Beschluss vom 18.06.2008 -
BVerwG 3 B 94.07ECLI:DE:BVerwG:2008:180608B3B94.07.0

Beschluss

BVerwG 3 B 94.07

  • VG Chemnitz - 08.06.2007 - AZ: VG 3 K 1699/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 8. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger beansprucht berufliche Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) wegen der Weigerung seines Betriebes, ihn nach Absolvierung eines Fachschulstudiums ab dem 15. November 1975 als Ingenieur zu beschäftigen. Grund für die Verweigerung sei eine fortwirkende gezielte Benachteiligung durch staatliche Stellen wegen seiner Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen staatsgefährdender Hetze während seiner Schulzeit im Jahre 1962 gewesen. Daher stehe ihm über die bereits erfolgte Rehabilitierung als Schüler im Sinne von § 3 BerRehaG hinaus ein Anspruch auf berufliche Rehabilitierung im Sinne von § 1 BerRehaG zu. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil im Zusammenhang mit der Nichtzahlung eines Ingenieurgehalts eine politische Verfolgung nicht habe festgestellt werden können.

2 Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Weder liegt ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO vor, auf dem das Urteil beruht (1.), noch weist die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (2.).

3 1. Die mit der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel können die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Die Beschwerde rügt als Verfahrensmangel die Verletzung der Aufklärungs- und Amtsermittlungspflicht, die Verletzung rechtlichen Gehörs und einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da das Gericht nicht über die notwendige Sachkunde im Hinblick auf den Einfluss der Staatssicherheit auf das berufliche Fortkommen von politisch missliebigen Personen verfügt habe, sei es verpflichtet gewesen, hierzu ein Gutachten einzuholen. Auch hätte ein benannter Zeuge über seine Kenntnisse im Hinblick auf die konkrete Verhinderung des beruflichen Aufstiegs des Klägers befragt werden müssen. Zu wichtigen Indizien für eine politisch motivierte Diskriminierung des Klägers sowie zur konkreten Sachkunde des benannten Sachverständigen und den Kenntnissen des Zeugen hätte dem Kläger vom Gericht Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme gegeben werden müssen. Durch Nichtberücksichtigung wesentlichen Vortrags des Klägers sei das Gericht von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen, wodurch der Überzeugungsgrundsatz verletzt worden sei.

4 Durch diese Rügen wird ein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht dargelegt.

5 a) Die Aufklärungsrüge bleibt schon deshalb erfolglos, weil von einer anwaltlich vertretenen Partei erwartet werden kann, dass sie eine von ihr für notwendig erachtete Sachaufklärung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt. Versäumt sie dies, kann sie eine mangelnde Sachaufklärung nicht mehr erfolgreich rügen (vgl. z.B. Urteil vom 27. Juli 1983 - BVerwG 9 C 541.82 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146).

6 Eine weitere Sachaufklärung hätte sich dem Verwaltungsgericht auch nicht unabhängig von einem förmlichen Beweisantrag des Klägers aufdrängen müssen. Soweit dieser geltend macht, es habe hinreichende Anhaltspunkte für eine Einvernahme eines Sachverständigen und des benannten Zeugen gegeben, benennt er keine bestimmten, vom Gericht festgestellten Tatsachen, die Ansatzpunkte für weitere Nachforschungen hätten sein müssen. Im Hinblick auf den benannten Sachverständigen teilt der Kläger lediglich mit, dass dieser als Historiker an einem Projekt über Subkultur und Jugend in der DDR gearbeitet habe. Welche konkreten Erkenntnisse bezogen auf die berufliche Situation des Klägers nach Beendigung seines Fachschulstudiums im Jahre 1975 dabei angefallen sein sollen, wird nicht dargelegt. Was den Zeugen angeht, ist darauf hinzuweisen, dass dieser im Jahre 1961 als Major der Volkspolizei an den damaligen Vernehmungen des Klägers beteilt war. Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch um die berufliche Situation des Klägers nach Abschluss seines Fachschulstudiums im Jahre 1975. Inwieweit der Zeuge auch hierzu konkrete Angaben machen können soll, erschließt sich nicht.

7 Der Rüge, das Gericht habe nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, um zu beurteilen, in welcher Weise und mit welchen Mitteln Bürger der DDR durch den Einfluss der Staatssicherheit im Hinblick auf ihr berufliches Fortkommen behindert worden seien, mangelt es ebenfalls an hinreichender Substanz. Der Kläger legt weder dar, welche besonderen Einflussnahmen sich dem Gericht ohne sachkundigen Beistand nicht erschließen, noch, aufgrund welcher konkreten Umstände dies in seinem Fall von Bedeutung sein kann.

8 b) Mit seiner weiteren Rüge, das Verwaltungsgericht habe sein Urteil auf Tatsachen gestützt, zu denen er sich nicht habe äußern können, wodurch das Gebot rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sei, zeigt der Kläger keinen Verfahrensmangel auf. Es fehlt bereits an den gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Angaben dazu, was er bei der für geboten erachteten Verfahrensweise noch ergänzend vorgetragen hätte. Sowohl ihm als auch seinem Prozessbevollmächtigten ist in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls ausführlich Gelegenheit gegeben worden, zum Sach- und Streitstand Stellung zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist auch sein Kontakt zu dem genannten Historiker erörtert worden.

9 c) Soweit der Kläger beanstandet, dass das Gericht wesentlichen Sachvortrag und Beweisanregungen nicht berücksichtigt habe und daher von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen sei, legt er keinen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) dar. In der Sache wendet er sich nicht gegen eine verfahrensfehlerhafte Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts. Vielmehr meint er, das Gericht habe den festgestellten Sachverhalt falsch gewürdigt. Damit ist kein Verfahrensfehler dargetan, auch keine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung.

10 2. Der Kläger misst der Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung bei, weil zu klären sei, ob die Schutzwirkung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BerRehaG gegen einen Eingriff in Form der Verhinderung, einen erlernten Beruf auszuüben, auch für den Fall eines ursprünglich verfolgten Schülers nach § 3 BerRehaG gelte, der ab der 9. Klasse nach einer Ausbildung zum Rundfunkmechaniker und nach einer Delegierung zur Fachschulausbildung wegen politischer Verfolgung nicht weiter beruflich habe aufsteigen dürfen.

11 Dies rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sind weder in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt noch sonst ersichtlich. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage betrifft den konkreten Sachverhalt des vorliegenden Falles, ohne erkennbar werden zu lassen, ob diese Konstellation in einer nennenswerten Zahl weiterer Fälle ebenfalls zur Entscheidung stehen könnte. Im Kern beschränkt sie sich darauf, die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts anzugreifen und grundsätzliche Bedeutung zu behaupten. Mit bloßen Angriffen gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz kann jedoch die grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt werden.

12 Selbst wenn unter Weglassung der einzelfallbezogenen Elemente unterstellt wird, dass der Kläger geklärt wissen will, in welchem Verhältnis die Verfolgungstatbestände der §§ 1 und 3 BerRehaG stehen und inwieweit ein Rückgriff auf den Verfolgungstatbestand des § 3 BerRehaG bereits die Anwendung des § 1 BerRehaG ermöglicht, rechtfertigt dies eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die §§ 1 und 3 BerRehaG sich auf je unterschiedliche Lebensabschnitte bzw. Tätigkeitsbereiche beziehen. Ein und dieselbe Maßnahme kann hiernach nur entweder in die schulische, also vorberufliche, oder in die berufliche Phase bzw. Sphäre des Verfolgten fallen. Verfolgte Schüler können später durch andere Verfolgungsmaßnahmen zusätzlich Opfer einer beruflichen Verfolgung im Sinne von § 1 BerRehaG geworden sein (Urteil vom 21. Januar 1999 - BVerwG 3 C 5.98 - BVerwGE 108, 421). Die Beschwerde enthält keine Gesichtspunkte, die Anlass geben könnten, diese Rechtsprechung in Zweifel zu ziehen.

13 Im Übrigen kann die aufgeworfene Frage schon deswegen nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen, weil sie sich im vorliegenden Verfahren nicht stellt. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegt keine Maßnahme vor, die in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BerRehaG fällt. Ein Fortwirken der Schülerverfolgung wurde gerade nicht festgestellt.

14 Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.

15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.