Verfahrensinformation

siehe vorstehendes Verfahren BVerwG 1 C 3.02


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siehe vorstehendes Verfahren BVerwG 1 C 3.02


Pressemitteilung Nr. 50/2002 vom 17.12.2002

Aufenthaltsbefugnis für anerkannte Flüchtlinge bei fehlender Abschiebungsmöglichkeit

Das Bundesverwaltungsgericht hat heute über die Klagen von drei nach § 51 Abs. 1 Ausländergesetz anerkannten Flüchtlingen auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis entschieden. Die Kläger hatten erfolgreich geltend gemacht, bei einer Rückkehr in ihre Heimatstaaten (Irak bzw. Sudan) politisch verfolgt zu werden. Die Ausländerbehörde erteilte ihnen dennoch keine Aufenthaltsbefugnisse, da Zweifel hinsichtlich ihrer Identität und Staatsangehörigkeit bestünden und die Kläger an der Klärung dieser Fragen nicht hinreichend mitgewirkt hätten. Das von ihnen angerufene Verwaltungsgericht hat sämtliche Klagen abgewiesen. Nur einer der Kläger hatte mit seiner Berufung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Erfolg.


Das Bundesverwaltungsgericht hat in allen drei Fällen zugunsten der Kläger entschieden. Es hat dargelegt, dass alle gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis (nach § 70 Asylverfahrensgesetz) vorliegen. Unstreitig ist, dass die Kläger die erste Voraussetzung, nämlich die Anerkennung als politisch verfolgte Flüchtlinge, erfüllen. Darüber hinaus setzt ein Anspruch auf eine Aufenthaltsbefugnis voraus, dass die Abschiebung des Ausländers in einen anderen Staat als den Verfolgerstaat "nicht nur vorübergehend unmöglich ist". Dies ist - unter Berücksichtigung der Absicht des Gesetzgebers, den anerkannten Flüchtling nicht für einen längeren Zeitraum auf eine bloße Duldung zu verweisen - dahin zu verstehen, dass die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis nur ausgeschlossen ist, wenn sich die Möglichkeit einer Abschiebung konkret abzeichnet. Daran fehlt es hier. Auf etwaige Zweifel an der Identität und Staatsangehörigkeit der Kläger kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage der Mitwirkungspflicht. Die Ausländerbehörde ist zwar verpflichtet, diesbezüglichen Zweifeln nachzugehen. Ist aber - wie hier - nicht absehbar, dass die Zweifelsfragen zeitnah geklärt werden können und ergibt sich noch keine konkrete Abschiebungsmöglichkeit in einen Drittstaat, so darf dem Ausländer die Aufenthaltsbefugnis nicht vorenthalten werden. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann die Ausländerbehörde allerdings die Aufenthaltsbefugnis für einen nur kurzen Zeitraum erteilen. Sie kann ferner die Aufenthaltsbefugnis nachträglich zeitlich beschränken, wenn eine für ihre Erteilung wesentliche Voraussetzung entfallen ist.


BVerwG 1 C 3.02 - Urteil vom 17.12.2002

BVerwG 1 C 12.02 - Urteil vom 17.12.2002

BVerwG 1 C 25.02 - Urteil vom 17.12.2002


Urteil vom 17.12.2002 -
BVerwG 1 C 12.02ECLI:DE:BVerwG:2002:171202U1C12.02.0

Urteil

BVerwG 1 C 12.02

  • Bayerischer VGH München - 24.04.2002 - AZ: VGH 24 B 01.2213

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2002
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
R i c h t e r , die Richterin am Bundesverwaltungsgericht
B e c k sowie den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. April 2002 und der Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. August 2001 werden aufgehoben.
  2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.

I


Das Verfahren betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem nach § 51 Abs. 1 AuslG bestandskräftig anerkannten Flüchtling eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen ist und inwiefern etwaige Zweifel an seiner Identität und Staatsangehörigkeit insoweit von Bedeutung sind.
Der Kläger, der angibt, ein 1977 geborener irakischer Staatsangehöriger zu sein, reiste Anfang 2000 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) ab, stellte jedoch fest, dass wegen der Asylantragstellung die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen. Dieser Bescheid ist seit Juli 2000 bestandskräftig.
Im August 2000 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis. Sein Bevollmächtigter teilte mit, der Kläger sei nicht in der Lage, aussagekräftige Nachweise hinsichtlich seiner Identität bzw. Ausweisdokumente bezüglich seiner irakischen Staatsangehörigkeit vorzulegen. Seine Eltern, die als Beduinen mit ihm in Zelten gelebt hätten, hätten ihn im Irak nicht registrieren lassen. Er habe dort auch keinen Wehrdienst abgeleistet; er sei mit gefälschten Papieren aus dem Irak ausgereist.
Das Bundesamt teilte der Beklagten im Oktober 2000 mit, eine Sprachanalyse habe eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Herkunft des Klägers aus dem Irak ergeben. Mit Bescheid vom 28. Mai 2001 lehnte die Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ab. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. August 2001 abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vom Verwaltungsgerichtshof durch Urteil vom 24. April 2002 zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zu. Das Bundesamt habe festgestellt, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Irak vorlägen. Seine Abschiebung dorthin sei daher aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Die Frage, in welchen anderen aufnahmeverpflichteten Staat der Kläger, dessen Staatsangehörigkeit er möglicherweise besitze, abgeschoben werden dürfe, müsse noch geklärt werden, ebenso wie die Frage, ob tatsächliche Gründe eine derartige Abschiebung nicht nur vorübergehend unmöglich machten. Dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 Abs. 1 AsylVfG stünden die gesetzlichen Mitwirkungspflichten entgegen, denen der Kläger nicht nachgekommen sei.
Der Kläger erstrebt mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision die Verpflichtung der Beklagten, ihm eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt ebenso wie der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht und der Vertreter des öffentlichen Interesses in Bayern das angefochtene Urteil.

II


Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zu. Die entgegenstehenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichts sowie der Ablehnungsbescheid der Beklagten können daher keinen Bestand haben.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 Abs. 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ist dem Ausländer eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) oder ein Gericht unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt hat und die Abschiebung des Ausländers aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht nur vorübergehend unmöglich ist. Ein Ausschluss des Anspruchs nach § 70 Abs. 1 AsylVfG gemäß Abs. 2 der Vorschrift kommt hier nicht in Betracht.
1. Der Kläger erfüllt die erste nach § 70 Abs. 1 AsylVfG bestehende Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch. Das Bundesamt hat nämlich mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Juni 2000 festgestellt, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in Bezug auf den Irak vorliegen. An diese - nach wie vor wirksame, insbesondere weder nichtige noch nach § 72 AsylVfG erloschene - Statusfeststellung ist die Ausländerbehörde nach § 4 AsylVfG gebunden.
2. Der Kläger erfüllt auch die weitere Voraussetzung, dass seine Abschiebung nicht nur vorübergehend unmöglich ist.
Wie der Senat in dem gleichzeitig ergangenen Urteil im Verfahren BVerwG 1 C 3.02 (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung vorgesehen) im Einzelnen ausgeführt hat, kann sich dies bei einem Ausländer, der Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG genießt, nur auf die Abschiebung in einen Drittstaat beziehen. Dabei ist das Erfordernis der nicht nur vorübergehenden Unmöglichkeit der Abschiebung dahin zu verstehen, dass die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn sich die Möglichkeit der Abschiebung in einen aufnahmebereiten Drittstaat konkret abzeichnet. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Begründung des genannten Urteils verwiesen.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zeichnet sich hier eine derartige Möglichkeit der Abschiebung des Klägers in einen Drittstaat nicht konkret ab. Die Absicht der Beklagten, den Kläger nach etwaiger Klärung seiner wahren Identität und Staatsangehörigkeit zu einem unbestimmten zukünftigen Zeitpunkt in seinen eigentlichen Herkunftsstaat abzuschieben, reicht hierfür - unabhängig davon, ob und ggf. welche Mitwirkungspflichten den Kläger insoweit treffen - nicht aus. Der Kläger erfüllt mithin sämtliche Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 AsylVfG für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis.
Auch § 8 Abs. 1 Nr. 4 AuslG steht dem Anspruch des Klägers auf die Aufenthaltsbefugnis nicht entgegen (vgl. auch dazu näher das genannte Urteil im Verfahren BVerwG 1 C 3.02 ).
Sind die Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 AsylVfG aber gegeben, so ist die Ausländerbehörde nicht ermächtigt, die Aufenthaltsbefugnis abzulehnen und den Kläger als anerkannten Flüchtling auf eine Duldung zu verweisen. Die Beklagte ist daher ohne Rücksicht auf die Berechtigung ihrer Zweifel an der irakischen Staatsangehörigkeit des Klägers verpflichtet, ihm die beantragte Aufenthaltsbefugnis zu erteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.