Beschluss vom 18.04.2006 -
BVerwG 2 BN 5.05ECLI:DE:BVerwG:2006:180406B2BN5.05.0

Beschluss

BVerwG 2 BN 5.05

  • Niedersächsisches OVG - 07.07.2005 - AZ: OVG 5 KN 93/04

In der Normenkontrollsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. April 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele und Groepper
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Rechtssache besitzt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

3 a) Die Frage, ob „§ 49 III 1 BBesG i.V.m. dem Gebot amtsangemessener Alimentation (Art. 33 V GG) im Rahmen einer typisierenden Regelung zur Bürokostenabgeltung im Gerichtsvollzieherdienst eine Differenzierung nach Untertypen“ gebiete, wenn feststehe, „dass bei den anfallenden Bürokosten der einzelnen Gerichtsvollzieher eine signifikante Varianz besteht, die zum Beispiel auf den ‚Charakter’ und Zuschnitt des Bezirkes, seine soziale Struktur, die in ihm zurückzulegenden Wege sowie zum Beispiel den anteiligen Anfall ‚lukrativer’ Vollstreckungsaufträge etc. beruht“, ist in der Rechtsprechung des beschließenden Senats bereits rechtsgrundsätzlich geklärt. Der Durchführung eines weiteren Revisionsverfahrens bedarf es nicht.

4 Im Urteil vom 4. Juli 2002 - BVerwG 2 C 13.01 - Buchholz 240 § 49 BBesG Nr. 2 hat der Senat ausgeführt, der Zweck des § 49 Abs. 3 Satz 1 BBesG bestehe nicht darin, den Gerichtsvollziehern eine zusätzliche Alimentation zu gewähren, sondern darin, eine landesrechtliche Aufwandsentschädigung zu ermöglichen, um die Beamten nicht mit Kosten zu belasten, die ihnen aufgrund dienstlicher Verpflichtungen effektiv entstehen und die sonst aus ihrer Alimentation zu bestreiten sind. Darauf aufbauend hat der Senat im Urteil vom 19. August 2004 - BVerwG 2 C 41.03 - NVwZ-RR 2005, 214 f. entschieden, dass die den Gerichtsvollziehern entstehenden Kosten in dem Umfang typisierend und pauschalierend abzugelten sind, in dem sie durch die Einrichtung und Unterhaltung eines Büros entstehen. Da der Gesetzgeber lediglich zum Kostenersatz verpflichtet ist, muss er die Entschädigung des jährlichen Sach- und Personalkostenaufwandes aktuell und realitätsnah an den tatsächlich entstandenen Kosten orientieren. Typisiert und pauschaliert er anhand eines landesweit oder gar bundesweit einheitlich ermittelten Aufwandes, wird er dieser Verpflichtung nur gerecht, wenn keine wesentlichen regionalen Unterschiede zur Differenzierung zwingen. Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung beispielhaft lediglich ein denkbares Stadt-Land-Gefälle angesprochen, doch liegt es auf der Hand, dass das Gebot der aktuellen Realitätsnähe auch andere regional bedingte Unterschiede umfassen kann, die im Rahmen einer typisierenden und pauschalierenden Kostenermittlung berücksichtigt werden müssen. Es ist nicht Sache eines Revisionsgerichts, sämtliche denkbaren Differenzierungsmerkmale festzulegen, zumal einzelne Gesichtspunkte in verschiedenen Abrechnungsperioden und Abrechnungsbereichen von unterschiedlichem Gewicht sein können, so dass sie dementsprechend auch unterschiedlich zu berücksichtigten sind.

5 b) Die Frage, ob „das aus Art. 33 V GG und § 49 III 1 BBesG folgende Gebot, ‚den jährlichen Sach- und Personalkostenaufwand aktuell und realitätsnah zu ermitteln’“, dahin zu verstehen sei, „dass in Bezug auf das jeweilige Abrechnungsjahr eine repräsentative Erhebung zu den anfallenden Bürokosten durchzuführen ist (‚aktuelle Ermittlung’), oder (ob) die Pflicht zur Feststellung der jährlichen Bürokosten erst durch bestimmte Indikatoren ausgelöst“ werde, „etwa eine signifikante Varianz bei den tatsächlichen Bürokosten, eine entsprechende Vielzahl von Anträgen auf Einzelfallerstattung o.ä.“, hat der Senat bereits mehrfach entschieden. Er hat sowohl mit Beschluss vom 10. April 1996 - BVerwG 2 B 48.96 - sowie mit Urteilen vom 4. Juli 2002 a.a.O. und vom 19. August 2004 a.a.O. festgestellt, dass dem § 49 Abs. 3 BBesG kein bestimmtes Entschädigungsmodell zu entnehmen ist. Daraus folgt, dass es dem Dienstherrn überlassen bleibt, wie er seiner Verpflichtung nachkommt, den jährlichen Sach- und Personalkostenaufwand aktuell und realitätsnah zu ermitteln. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, diese Rechtsprechung in einem erneuten Revisionsverfahren zu überprüfen.

6 Die Anschlussfrage, welche Bedeutung „im Rahmen der aktuellen und realitätsnahen Ermittlung der Sach- und Personalkosten die signifikante Varianz der Bürokosten aufgrund anderer als regionaler objektiver Unterschiede“ habe, würde in einem Revisionsverfahren nicht zur Entscheidung stehen, weil sie einzelfallbezogen und daher nicht rechtsgrundsätzlich ist. Zudem ist sie durch die zitierte Senatsrechtsprechung beantwortet. Danach steht fest, dass eine typisierende und generalisierende Kostenerstattung grundsätzlich Toleranzen bei der Entschädigung einzelner Beamter zulässt, wobei die Grenze der Zulässigkeit solcher Unterschiede dann überschritten ist, wenn das Gebot der Realitätsnähe verletzt wird.

7 c) Die Frage, ob „im Hinblick auf die Pflicht, die Bürokosten aktuell und realitätsnah zu ermitteln, das Gebot der Jährlichkeit“ bestehe, was heiße, ob „Art. 33 V GG und § 49 III 1 BBesG den Dienstherrn“ verpflichten, „für das jeweils laufende Abrechnungsjahr ein ‚Monitoring’ durch empirische Erhebung der Kostenwirklichkeit oder Ähnliches durchzuführen“, ist ebenso zu beantworten, wie die unter b) erörterte Frage: Der Dienstherr ist in der Art und Weise seiner Kostenermittlung normativ nicht festgelegt. Das gilt auch für die zeitlichen Abstände seiner Kontrolltätigkeit. Rechtlich entscheidend ist lediglich, dass die jährliche Kostenentwicklung realitätsnah und aktuell ermittelt wird. Daraus folgt ohne weiteres, dass der Dienstherr die jährliche Kostenentwicklung ständig zu beobachten hat.

8 Die Anschlussfrage, welche Rechtsfolgen sich ergäben, „wenn der Dienstherr gegen die Pflicht, den jährlichen Sach- und Personalkostenaufwand ‚aktuell und realitätsnah’ zu ermitteln, verstößt“, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

9 d) Die Frage, ob „die Ausschlussfrist des § 47 II 1 VwGO - insbesondere wenn Gemeinschaftsrecht betroffen ist - derart strikt“ sei, „dass (eine) Normenkontrolle gegen eine potentiell gemeinschaftsrechtswidrige Regelung unzulässig ist, wenn die direkt angegriffene Regelung vor mehr als zwei Jahren bekannt gemacht wurde, jedoch eine andere Regelung, die mit der angegriffenen Regelung in systematischem Zusammenhang steht und mittelbar Einfluss auf diese - angegriffene - Regelung hat, innerhalb der Zwei-Jahres-Frist geändert und neu bekannt gemacht wurde“, wäre kein Gegenstand des beabsichtigten Revisionsverfahrens. Denn der Kläger ist nicht teilzeitbeschäftigt, so dass die gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsproblematik nicht relevant ist und der Kläger insoweit nicht in seinen Rechten verletzt sein kann. Die Möglichkeit einer solchen Rechtsverletzung ist aber nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO Sachentscheidungsvoraussetzung.

10 2.  Unbegründet ist auch die Divergenzrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Der Antragsteller rügt zu Unrecht eine Abweichung des Berufungsurteils von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2002 a.a.O. und 19. August 2004 a.a.O. Denn eine Abweichung im Sinne der bezeichneten Vorschrift ist nur gegeben, wenn das Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgericht aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht. Das ist nicht der Fall.

11 In den Senatsurteilen vom 4. Juli 2002 a.a.O. und vom 19. August 2004 a.a.O. ist ausgeführt, dass der Dienstherr den jährlichen Sach- und Personalkostenaufwand der Gerichtsvollzieher aktuell und realitätsnah zu ermitteln habe. Typisiere und pauschaliere er landes- oder gar bundesweit, müsse er bei wesentlichen regionalen Unterschieden (z.B. Stadt-Land-Gefälle) differenzieren und dies bei seiner Durchschnittsberechnung berücksichtigen. Eine arbeitnehmergleiche Beschäftigung von Angehörigen, die ohne Entgelt und ohne Entrichtung von Sozialbeiträgen erfolge, müsse der Dienstherr bei der Auswertung seiner Erhebungen außer Betracht lassen. Das Normenkontrollgericht - so der Antragsteller - habe den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, einer aktuellen und realitätsnahen Ermittlung des jährlichen Sach- und Personalkostenaufwandes bedürfe es nicht, solange die Gerichtsvollzieher nicht nachgewiesen hätten, dass die ihnen entstehenden notwendigen Bürokosten nicht abgedeckt würden. Diesen stehe die Möglichkeit offen, gemäß § 3 Abs. 7 GVEntschVO im Einzelfall eine höhere Bürokostenentschädigung zu beantragen. Darin liege eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Denn das Normenkontrollgericht habe sich nicht einmal im Ansatz mit den rechtlichen Folgen befasst, die die - unstreitig - nicht durchgeführte Ermittlung der Bürokostenwirklichkeit im Land des Antragsgegners hinsichtlich der angegriffenen Verordnung habe.

12 Die geltend gemachte Abweichung liegt nicht vor. Das Normenkontrollgericht hat die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten und oben wiedergegebenen Rechtssätze weder in Frage gestellt noch einen gegenteiligen Rechtssatz aufgestellt. Es ist von seinem rechtlichen und tatsächlichen Ansatzpunkt ausgehend vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, es liege kein Verstoß gegen § 49 Abs. 3 BBesG vor, weil der Bürokostenaufwand für das Jahr 2002 mit 39 652 DM festgesetzt worden sei und dieser Betrag über dem Betrag von 32 642 DM liege, der nach der Durchschnittsberechnung der Arbeitsgruppe „Bürokostenentschädigung der Gerichtsvollzieher“ anzusetzen sei. Auch andere rechnerische Vergleiche zeigten, dass die niedersächsischen Gerichtsvollzieher nicht gezwungen seien, eigene Mittel für die Einrichtung und den Betrieb des Gerichtsvollzieherbüros einzusetzen, die ihnen gewährte Bürokostenentschädigung also auskömmlich sei. Bei diesen Ergebnissen seien - so sinngemäß das Normenkontrollgericht - die in der Senatsrechtsprechung herausgearbeiteten Gesichtspunkte, die diese Arbeitsgruppe nicht beachtet haben solle, nicht entscheidungserheblich. Das Normenkontrollgericht hat daher die Senatsrechtsprechung beachtet, sie jedoch aus tatsächlichen Gründen nicht angewandt. Ob dies zu Recht oder zu Unrecht nicht erfolgt ist, kann dahingestellt bleiben. Hierauf kommt es nicht an, weil die unrichtige Anwendung eines vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatzes die Abweichungsrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ohnehin nicht stützen kann.

13 3. Unbegründet sind schließlich die geltend gemachten Verfahrensrügen im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG und § 86 Abs. 1 VwGO.

14 a) Soweit der Antragsteller geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe seine Beweisanträge 1) bis 3) in der mündlichen Verhandlung vor dem Normenkontrollgericht am 7. Juli 2005 als wahr unterstellt und seinen Beweisantrag 4) wegen Unerheblichkeit abgelehnt, im angefochtenen Urteil hingegen ausgeführt, der beantragten Beweiserhebung habe es wegen der Bedeutungslosigkeit der Beweisanträge nicht bedurft, ist kein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens nach Art. 103 Abs. 1 GG gegeben. Zwar kann ein Gericht den Grundsatz des fairen Verfahrens z.B. verletzen, wenn es eine Tatsache zunächst als wahr unterstellt, sich später aber an diese Verfahrensweise nicht hält (BGH, Urteil vom 6. Juli 1983 - 2 StR 222/83 - BGHSt 32, 44 <47>). Darin kann jedoch nur ein Verfahrensverstoß gesehen werden, wenn die Entscheidung darauf beruht. Das ist hier nicht der Fall. Denn die Aussage des Normenkontrollgerichts, auf die beantragten Beweiserhebungen komme es nicht an, weil die den niedersächsischen Gerichtsvollziehern gewährte Bürokostenentschädigung auskömmlich sei, beruht auf der tatrichterlichen Feststellung, dass der Jahreskostenbetrag seit dem Jahr 2002 mit 39 652 DM angesetzt worden sei, dieser Betrag jedoch den Betrag übersteige, den die Arbeitsgruppe „Bürokostenentschädigung der Gerichtsvollzieher“ ermittelt habe, was letztlich auch die sog. Schäfterstudie vom 8. Dezember 2003 bestätige. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt daher nicht vor.

15 b) Der geltend gemachte Verstoß der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO), den der Antragsteller damit begründet, das Normenkontrollgericht habe die Beweiswürdigung vorweggenommen, indem es die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge letztlich (im Urteil) wegen Unerheblichkeit abgelehnt habe, liegt nicht vor. Denn auf diese Beweisanträge ist es nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts aus den unter a) genannten Erwägungen nicht angekommen.

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Wert des Streitgegenstandes ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.