Beschluss vom 18.02.2004 -
BVerwG 9 B 8.04ECLI:DE:BVerwG:2004:180204B9B8.04.0

Beschluss

BVerwG 9 B 8.04

  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 04.09.2003 - AZ: OVG 9 K 29/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Februar 2004
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r und Dr. N o l t e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Flurbereinigungsgericht) vom 4. September 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 4 000 € festgesetzt.

Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Grundsätzlich bedeutsam (§ 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist.
Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen,
ob "bei einem Flurneuordnungsverfahren nach dem 8. Abschnitt des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes in jedem Fall dann Nachsicht gemäß § 134 Abs. 2 FlurbG zu gewähren" ist, "wenn die Voraussetzungen einer Flurbereinigung (nach) dem 8. Abschnitt des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes, insbesondere die Voraussetzungen der §§ 53 und 64 LwAnpG, nicht vorliegen",
und
ob "bei einem Flurneuordnungsverfahren (nach) dem 8. Abschnitt des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes bei Nichtvorliegen der entsprechenden sich aus dem 8. Abschnitt des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes ergebenden Voraussetzungen, dort insbesondere die Vorschriften der §§ 53 und 64 LwAnpG, auf eine entsprechende Nachsicht insoweit das Flurbereinigungsverfahren aufzuheben" ist, "als die Aufhebung die einzige gesetzeskonforme Ermessensentscheidung sein kann",
wären in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig. Sie lassen sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits mit Beschluss vom 12. Februar 1963 (BVerwG 1 B 141.61 - BVerwGE 15, 271 <276 f.>) und Urteil vom 7. Mai 1965 (BVerwG 4 C 78.65 - BVerwGE 21, 93 <94 f.>) ausgeführt, welche Grundsätze bei der Anwendung von § 134 Abs. 2 Satz 1 FlurbG bzw. § 134 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FlurbG zu beachten sind. Geboten ist eine Interessenabwägung zwischen den Erfordernissen der Verfahrensbeschleunigung und der Rechtssicherheit, die eine zeitliche Begrenzung des Beschwerderechts verlangen, und dem sachlich-rechtlichen Anspruch des Teilnehmers auf eine gesetzeskonforme Entscheidung. Nur wenn dieser - vom Betroffenen infolge eigenen Verschuldens nicht mehr durchsetzbare - Anspruch derart berührt wird, dass für den Betroffenen offenkundig eine unbillige Härte eintritt, ist die Nachsichtgewährung gerechtfertigt. Dies schließt es aus, die Nachsichtgewährung einseitig von der rechtlichen Beurteilung der mit einem verspäteten Rechtsbehelf angegriffenen Entscheidung abhängig zu machen. Ob dem Begehren einer rechtlichen Überprüfung der getroffenen Sachentscheidung entsprochen werden soll, lässt sich vielmehr nur unter Berücksichtigung auch der erwähnten gegenläufigen Belange "nach Lage des einzelnen Falles" (§ 134 Abs. 2 Satz 1 FlurbG) entscheiden. Erst im Anschluss an die gewährte Nachsicht ist Raum für die eigentliche rechtliche Überprüfung des angegriffenen behördlichen Akts, die dann so zu erfolgen hat, als läge ein fristgerechter Rechtsbehelf vor (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Februar 1963, a.a.O., S. 276). Im Rahmen einer sinngemäßen Anwendung der genannten Regelungen nach § 63 Abs. 2 LwAnpG kann nichts anderes gelten.
2. Ohne Erfolg macht die Beschwerde eine Abweichung des angegriffenen Urteils von dem Urteil des Senats vom 9. Juli 1997 (BVerwG 11 C 2.97 - BVerwGE 105, 128) geltend.
Insoweit fehlt es schon an der nach § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen schlüssigen Darlegung eines im angegriffenen Urteil aufge-
stellten abweichenden Rechtssatzes. Dass die Vorinstanz im Zuge der Prüfung einer Nachsichtgewährung keine Ausführungen zu den Voraussetzungen des § 64 Satz 1 LwAnpG gemacht hat, rechtfertigt nicht den Schluss, sie halte ein auf diese Bestimmung gestütztes Verfahren unabhängig von deren Voraussetzungen für zulässig. Vielmehr zeigt die Argumentation in den Urteilsgründen auf, dass das Oberverwaltungsgericht auf Ausführungen hierzu verzichtet hat, weil das Vorliegen dieser Voraussetzungen gar nicht in Zweifel gestanden, die Klägerin Bedenken gegen die Zulässigkeit des Bodenneuordnungsverfahrens vielmehr nur aus § 3 LwAnpG hergeleitet hat, sich hieraus aber eine die Nachsichtgewährung rechtfertigende Härte nicht herleiten lässt.
Unabhängig davon kann die Abweichungsrüge eine Zulassung der Revision auch deshalb nicht rechtfertigen, da die Vorinstanz die Gewährung von Nachsicht mit der selbständig tragenden Erwägung abgelehnt hat, dass die Klägerin nicht unverzüglich nach Kenntniserlangung von dem Anordnungsbeschluss (spätestens im August 2000) Widerspruch eingelegt hat.
3. Die geltend gemachten Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.
Das gilt zum einen für die Rüge, das Oberverwaltungsgericht sei von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen. Ein zweifelsfreier, d.h. ohne weitere Beweiserhebung offensichtlicher Widerspruch zwischen den Feststellungen der Vorinstanz und dem Akteninhalt, der Voraussetzung für einen derartigen Verfahrensfehler ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 7), liegt nicht vor, weil entgegen dem Beschwerdevorbringen, nichts weise auf die Notwendigkeit einer Zusammenführung von Grund- und Gebäudeeigentum als rechtfertigenden Grund für die Anordnung des Bodenordnungsverfahrens hin, das Protokoll der mündlichen Verhandlung eine Erklärung des Beklagten wiedergibt, wonach für mehrere näher bezeichnete Flurstücke Grund- und Gebäudeeigentum auseinander fallen.
Schon mit Rücksicht auf diese von der Klägerin nach dem Protokollinhalt nicht in Frage gestellte Erklärung des Beklagten brauchten sich der Vorinstanz in dieser Hinsicht weitere Sachverhaltsermittlungen, deren Unterbleiben die Klägerin mit ihrer ferner erhobenen Aufklärungsrüge beanstandet, nicht aufzudrängen. Im Übrigen bestand für eine weitere Sachaufklärung aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts auch deshalb kein Anlass, weil es - wie ausgeführt - eine Nachsichtgewährung gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1 FlurbG auch unabhängig von seinen materiellrechtlichen Erwägungen zum Vorliegen einer unbilligen Härte abgelehnt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG i.V.m. § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.