Beschluss vom 17.12.2003 -
BVerwG 4 B 96.03ECLI:DE:BVerwG:2003:171203B4B96.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.12.2003 - 4 B 96.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:171203B4B96.03.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 96.03

  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 02.07.2003 - AZ: OVG 3 L 157/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Dezember 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l und
Dr. J a n n a s c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 2. Juli 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte; außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Die Kläger haben in einem vorangegangenen Klageverfahren die Aufhebung einer dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung erreicht, weil das genehmigte Hinterhofgebäude (auch) gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts verstoße. Ihren Antrag auf Einschreiten gegen das bereits errichtete Gebäude hat der Beklagte gleichwohl abgelehnt. Ihre Klage, den Beklagten zu verpflichten, den Abriss des Gebäudes anzuordnen, hat das Berufungsgericht abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Die Beschwerdebegründung rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Mit ihren auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Rügen wenden sich die Kläger gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe ermessensfehlerfrei ein Einschreiten ablehnen dürfen. Sie machen geltend, das Ermessen des Beklagten sei hier auf Null reduziert. Damit können sie im Beschwerdeverfahren nicht durchdringen. Eine entscheidungserhebliche Grundsatzfrage des revisiblen Rechts ergibt sich aus den sechs Grundsatzrügen (Beschwerdebegründung S. 4 f.) nicht.
Wie die Beschwerde nicht verkennt, richtet sich hier die Ermessensausübung nach § 80 Abs. 1 LBauO M-V und gehört deshalb grundsätzlich zum irrevisiblen Landesrecht. Insoweit ist die Entscheidung des Berufungsgerichts einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht entzogen (§ 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 560 ZPO).
Das schließt nicht aus, dass bei der Ermessensausübung auch Bundesrecht zu beachten ist. Die Beachtung und Durchsetzung des materiellen Bauplanungsrechts steht im Rahmen landesrechtlich geregelter Verfahren grundsätzlich nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1985 - BVerwG 7 C 65.82 - BVerwGE 72, 300). Insoweit kann das Entscheidungsermessen der Bauordnungsbehörde beim Erlass einer Abrissverfügung auch durch den Gesichtspunkt der Wahrung bauplanungsrechtlicher Zustände beeinflusst werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. April 1998 - BVerwG 4 B 144.97 - UPR 1998, 355 <mit krit. Anmerkung Jäde, UPR 1998, 326>; Beschluss vom 9. Februar 2000 - BVerwG 4 B 11.00 - ZfBR 2000, 490). Nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf jedoch, dass Verstöße gegen Bauplanungsrecht oder allgemein die Verletzung von Bundesrecht das Ermessen der Bauordnungsbehörde nicht immer oder regelmäßig auf Null reduzierten. Bereits in seinem Urteil vom 18. August 1960 - BVerwG 1 C 42.59 - (BVerwGE 11, 95) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass Bundesrecht den Landesgesetzgeber nicht hindere, der Baupolizei Ermessensfreiheit zu geben (so auch BVerwG, Beschluss vom 4. Oktober 1990 - BVerwG 4 B 44.90 - <juris>); dem stehe weder Art. 14 GG noch der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit entgegen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass diese Rechtsauffassung einer erneuten Überprüfung bedarf.
Dagegen mag sich aus der bisherigen Rechtsprechung nicht ergeben, in welcher Weise Bundesrecht bei der Ermessensausübung durch die Bauordnungsbehörde zu berücksichtigen ist. Es ist aber schon zweifelhaft, ob sich hierzu überhaupt allgemeingültige Aussagen machen lassen. Die Beschwerde gibt hierzu jedenfalls keinen Anlass. Sie spricht lediglich verallgemeinernd die einzelnen an die Besonderheiten des vorliegenden Falls anknüpfenden Ermessenserwägungen an, die das Berufungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung gewürdigt und gebilligt hat. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung werden dadurch nicht aufgeworfen.
Aus denselben Gründen kann übrigens auch offen bleiben, ob es neben der landesrechtlichen Regelung des § 80 LBauO M-V einen bundesrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch gibt. Denn sicher ist, dass er - sollte es ihn geben - jedenfalls nicht bei jeder Verletzung von Bauplanungsrecht einen Anspruch auf Erlass einer Abrissanordnung für die rechtswidrige bauliche Anlage vermittelt.
2. Soweit die Beschwerde eine Abweichung von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 1985 - BVerwG 7 C 65.82 - (BVerwGE 72, 300) und vom 17. April 1998 - BVerwG 4 B 144.97 - (UPR 1998, 355 = BRS 60 Nr. 169) geltend macht, ist sie unzulässig, weil sie keinen Rechtssatz aus den beiden Entscheidungen herausarbeitet, dem das Berufungsgericht widersprochen hat. Vielmehr referiert sie zwar zutreffend den Rechtssatz, dass das materielle Bauplanungsrecht nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers stehe. Sie zeigt jedoch nicht auf, dass das Berufungsgericht diesen Rechtssatz in Zweifel gezogen hat. Vielmehr meint sie nur, dass das Berufungsgericht nicht die Folgerungen aus dem Rechtssatz gezogen habe, die es hätte ziehen müssen. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist damit nicht dargelegt.
3. Unzulässig ist auch die Aufklärungsrüge. Die Beschwerde legt nämlich nicht dar, weshalb sich hier dem Berufungsgericht die Notwendigkeit einer Ortsbesichtigung hätte aufdrängen müssen, obwohl die Kläger selbst einen solchen Beweisantrag nicht gestellt haben. Die Rüge, ein Gericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt, ist grundsätzlich nicht geeignet, einen Beweisantrag zu ersetzen, den ein Beteiligter hätte stellen können, aber nicht gestellt hat.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO, § 100 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GKG.