Beschluss vom 18.08.2008 -
BVerwG 5 B 46.08ECLI:DE:BVerwG:2008:180808B5B46.08.0

Beschluss

BVerwG 5 B 46.08

  • VG Berlin - 14.02.2008 - AZ: VG 29 A 38.05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. August 2008
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beklagte ihre Beschwerde zurückgenommen hat.
  2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Februar 2008 wird zurückgewiesen.
  3. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin zwei Drittel und die Beklagte ein Drittel.
  4. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 100 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Mit dem Streitverfahren verbindet sich derzeit keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Entsprechendes gilt für die Divergenzrüge der Klägerin (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

2 Die aufgeworfenen Fragestellungen und Angriffe gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil betreffen im Kern die Frage, ob als Folge eines in der NS-Zeit erfolgten schädigenden Zugriffs auf ein Unternehmen die Entschädigungsberechnung (§§ 1, 2 NS-VEntschG i.V.m. § 4 EntschG), namentlich die Berechnung aufgrund einer Schätzung (§ 4 Abs. 3 EntschG), für den Fall, dass ein mit dem Unternehmen entzogenes Betriebsgrundstück mit langfristigen Verbindlichkeiten belastet war (entsprechende Anwendung von § 3 Abs. 4 EntschG; vgl. Urteil vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 5 C 9.07 - NJ 2008, 329), dergestalt vorzunehmen ist, dass die Verbindlichkeiten nach der Vervierfachung des Einheitswerts abzuziehen sind, oder vielmehr so, dass die Vervierfachung erst dann erfolgt, wenn die Verbindlichkeiten vom Einheitswert abgezogen worden sind. Indessen würde das von der Beschwerde erstrebte Revisionsverfahren insoweit keinen Ertrag bringen, weil die Fragestellung in ihren sämtlichen Variationen bedingt, dass nach den tatsachengerichtlichen Feststellungen durch schädigenden Zugriff in der Tat auf ein (lebendes) Unternehmen in der von den Regeln des Vermögensgesetzes vorausgesetzten Weise zugegriffen worden ist (und nicht etwa nur auf einzelne Vermögensgegenstände, bspw. auf ein Betriebsgrundstück). Die dafür in tatsächlicher Hinsicht erforderlichen Feststellungen hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen. Auch das unstreitige Vorbringen sowie der Akteninhalt geben keinen Anhalt dafür, dass bereits im Jahre 1933 (Mai) auf das Vermögen der GmbH, der Rechtsvorgängerin der Klägerin, (insgesamt) zugegriffen worden ist. Deswegen kann die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden, weil es dem Senat auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht möglich wäre, die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfragen abschließend zu entscheiden (vgl. Beschluss vom 6. Juni 2006 - BVerwG 6 B 27.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 35 m.w.N.; stRspr).

3 Zwar geht das Verwaltungsgericht nach seinen Urteilsgründen ersichtlich vom Vorliegen der vorbezeichneten Prämisse aus, wie seine Darlegungen (auf S. 6 UA) dazu belegen, dass das Landesamt durch Bescheid vom 3. November 2000 bestandskräftig festgestellt habe, der Klägerin stehe aus dem verfolgungsbedingten Verlust ihres - nicht zu restituierenden - Unternehmens im Mai 1933 dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung und Erlösauskehr zu. Nach dem Verständnis des Verwaltungsgerichts enthält dieser Bescheid damit die Feststellung, dass die nach den Regeln des Vermögensrechts erforderliche Schädigung des Unternehmens bereits im Jahre 1933 erfolgt sei. Hieran ist der beschließende und wäre der erkennende Senat jedoch nicht gebunden. Ihm ist im Allgemeinen eine eigene Auslegung eines (bestandskräftigen) Verwaltungsaktes zumindest dann nicht verwehrt, wenn das Tatsachengericht - wie hier - in seiner Entscheidung hinsichtlich des konkreten Inhalts und damit auch des Umfangs der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes nichts Näheres ausgeführt, insbesondere sein Auslegungsergebnis nicht näher begründet hat (vgl. Urteil vom 14. Februar 2007 - BVerwG 6 C 28.05 - Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 3 Rn. 24 m.w.N.) und im Speziellen können sowohl Behörden als auch Gerichte an die Entscheidungen der Vermögensbehörden zu der für die Berechtigung nach § 1 Abs. 6 VermG maßgeblichen Schädigung nur unter der Voraussetzung gebunden sein, dass diese entsprechende Feststellungen enthalten (vgl. Beschluss vom 27. Juni 2006 - BVerwG 3 B 183.05 - Buchholz 428.42 § 1 NS-VEntschG Nr. 2). Mit Rücksicht darauf weist der Senat darauf hin, dass der herangezogene Bescheid vom 3. November 2000 in Bezug auf die erforderlichen Feststellungen zum Schädigungsgegenstand und Schädigungszeitpunkt unergiebig ist, als er (auf S. 8) pauschal darlegt, dass das Vermögen der GmbH durch Beschluss des Generalstaatsanwalts beim Landgericht Berlin vom 9. Mai 1933 beschlagnahmt worden sei; hierdurch hätten die Organe der Gesellschaft ihre Verfügungs- und Vertretungsmacht verloren. Diese pauschale Aussage führt zum einen weder schlüssig auf eine nach den Regeln des Vermögensrechts erforderliche schädigende Wegnahme, und zum anderen ist sie weder durch allgemeinkundige Umstände noch durch den Akteninhalt belegt. Das Verwaltungsgericht hätte daher zum Schädigungsgegenstand und Schädigungszeitpunkt eigene Feststellungen treffen müssen.

4 Wie das Amtsgericht Kahla in einem in den Akten befindlichen Beschluss vom 21. Oktober 1933 (mithin nach dem von Bescheid und Urteil unterstellten Vermögensentzug im Mai 1933) nämlich ausgeführt hat, können die durch allgemeine (nicht auf konkrete Gegenstände bezogene) Befehle des Generalstaatsanwalts vom 9. und 12. Mai 1933 ausgesprochenen Beschlagnahmebefehle, die sich auf Partei- und Gewerkschaftsvermögen bezogen haben, mit Blick auf die hier in Rede stehende GmbH nur dazu geführt haben, dass die Geschäftsanteile der einzelnen Gesellschafter beschlagnahmt worden sind; nicht aber können sie die Beschlagnahme einzelner Vermögensgegenstände oder des gesamten Vermögens der juristischen Person GmbH bewirkt haben. Mit dieser Begründung hat das Amtsgericht eine Erinnerung einer NS-Organisation zurückgewiesen, die sich gegen eine beabsichtigte Zwangsversteigerung des in Rede stehenden Betriebsgrundstücks gerichtet hatte. Dies widerspricht eindeutig der These vom vorangegangenen endgültigen Verlust aller eigentumsrechtlichen Befugnisse der GmbH als der damaligen Unternehmensträgerin.

5 Mithin braucht im vorliegenden Zusammenhang noch nicht einmal die Frage erörtert zu werden, ob ausnahmsweise bereits in einer Beschlagnahme eine schädigende Wegnahme im Rechtssinne zu erblicken sein kann (vgl. etwa Beschlüsse vom 28. Mai 2002 - BVerwG 3 B 64.02 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 2 S. 2 m.w.N. und vom 23. August 2000 - BVerwG 8 B 60.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 6).

6 Deshalb spricht bei derzeitigem Erkenntnisstand - zumal in den Akten Unterlagen vorhanden sind, die auf eine Verpachtung des Unternehmens (an die Stadt) durch die GmbH nach der vermeintlichen Beschlagnahme hindeuten - deutlich mehr für eine Annahme, der GmbH als Unternehmensträgerin sei erst nach ihrer erfolgten Selbstauflösung und daher im Zustand ihrer Liquidation Vermögen dadurch entzogen worden, dass im Jahre 1935 das Betriebsgrundstück zugunsten einer NS-Organisation mittels Zwangsversteigerungsbeschluss entzogen worden ist. Dem entspricht es im Übrigen, dass auch der Grundlagenbescheid vom 3. November 2000 (unter VI) eine Regelung auch insoweit trifft, als die Rückgabe des Unternehmensgrundstücks (aus Gründen des Investitionsvorranggesetzes) für ausgeschlossen erklärt wird.

7 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 (Alt. 2) VwGO (§ 154 Abs. 2, § 155 Abs. 2 VwGO).

8 3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Nach den insoweit übereinstimmenden Darlegungen der Verfahrensbeteiligten beläuft sich der ernsthaft im Streit befindliche Entschädigungsbetrag auf ca. 100 000 €, wohingegen andere Streitpunkte eher untergeordneten Charakter aufweisen.