Beschluss vom 17.12.2004 -
BVerwG 1 B 96.04ECLI:DE:BVerwG:2004:171204B1B96.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.12.2004 - 1 B 96.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:171204B1B96.04.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 96.04

  • Hessischer VGH - 15.03.2004 - AZ: VGH 12 UE 1218/03.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Dezember 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und H u n d
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., beigeordnet.
  2. Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. März 2004 aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe folgt aus § 166 VwGO, § 114 ZPO.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.
Zwar ist im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nicht jedes Vorbringen der Beteiligten braucht in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich beschieden zu werden. Eine Gehörsverletzung kann aber festgestellt werden, wenn sich ausnahmsweise deutlich ergibt, dass das Gericht ein bestimmtes Vorbringen nicht oder nicht ausreichend in Erwägung gezogen hat. So liegt der Fall hier.
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20. November 2003 dargelegt, seine Schwester sei im August 2003 in den Niederlanden als Asylberechtigte anerkannt worden. Ferner ergebe sich aus der dem Schriftsatz beigefügten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Staatssicherheitsgericht D. vom 20. Juni 1995, dass ihr der Vorwurf der Mitgliedschaft in der PKK sowie von Aktivitäten in einem Ausbildungslager der militärischen Abteilung dieser Organisation gemacht werde. Sie könne damit als Aktivistin einer militanten separatistischen Organisation angesehen werden, die als Zielperson für sippenhaftähnliche Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen den Kläger im Falle seiner Rückkehr in Frage komme.
In den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils (UA S. 41) wird zwar der Vortrag des Klägers erwähnt, seine Schwester lebe als politischer Flüchtling in den Niederlanden, auch sei vor dem Staatssicherheitsgericht ein Verfahren gegen sie anhängig. Nicht erwähnt wird jedoch der weitere Vortrag des Klägers zu einer PKK-Mitgliedschaft seiner Schwester und zu ihren Aktivitäten für diese Organisation. Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Berufungsgericht diesen Vortrag zur Kenntnis genommen hat, ist der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist nämlich davon auszugehen, dass sich das Berufungsgericht jedenfalls nicht ausreichend mit dem in Rede stehenden Vorbringen auseinander gesetzt hat. Dies wäre, wie die Beschwerde zutreffend geltend macht, insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vermehrt darüber berichtet wird, dass Familienangehörige aktiver PKK-Angehöriger menschenrechtswidrig behandelt würden, da angenommen werde, dass auch sie die PKK unterstützten (UA S. 39). Inwiefern dies beim Kläger anders sein soll und ob seine Behauptungen zutreffen, lässt sich den Entscheidungsgründen nicht entnehmen.
Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, kann das Berufungsurteil auf der Gehörsverletzung beruhen. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht im Falle einer ausreichenden Berücksichtigung des erwähnten Vorbringens zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG droht. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass es das Berufungsgericht bisher unterlassen hat zu prüfen, ob - nach der 1997 rechtskräftig bestätigten Ablehnung eines ersten Asylantrags - nunmehr auch die Voraussetzungen für einen Folgeantrag nach § 71 AsylVfG, § 51 VwVfG vorliegen.
Hat bereits diese Gehörsrüge Erfolg, kommt es auf die weiteren von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen nicht an.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.