Beschluss vom 18.05.2004 -
BVerwG 7 B 18.04ECLI:DE:BVerwG:2004:180504B7B18.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.05.2004 - 7 B 18.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:180504B7B18.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 18.04

  • VG Dresden - 16.10.2003 - AZ: VG 3 K 1831/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Mai 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 16. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

I


Der Kläger begehrt die Feststellung seiner vermögensrechtlichen Berechtigung an einem bebauten Grundstück, das er im Zusammenhang mit einem Verfahren auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft am 27. November 1989 an die frühere Beigeladene verkauft hatte. Von dem Antrag auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft nahm der Kläger dann jedoch im Hinblick auf die politische Entwicklung Abstand. Die ursprünglich ausgesprochene Feststellung der Berechtigung nahm das Vermögensamt mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 48 VwVfG zurück, weil im Zeitpunkt der Veräußerung keine Zwangslage für den Kläger mehr bestanden habe. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht u.a. deshalb abgewiesen, weil bei der Veräußerung des Grundstücks nach dem 23. November 1989 keine besonderen Umstände erkennbar seien, die den Fortbestand der ursprünglichen Zwangslage belegten. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

II


Die Beschwerde des Klägers ist zulässig. Zwar hat er die Frist zur Einlegung der Beschwerde (§ 133 Abs. 2 Satz 1 VwGO) versäumt, ihm ist jedoch gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er hat glaubhaft gemacht, dass er ohne ihm zurechenbares Verschulden (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO) an der Einhaltung der Frist verhindert war.
Die Beschwerde ist unbegründet; die Voraussetzungen für die begehrte Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Der aufgeworfenen Frage,
ob unlautere Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG vorliegen, wenn staatliche Stellen der DDR von einem Ausreiseantragsteller am 23. November 1989 die Veräußerung eines Hausgrundstücks verlangten, nachdem sie ihm wenige Tage zuvor (am 14. November 1989) den Personalausweis abgenommen und ihn mit einer Aufenthaltsbeschränkung belegt hatten, um seine Ausreise ohne den geforderten Grundstücksverkauf zu verhindern und der Betroffene das Grundstück schließlich unter dem Eindruck des Verkaufsverlangens am 27. November 1989 verkaufte,
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Abgesehen davon, dass die Fragestellung in mehrfacher Hinsicht von Tatsachen ausgeht, die das Verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat, und ihre Beantwortung deshalb in dem beabsichtigten Revisionsverfahren nicht zu erwarten wäre, ist sie in einem Maße auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falles zugeschnitten, das einer über den Einzelfall hinausführenden, verallgemeinerungsfähigen Aussage entgegensteht. Im Übrigen ist die von dem Kläger angesprochene Frage, unter welchen Umständen ein im Zusammenhang mit einem Antrag auf Ausreise oder Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR nach dem 23. November 1989 abgeschlossener Verkauf eines Grundstücks auf unlauteren Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG beruht, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, soweit dies unabhängig von den Einzelheiten des jeweiligen konkreten Falles in abstrakt-genereller Weise möglich ist (vgl. Urteil vom 29. Februar 1996 - BVerwG 7 C 59.94 - BVerwGE 100, 310; Beschluss vom 3. Februar 1997 - BVerwG 7 B 25.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 103). Danach gilt die in den so genannten "Ausreisefällen" entwickelte Vermutung dafür, dass die Veräußerung von Grundstücken auf eine staatliche Nötigung zurückzuführen ist (Urteil vom 28. Juni 1995 - BVerwG 7 C 52.93 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 48), für die Zeit nach Öffnung der Grenzen der DDR nicht mehr. In dem Zeitraum zwischen dem 9. November 1989 und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Anordnung des Ministers der Finanzen zur Regelung von Vermögensfragen vom 11. November 1989 (GBl I S. 247) am 23. November 1989 kann der Tatbestand des § 1 Abs. 3 VermG nach den - mit Hilfe der allgemeinen Beweisregeln festzustellenden - Umständen des Einzelfalles gegeben sein. Für die Zeit danach kommt die Annahme einer unlauteren Machenschaft nur noch ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht (Urteil vom 29. Februar 1996, a.a.O., S. 314 und 317). Als eine auf "besonderen Umständen" beruhende Zwangslage hat das Bundesverwaltungsgericht etwa die Drohung staatlicher Stellen erwähnt, ein ungenehmigtes Verlassen der DDR mit polizeilichen oder strafrechtlichen Mitteln zu verhindern oder das zurückgelassene Grundstück - entgegen der geänderten Rechtslage - unter staatliche Treuhandverwaltung zu stellen und an einen Dritten zu veräußern. Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht ausgegangen. Darüber hinausgehende Erkenntnisse wären in dem Revisionsverfahren nicht zu erwarten.
2. Die Verfahrensrüge führt ebenfalls nicht zum Erfolg.
Der Kläger wirft dem Verwaltungsgericht vor, es habe mit seiner entscheidungstragenden Annahme, auf ihn sei bei dem Grundstücksverkauf kein staatlicher Druck ausgeübt worden, gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Denn das Verwaltungsgericht habe sich hierfür unter fehlerhafter Heranziehung einer Zeugenaussage darauf berufen, die von dem Kläger als Druckmittel angeführten Maßnahmen (Entzug des Personalausweises, Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung) seien ein übliches Mittel gewesen, um Urlaubsreisen von Ausreiseantragstellern in das sozialistische Ausland zu verhindern; diese Absicht habe er aber zu keiner Zeit gehabt. Dieses Vorbringen ergibt nicht, dass das Verwaltungsgericht sich seine Überzeugung fehlerhaft gebildet hat.
§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet das Gericht u.a. dazu, bei der Bildung seiner Überzeugung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen. Das Tatsachengericht darf somit nicht wesentliche Umstände übergehen oder den Sachverhalt nur selektiv, d.h. unter Ausblendung erheblicher Tatsachen, wahrnehmen. Im Übrigen sind Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung jedoch revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266).
Entgegen der Auffassung des Klägers leidet das angefochtene Urteil nicht an einem solchen Verfahrensmangel. Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag des Klägers ersichtlich zur Kenntnis genommen (vgl. UA S. 4 f.). Auf der Grundlage der Beweisaufnahme ist es in der Bewertung der Tatsachen dem Kläger allerdings nicht gefolgt. Vielmehr hat es nach dem 23. November 1989 Anhaltspunkte für eine Androhung polizeilicher oder strafrechtlicher Mittel bei ungenehmigter Ausreise oder der Anordnung von Treuhandverwaltung nicht feststellen können. Es hat ferner angenommen, in dem Entzug des Personalausweises und in der verfügten Aufenthaltsbeschränkung liege "keine polizeiliche Maßnahme, die einen besonderen Druck gerade auf den Kläger dargestellt hat, um ihn zum Verkauf seines Hauses zu zwingen" (UA S. 11). Unter Berufung auf seine eigene Sachkenntnis und auf die Aussage der Zeugin ... hat es diese Vorgehensweise vielmehr als "ein übliches Mittel (angesehen), um Ausreiseantragstellern an Urlaubsreisen in das sozialistische Ausland zu hindern". Das Verwaltungsgericht hat damit zum Ausdruck gebracht, dass diese Maßnahmen keine besonderen Umstände im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darstellten, die den staatlichen Druck zur Veräußerung des Grundstücks und damit die Zwangslage des Ausreisewilligen fortsetzen sollten. In diesem Zusammenhang hat es ergänzend die insoweit übereinstimmende Aussage der Zeugin ... herangezogen. Diese Bewertung hält sich im Rahmen der dem sachlichen Recht zuzuordnenden, also der Verfahrensrüge entzogenen Beweiswürdigung.
Soweit der Kläger eine aktenwidrige Berufung auf die Aussage der Zeugin ... rügt, geht die Beschwerde ebenfalls fehl. Das Verwaltungsgericht hat der Aussage der Zeugin ... keinen ihr widersprechenden Erklärungsinhalt beigemessen. Es hat deren Formulierung, die Entziehung des Personalausweises sei allen Leuten passiert, "die etwas unbequem waren", also auch anderen Ausreiseantragstellern, vor dem Hintergrund der zuvor dargelegten Zielrichtung dieser Maßnahmen als Beleg dafür gewertet, dass auch im Falle des Klägers keine anderen, d.h. auf die Grundstücksveräußerung abzielenden Gründe für die Ausweisentziehung vorgelegen hätten. Diese Folgerung ist jedenfalls nicht denklogisch ausgeschlossen. Ob sie überzeugend ist, mag dahinstehen; etwaige Zweifel beträfen allenfalls den dem Verfahrensrecht entzogenen Bereich der Beweiswürdigung. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht seine Annahme, die Ausweiseinziehung habe den Kläger nicht in eine ernstliche Zwangslage versetzt, auch auf dessen gleichwohl freiwillig durchgeführte vorübergehende Ausreise am 17. November 1989 gestützt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.