investitionsvorrangverfahren oder die Erteilung einer Investitionsbescheinigung, sondern erst durch die investiven Maßnahmen selbst unterbrochen werde (vgl. die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes - BRDrucks 227/92 S. 214 f.). § 17 Abs. 2 des Entwurfes zum Investitionsvorranggesetz beschrieb dazu die Ausnahmen. In seiner endgültigen Fassung vom 14. Juli 1992 (BGBl I S. 1257) bestimmt das Investitionsvorranggesetz in § 4 Abs. 4 Satz 1 InVorG dagegen, dass das Rückübertragungsverfahren nach dem Vermögensgesetz bereits mit der Unterrichtung des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen über das Investitionsvorrangverfahren unterbrochen wird. Zuständig zur Unterrichtung ist gemäß § 4 Abs. 2, 4 InVorG der Verfügungsberechtigte. Hat der Verfügungsberechtigte keine Kenntnis vom Rückübertragungsverfahren und der beabsichtigten abschließenden Entscheidung gemäß § 33 Abs. 4 VermG, ist er gerade auf die Mitteilung gemäß § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG angewiesen, um die zuständige Behörde nach deren Erhalt über das investive Vorhaben unterrichten zu können, damit die Rückübertragungssperre nach § 4 Abs. 4 Satz 2 InVorG ausgelöst wird. Die Mitteilung nach § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG an den Verfügungsberechtigten ist auch bedeutsam, wenn die nach dem Investitionsvorranggesetz zuständige Stelle (vgl. § 4 Abs. 2 InVorG), die sich nach dem Ort der Belegenheit des Vermögenswertes richtet, das nach dem Vermögensgesetz grundsätzlich zuständige Wohnsitzamt (§ 35 Abs. 1 Satz 1 VermG) nicht unterrichtet hat.

30 Entscheidender Grund für die Verpflichtung zur Beteiligung des Verfügungsberechtigten nach § 32 Abs. 1 Satz 3 VermG war somit für den Gesetzgeber, Entscheidungshindernisse in Erfahrung zu bringen und zu ermitteln, die einer eventuellen Rückübertragung im Wege stehen könnten. Diese Absicht geht über eine bloße Information des Verfügungsberechtigten hinaus. Demgemäß hat die einjährige Rücknahmefrist nicht vor dem Zugang des Schreibens der Beklagten vom 14. Dezember 2004 an den Verfügungsberechtigten und dem Ablauf der darin gesetzten Frist zur Stellungnahme von einem Monat begonnen, so dass die Rücknahme des ursprünglich stattgebenden Restitutionsbescheides mit Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2005 entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtzeitig erfolgt ist.

31 Im Gegensatz zu § 28 Abs. 1 VwVfG setzt § 32 Abs. 1 VermG nicht voraus, dass die beabsichtigte Entscheidung in Rechte eines Beteiligten eingreift (vgl. Redeker/Hirtschulz, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Stand Mai 2010, § 32 Rn. 1; Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, Stand März 2010, § 32 VermG Rn. 8). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Anhörungsschreiben habe dem Beigeladenen nicht übersandt werden müssen, weil seine Rechtsposition zu seinem Nachteil durch den Rücknahmebescheid nicht verändert worden sei, trifft deshalb nicht zu. Insoweit geht auch das Argument der Klägerin ins Leere, bereits aus dem streitgegenständlichen Bescheid sei erkennbar, dass dieser für den Verfügungsberechtigten nicht belastend sei.

32 Das angegriffene Urteil erweist sich auch nicht etwa als im Ergebnis richtig, weil eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis eingetreten wäre.

33 Da der Gesetzgeber eine Frist für die Ermittlung der maßgeblichen Umstände den Behörden nicht gesetzt hat, hat es die Behörde zwar in der Hand, den Beginn der Frist durch eine Verzögerung des Anhörungsverfahrens hinauszuschieben. Ein solches Verhalten kann aber zur Verwirkung des Rechts auf Rücknahme führen (Urteile vom 20. Dezember 1999 - BVerwG 7 C 42.98 - BVerwGE 110, 226 <236 f.> = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 97 und vom 20. September 2001 - BVerwG 7 C 6.01 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103; Beschluss vom 7. November 2000 - BVerwG 8 B 137.00 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 99). Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Beklagten aus diesem Grund der Zugriff auf den Restitutionsbescheid verwehrt war, lassen sich den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht entnehmen. Die Klägerin war über den Zuständigkeitswechsel durch die Landeshauptstadt D. - Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - mit Schreiben vom 27. Januar 2004 informiert worden. Ein Vertrauen auf den Bestand des ursprünglichen Restitutionsbescheides konnte sie im Hinblick darauf und auf die Tatsache, dass eine Eigentumsüberschreibung im Grundbuch noch nicht erfolgt ist, nicht aufbauen. Der Zeitraum, innerhalb dessen der Rücknahmebescheid erlassen wurde, ist auch nicht als unangemessen lang einzustufen, zumal sich der Zuständigkeitswechsel nicht auf Einzelfälle bezog.

34 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.