Beschluss vom 17.12.2004 -
BVerwG 1 B 60.04ECLI:DE:BVerwG:2004:171204B1B60.04.0

Beschluss

BVerwG 1 B 60.04

  • Hamburgisches OVG - 14.11.2003 - AZ: OVG 1 Bf 21/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Dezember 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. November 2003 wird verworfen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2 000 € festgesetzt.

Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. § 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die allein auf den Verfahrensmangel der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie legt den geltend gemachten Verfahrensmangel nicht in einer Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
Die Beschwerde sieht einen Aufklärungsmangel darin, dass das Berufungsgericht nicht weitere Ermittlungen zur Echtheit der vom Kläger vorgelegten Faxkopie eines Haftbefehls des Revolutionsgerichts der Stadt T. vom 21. Oktober 2002 durchgeführt hat. Das Berufungsgericht habe zu diesem Dokument die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 19. August 2003 eingeholt. Dieses habe die Ansicht vertreten, der Faxkopie liege kein authentischer Haftbefehl zugrunde, da die Zusammensetzung des verwendeten Geschäftszeichens nicht der bei der iranischen Justiz üblichen Systematik entspreche, der verwendete Stempel absolut unüblich abgebildet sei, entgegen der gängigen Praxis die Gründe für den Haftbefehl angegeben seien sowie auf dem Schreiben ein Vermerk über die erfolgte Zustellung fehle; im Übrigen bekämen Angehörige einen solchen Haftbefehl ohne Quittierung des Empfanges auf dem Schreiben in der Regel nicht ausgehändigt. Diese Würdigung, der sich das Oberverwaltungsgericht angeschlossen habe, stehe in Widerspruch zu
den vom Gericht selbst verwerteten Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 2. Juni 2003 und 3. März 2004, nach denen die Revolutionsgerichte mit religiösen Richtern besetzt seien, deren juristische Kompetenz unzureichend sei und die keine allgemeine juristische Ausbildung vorweisen könnten. Die Verfahren vor den Revolutionsgerichten seien häufig kurz und summarisch. Der iranische Staats- und Justizapparat habe nicht den gleichen Effektivitäts- und Effizienzgrad wie in einem westlichen Rechtsstaat und habe mangels qualifizierten Personals und wegen Geldknappheit mit den gewachsenen Anforderungen nicht Schritt gehalten. Angesichts der in diesen Lageberichten aufgezeigten Mängel in der Ausbildung und Organisation der Revolutionsgerichte könne aus den in der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 19. August 2003 aufgezeigten formalen Mängeln des Dokuments nicht der Schluss gezogen werden, es handele sich um keinen authentischen Haftbefehl. Vielmehr hätte es sich dem Oberverwaltungsgericht aufdrängen müssen, durch Einholung einer speziellen Auskunft des Auswärtigen Amtes oder des Deutschen Orientinstituts oder sonstiger Sachverständiger weiter aufzuklären, dass Formalverstöße bei der Fertigung und Handhabung von Schriftstücken der iranischen Revolutionsgerichte nicht notwendig den Schluss auf die fehlende Authentizität dieser Dokumente zuließen. Es sei nicht auszuschließen, dass das Gericht dann zu dem Ergebnis gekommen wäre, der Kläger werde im Iran wegen des von ihm begangenen Rauschgiftdelikts per Haftbefehl gesucht und es bestehe eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Doppelbestrafung mit Todesstrafe oder mindestens einer menschenrechtswidrigen sonstigen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK. Eines ausdrücklichen Beweisantrags habe es insoweit nicht bedurft, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Berufungsverhandlung die einschlägigen Passagen der Lageberichte des Auswärtigen Amtes über Einrichtung und Mängel der Revolutionsgerichte verlesen habe.
Dieses Vorbringen ergibt keine ordnungsgemäße Aufklärungsrüge. Die Beschwerde legt nicht - wie erforderlich - dar, dass sich dem Gericht die von der Beschwerde vermissten weiteren Ermittlungen zur Echtheit des vom Kläger vorgelegten Dokuments auch ohne einen Beweisantrag des anwaltlich vertretenen Klägers in der mündlichen Verhandlung von Amts wegen hätten aufdrängen müssen. Hat das Tatsachengericht - wie hier - zur Echtheit eines von einem Beteiligten vorgelegten Dokuments bereits eine gutachterliche Stellungnahme eingeholt, muss sich ihm eine weitere Beweiserhebung nur dann aufdrängen, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit des bereits vorliegenden Gutachtens - sei es im Allgemeinen oder sei es mit Blick auf die besonderen Verhältnisse des konkreten Streitfalles - nicht gegeben sind, weil es offen erkennbare Mängel aufweist, namentlich von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn sich aus ihm Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters ergeben oder wenn sich herausstellt, dass es sich um eine besonders schwierige Fachfrage handelt, die ein spezielles Fachwissen erfordert, das bei dem bisherigen Gutachter nicht vorhanden ist. Eine Verpflichtung zur Einholung weiterer Gutachten besteht hingegen nicht allein schon deshalb, weil ein Beteiligter die bisherigen Erkenntnisquellen im Ergebnis für unzutreffend hält (stRspr vgl. etwa Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - und Beschluss vom 30. März 1995 - BVerwG 8 B 167.94 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 und Nr. 48 jeweils m.w.N.). Dass die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 19. August 2003 zur Echtheit des Haftbefehls an einem Mangel der genannten Art leidet, legt die Beschwerde nicht dar. Insbesondere steht die Stellungnahme nicht, wie die Beschwerde behauptet, in erkennbarem Widerspruch zu den von der Beschwerde zitierten Passagen der Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 2. Juni 2003 und vom 3. März 2004. Denn diese allgemeinen Ausführungen über Mängel in der Ausbildung der Richter und der Organisation der Revolutionsgerichte sagen nichts darüber aus, in welcher äußeren Form die Entscheidungen dieser Gerichte ergehen. Im Übrigen ist auch nicht erkennbar, dass das Auswärtige Amt bei der konkreten Beurteilung der Echtheit des Dokuments seinerseits die ihm bekannten, bei den Revolutionsgerichten in der Praxis herrschenden Rahmenbedingungen nicht berücksichtigt hätte. Auch im Hinblick auf die Vielzahl der vom Auswärtigen Amt aufgezeigten Mängel des Dokuments brauchte sich dem Berufungsgericht damit eine weitere Beweiserhebung nicht aufzudrängen, zumal der anwaltlich vertretene Kläger selbst nicht durch geeignete prozessuale Mittel wie die Stellung eines Beweisantrags auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes (Duldung) in Höhe des halben Auffangwertes ergibt sich aus § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 und 3 GKG a.F. i.V.m. § 72 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).