Urteil vom 18.02.2003 -
BVerwG 1 D 19.02ECLI:DE:BVerwG:2003:180203U1D19.02.0

Urteil

BVerwG 1 D 19.02

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 18. Februar 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Regierungshauptsekretär Ralf K a t t und
Postbetriebsassistent Johannes K e r s t i n g
als ehrenamtliche Richter
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Polizeihauptmeisters im BGS ... wird das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer VII - ... -, vom 14. Mai 2002 aufgehoben.
  2. Der Beamte wird freigesprochen.
  3. Die Kosten des Verfahrens sowie die dem Beamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

I


1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den am ... geborenen Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
als Angehöriger ... der BGSI ... C. unversteuerte und unverzollte Waren, die er am 8. Juni 1999 im Rahmen einer Nordseestreife bei einem Zwischenaufenthalt auf der Insel ... erworben hatte, und die ihrer Menge nach der Einfuhrabgabepflicht unterlagen, am 12. Juni 1999 bei der Rückkehr nach C. in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt hat, ohne die Waren zuvor dem Bootskommandanten zur Anzeige zwecks Zollbehandlung bei der Zollbehörde zu melden, wodurch er Steuern verkürzte.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 14. Mai 2002 die jeweiligen Dienstbezüge des Beamten auf die Dauer von zwei Monaten um ein Zwanzigstel gekürzt. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Beamte war in der Zeit vom 8. Juni bis zum 12. Juni 1999 Mitglied einer Seestreife ... der Bundesgrenzschutzinspektion (BGSI) ... C. in der Nordsee. Im Rahmen der grenzschutzspezifischen Aufgaben wurde unter anderem auch die Insel ... angelaufen. Auf der Insel ... besteht bei ortsansässigen Schiffshändlern die Möglichkeit zum zollfreien Einkauf. Gemäß § 3 Abs. 4 Nr. 3 der Verordnung über die Eingangsabgabenfreiheit von Waren im persönlichen Gepäck der Reisenden vom 3. Dezember 1974 - EF-VO - (BGBl I S. 3377) ist die Abgabenfreiheit für Reisemitbringsel nach § 2 Abs. 1 Satz 1 EF-VO für Personen, die beruflich oder dienstlich auf Wasserfahrzeugen von Behörden üblicherweise mehr als einmal im Kalendermonat einreisen, beschränkt. Für Tabakwaren gilt eine Beschränkung auf maximal 40 Zigaretten pro Einreise. Für Alkohol und alkoholhaltige Getränke ist die Einfuhr ausgeschlossen.
Soweit Besatzungsmitglieder über die Freimengen hinausgehende Waren auf das Festland einführen wollten, waren diese der zuständigen Zollbehörde anzuzeigen. Da das Boot des Bundesgrenzschutzes ... in C. anlegte, wo Zollkontrollen üblicherweise nicht mehr erfolgten, wurde in Übereinstimmung mit den Zollbehörden so verfahren, dass das Besatzungsmitglied über die Freimengen hinausgehende Wareneinkäufe dem Kommandanten rechtzeitig - spätestens bis zum Anlaufen des Bootes in C. - zu melden hatte, der die Gestellung dieser Waren sodann vorzunehmen hatte. Dabei hatte der Kommandant solche Waren bereits vor Einlaufen des Schiffes in C. vom BGS-Boot aus dem Zoll anzuzeigen. Über diese Verfahrensweise wurden die Beamten aller Bootsbesatzungen regelmäßig belehrt. Bereits 1988 waren die Besatzungsmitglieder in einem Kommandantenbrief auf diese Zollbestimmungen hingewiesen worden. Zudem wurde kurz vor Einlaufen in den Hafen - wie üblich - über Schiffslautsprecher die Zollbelehrung durch den Kommandanten des Bootes durchgeführt. Ein entsprechender Vermerk wurde im Logbuch aufgenommen.
Nach Beendigung des ...aufenthaltes und Rückkehr der Seestreife am 12. Juni 1999 nach C. verließ die Besatzung das Boot und sollte mit zwei Fahrzeugen zur Bundesgrenzschutzdienststelle in A. gefahren werden. Nach etwa 400 Meter wurden die beiden Fahrzeuge durch den Zoll gestoppt und eine Zollkontrolle bei der Zolldienststelle C. durchgeführt. Das Gepäck jedes Besatzungsmitgliedes wurde einer Zollkontrolle unterzogen. Dabei wurden bei 13 von 16 Besatzungsmitgliedern zollpflichtige Waren (d.h. Zigaretten oder/und Alkohol) festgestellt, die über der zulässigen abgabefreien Menge lagen. Der Kommandant hatte vor Einlaufen in den Hafen keine Meldung an den Zoll abgegeben, da ihm von den betroffenen Besatzungsmitgliedern ebenfalls keine Meldung gemacht worden war.
Die betroffenen Besatzungsmitglieder mussten die übermäßig eingeführten Waren nachverzollen, ohne dass diese beschlagnahmt wurden.
Bei zwei der Besatzungsmitglieder wurden so große Mengen an zollpflichtigen Waren gefunden, dass für diese die bloße Nachverzollung nicht möglich war. Die Zollbeamten unterbreiteten daraufhin den Vorschlag, Waren unter den Besatzungsmitgliedern pro forma umzuverteilen. Hierdurch wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren vermieden. Vier Beamte - unter anderen auch der Beamte - übernahmen "pro forma" Waren, wobei letztendlich jeder der betroffenen Beamten nur den von ihm tatsächlich eingeführten Waren entsprechend die Nachverzollung übernahm.
Bei dem Beamten wurden anlässlich der Gepäckkontrolle eine 1-Literflasche Pitu (Spirituosen) gefunden. Auf den von ihm eingeführten Alkohol hatte er 13,30 DM Einfuhrabgaben sowie 13,30 DM Zuschlagszahlung, somit insgesamt 26,60 DM zu zahlen.
Der Beamte erklärte, er habe Kenntnis von der zollrechtlichen Belehrung und des Kommandantenbriefs gehabt. Er habe aber nicht gewusst, dass sein Einkauf über der Freimenge liege. Unter der Besatzung sei die Auffassung herrschend gewesen, es gälten höhere Freimengen. Aus dem Dienstplan des Jahres 2001 sei erkennbar, dass jede Besatzung nicht mehr als 12 Fahrten pro Jahr machte. Deshalb habe er auch mehr als die große Freimenge eingekauft, da er auch nicht regelmäßig, sondern nur während einer 4-monatigen Abordnung an 5 Streifen teilgenommen habe. Die Meldepflicht an den Kommandanten habe er nicht gekannt, früher hätten Listen ausgelegen, was jedoch in diesen 4 Monaten nicht der Fall gewesen sei.
Das Bundesdisziplinargericht hat die festgestellte Handlungsweise des Beamten als grob fahrlässigen Verstoß gegen die ihm obliegende Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten innerhalb des Dienstes gewürdigt (§ 54 Satz 3, § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG). Er habe gegen § 370 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung verstoßen, da er abgabepflichtige, zollpflichtige Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft (EG) eingeführt habe, ohne diese an den Zoll im Vorwege zu melden. Auf die tatsächliche Zahl der Seestreifen pro Monat komme es nicht an, wenn in der Regel eine größere Anzahl durchgeführt werde. Hierbei sei die Zahl der Einreisen in das EG-Gebiet entscheidend. Aus dem vom Beamten vorgelegten Dienstplan gehe hervor, dass im Jahr 2001 für eine Besatzung 13 Fahrten stattgefunden hätten (je eine pro Monat und im Juni zwei). Da auf die übliche Zahl der Streifen abzustellen sei, sei es gleich, dass der Beamte nur vier Monate dort tätig gewesen sei. Es seien auch für ihn mehr als eine Streife pro Monat angefallen, da er in dem Zeitraum von März bis Juni 1999 sieben Mal zum Festland zurückgekehrt sei. Auf den Charakter als Streifenfahrt komme es zollrechtlich nicht an, vielmehr sei die Tatsache der Einreise in das EG-Gebiet entscheidend. Da er die entsprechenden Vorschriften aus dem Kommandantenbrief und seine Meldepflicht gekannt habe, dennoch die erforderliche Meldung unterlassen habe, habe er jedenfalls fahrlässig gehandelt. Ihm sei insoweit nicht zu widerlegen, dass er davon ausgegangen sei, berechtigt einen Liter Alkohol einzuführen. Diese Fehleinschätzung sei jedoch leicht zu vermeiden gewesen. Die Gesamtumstände machten die Verhängung einer Gehaltskürzung erforderlich. Aufgrund der äußerst geringen eingeführten Mengen sei eine Laufzeit von zwei Monaten angemessen. Soweit der Beamte Waren für die beiden Kollegen pro forma übernommen habe, sei ihm ein disziplinarrechtlicher Vorwurf nicht zu machen. Die gesamte Besatzung sei davon ausgegangen, dass der Vorschlag der Zollbeamten unbedenklich sei. Da eine schnelle Entscheidung habe getroffen werden müssen, sei von einem nicht vermeidbaren Irrtum auszugehen.
3. Gegen dieses Urteil hat der Beamte rechtzeitig Berufung eingelegt und beantragt, ihn freizusprechen, hilfsweise das Verfahren einzustellen. Das Rechtsmittel wird im Wesentlichen wie folgt begründet:
Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung habe er davon ausgehen dürfen, dass er berechtigt gewesen sei, die so genannte "große Freimenge" einzuführen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Einleitungsbehörde umfangreichen Schriftverkehr mit den Zollbehörden habe führen müssen, um selbst feststellen zu können, was zoll- und steuerrechtlich zulässig gewesen sei. Wenn er insoweit einem Verbotsirrtum unterlegen sei, sei dieser nicht zu vermeiden gewesen. Die Einleitungsbehörde hätte unter Beteiligung mehrerer Volljuristen und umfangreicher Korrespondenz mit den zuständigen Zollbehörden erst nach monatelanger Prüfungstätigkeit ermitteln können, dass für ihn angeblich nur die kleine Freimenge zulässig gewesen sei. Über derartige Mittel habe er zum Zeitpunkt seines Handelns nicht verfügt. Es habe sich um seine letzte Fahrt auf einer Nordseestreife gehandelt; seine Abordnung sei beendet gewesen. Insoweit sei sein Fall anders gelagert, als die Fälle der Stammbesatzungen, die regelmäßig Nordseestreifen führen. Aus der kurzen Abordnung und der Beendigung der Abordnung ergebe sich im Übrigen, dass er nicht unter den Personenkreis falle, der jährlich üblicherweise mehr als einmal je Kalendermonat einreise. Die Durchführung eines förmlichen Disziplinarverfahrens sei unverhältnismäßig gewesen. Unabhängig von der Irrtumsproblematik sei das angeschuldigte Verhalten am unteren Rand jeglicher disziplinarrechtlicher Ahndung zu werten.

II


Die Berufung ist begründet. Sie führt zum Freispruch des Beamten gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1, § 76 Abs. 2 BDO. Der Beamte befand sich zum Tatzeitpunkt in einem nicht vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 Satz 1 StGB). Das Disziplinarverfahren war auch nach In-Kraft-Treten des neuen Bundesdisziplinargesetzes nach bisherigem Recht, das heißt nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung als übergangsweise fortgeltendem Recht fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht: Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Dem Beamten, der den äußeren Geschehensablauf der Tatvorwürfe nicht in Abrede gestellt hat, kann nicht nachgewiesen werden, dass er schuldhaft, das heißt zumindest fahrlässig, ein Dienstvergehen begangen hat.
Zwar spricht viel dafür, dass für den Beamten nur die so genannte kleine abgabefreie Menge galt. Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EF-VO ist die Abgabefreiheit bei Personen beschränkt, die beruflich oder dienstlich auf ... Wasserfahrzeugen von Behörden ... tätig sind und in dieser Eigenschaft üblicherweise mehr als einmal im Kalendermonat einreisen. Bei dem Merkmal "üblicherweise" ist auf dienstliche regelmäßige Planung abzustellen. Es hat keine langfristige Durchschnittsbetrachtung stattzufinden, vielmehr ist hierbei auf den Kalendermonat abzustellen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Beamte im Durchschnitt der dreimonatigen Abordnung mehr als 1,0 Streifenfahrten durchgeführt hatte. Sofern feststeht, dass im Einzelfall ein Besatzungsmitglied nicht mehr als einmal im Kalendermonat einreist, steht ihm für diesen Monat die große Freimenge zu. Diese Auffassung stimmt überein mit der Auskunft der Oberfinanzdirektion ... vom 18. Februar 2000.
Bei der in der Zeit vom 8. Juni bis 12. Juni 1999 durchgeführten Streifenfahrt handelte es sich dienstplanmäßig um die erste und letzte Fahrt des Beamten im Monat Juni 1999. Er ist aber, was zollrechtlich entscheidend ist, während dieser Streifenfahrt mehr als einmal in einen Hafen des deutschen Festlands eingelaufen. In der Hauptverhandlung vor dem Senat hat der Beamte hierzu erklärt: Mit seiner letzten Streifenfahrt sei er zunächst von C. aus nach ... gefahren. Dort seien einige Fahrgäste des Grenzschutzes abgesetzt worden, um einen Lotsenversetzer zu besichtigen. Im Austausch sei vom Lotsenversetzer anderes Personal wieder mit zurückgenommen worden; die Besatzung des Streifenbootes sei hierbei nicht ausgebootet worden, sondern an Bord geblieben. Sodann sei wieder C. angelaufen worden, nur um das beförderte Personal abzusetzen und danach sogleich, das heißt ohne Landgang für die Besatzung, auf die eigentliche Streifenfahrt zu gehen. Hierbei sei ... abermals angelaufen worden und es habe Gelegenheit zum Einkauf bestanden. Danach ist der Beamte zweimal im Hafen C. eingelaufen. Dass er nur einmal Gelegenheit zum zollfreien Einkauf hatte und bei der ersten Einreise das Schiff nicht verlassen hat, dürfte für die Feststellung einer Einreise im zollrechtlichen Sinne keine Rolle spielen.
Auch wenn dem Beamten nur die kleine Freimenge zustand, kann ihm jedenfalls ein Schuldvorwurf nicht gemacht werden, weil er sich bei der Einführung der einen 1-Literflasche Spirituosen in einem nicht vermeidbaren Verbotsirrtum befand (§ 17 Satz 1 StGB). Zwar war ihm der Inhalt des Kommandantenbriefes vom 11. Februar 1988 bekannt. In diesem wird aber das hier entscheidende Problem der Zahl der Einreisen überhaupt nicht erwähnt, geschweige denn problematisiert. Auch die auf dem Schiff durchgeführte Zollbelehrung war unvollständig. Abgesehen davon, dass der Beamte vorgetragen hat, die Zollbelehrung über Bordlautsprecher habe dahin gelautet, sie (die Besatzungsmitglieder) sollten an die Belehrung denken, hat der Zeuge J. ausgesagt, die Zollbelehrung beinhalte unter anderem die Anmeldepflicht durch die Besatzung, wenn unverzollte Waren über die Freimenge hinaus in das Zollinland eingeführt werden sollten. Die Frage, wem welche Freimenge zustand, wurde danach ebenfalls nicht geklärt. Zwar hätte es nahe gelegen, dass der Beamte zur Vermeidung eines Verbotsirrtums sich im Besonderen an den Zeugen J. zur Klärung der Frage gewandt hätte, ob für ihn die große oder kleine Freimenge gelte, er hätte dann aber eine zumindest unvollständige Auskunft erhalten. Wie der Zeuge J. im Vorermittlungsverfahren erklärt hat, sei die Zollbelehrung für alle Besatzungsmitglieder, auch für jene, die nur abgeordnet waren, gültig gewesen. Dies wäre in den Fällen, in denen im Einzelfall nur eine Einreise im Kalendermonat stattfindet, unzutreffend gewesen. Wenn die Vorinstanz ausführt, die Fehleinschätzung des Beamten sei leicht zu vermeiden gewesen, ohne zu sagen, wie dies hätte geschehen sollen, so kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr ist die Rechtslage, worauf die Verteidigung zutreffend hinweist, erst durch die Befassung mehrerer Volljuristen, und diese in ihrer Auffassung teilweise voneinander abweichend, zu klären versucht worden.
Soweit das Bundesdisziplinargericht Überlegungen angestellt hat, inwieweit der Vorfall, wonach der Beamte pro forma Waren für zwei Kollegen übernommen hat, disziplinar zu berücksichtigen sei, sind diese bereits deshalb entbehrlich, weil dem Beamten insoweit in der Anschuldigungsschrift ein Vorwurf nicht gemacht worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.