Beschluss vom 17.07.2003 -
BVerwG 5 B 232.02ECLI:DE:BVerwG:2003:170703B5B232.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.07.2003 - 5 B 232.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:170703B5B232.02.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 232.02

  • Bayerischer VGH München - 11.07.2002 - AZ: VGH 12 B 01.200

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Juli 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht D r. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und D r. F r a n k e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, wird abgelehnt.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs hat keinen Erfolg. Die als alleiniger Zulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensfehlerhaftigkeit des Berufungsurteils (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) unter dem Gesichtspunkt der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) ist nicht erkennbar.
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf weitere Gewährung von Pflegegeld für die Zeit ab dem 15. September 1999 mit der Begründung verneint, sein Anspruch auf Leistung nach Art. 51 Abs. 1 PflegeVG sei nach Art. 51 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 PflegeVG entfallen, weil bei ihm die Leistungsvoraussetzungen nach § 69 Abs. 3 BSHG a.F. nicht mehr vorlägen; er sei nicht mehr pflegebedürftig im Sinne dieser Vorschrift. Das ergebe sich aus einer zusammenfassenden Bewertung der vorliegenden Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, insbesondere vom 18. März 1998, 29. September 1999 und 18. Februar 2000, und vor allem auch aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme (der in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht durchgeführten Zeugenvernehmung des Vaters des Klägers). Der Kläger sei danach nicht mehr so hilflos, dass er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der Wartung und Pflege bedürfe. Allen vorliegenden Gutachten sei die Feststellung gemein, dass der Kläger an keiner Desorientierung mehr leide; gerade eine solche Desorientierung sei aber wesentlich für die Bejahung einer erheblichen Pflegebedürftigkeit nach § 69 Abs. 3 BSHG a.F. gewesen, denn die Unorientiertheit führe zwangsläufig dazu, dass der Betroffene ohne erhebliche Wartung und Pflege "verkommen" wäre. Nach den Gutachten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Senat davon überzeugt, dass der Kläger zwar gelegentlicher Aufforderung bedürfe, eine Anleitung oder ständige Kontrolle durch einen Dritten aber nicht benötige, wie der als Zeuge vernommene Vater des Klägers ausgeführt habe.
Die hiergegen erhobenen Rügen greifen nicht durch, denn weder hat der Kläger nach Durchführung der Beweisaufnahme durch die Zeugenvernehmung seines Vaters in der mündlichen Verhandlung die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO), noch ist ausreichend dargelegt, warum sich dem Gericht auch ohne einen solchen Antrag die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Grundsätzlich kann das Gericht alle in das Verfahren eingeführten Gutachten, auch wenn sie aus anderen Verfahren oder Verwaltungsverfahren stammen, zur Grundlage seiner Entscheidung machen und zu Beweiszwecken verwenden; das Tatsachengericht verstößt deshalb nicht gegen § 96 Abs. 1 VwGO, wenn es beigezogene gutachterliche Stellungnahmen im Wege des Urkundenbeweises verwertet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 1997 - 5 B 156.96 - <Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 281 m.w.N.>). Eine weitere Beweisaufnahme durch Einholung eines weiteren Gutachtens muss sich der Tatsacheninstanz nur dann aufdrängen, wenn vorliegende Gutachten grobe Mängel aufweisen, die sie zur Sachverhaltsaufklärung als ungeeignet oder jedenfalls nicht ausreichend tragfähig erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. Dezember 1991 - BVerwG 2 B 135.91 - <Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 238>, 2. März 1995 - BVerwG 5 B 26.95 - <Buchholz a.a.O. Nr. 267> und 7. Juni 1995 - BVerwG 5 B 141.94 - <Buchholz a.a.O. Nr. 268>). Derartige Mängel lässt das Beschwerdevorbringen nicht erkennen.
Soweit die Beschwerde geltend macht, die Heranziehung der Gutachten sei unzulässig gewesen (sie bezögen sich auf verschiedene Verwaltungsverfahren, die sich noch im Widerspruchsverfahren befänden, der Kläger habe sich gegen die Feststellungen in diesen Gutachten gewandt und teilweise seien sie ihm sogar nicht bekannt), ergeben sich daraus keine Anhaltspunkte für grobe inhaltliche Mängel oder einen Verfahrensverstoß. Die Gutachten sind ordnungsgemäß und ohne Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in das Verfahren eingeführt worden. Sie gehören, worauf bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts ausdrücklich hingewiesen ist (vgl. S. 11 f. des Urteils), zu den Gerichtsakten; das rechtliche Gehör des Klägers war durch die gerichtliche Unterrichtung seines Betreuers, dass insbesondere die Gutachten ab dem Jahre 1995 bei der Pflegekasse angefordert und von dort auch übersandt worden waren (vgl. S. 9, 12 der Gerichtsakte) gewahrt. Die Rüge, das Gericht habe nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, welche ärztlichen Gutachten im Wege des Urkundenbeweises als Beweismittel herangezogen werden sollten und demzufolge sei dem Kläger eine Gelegenheit zur Stellungnahme nicht eingeräumt worden, trifft demnach nicht zu.
Die weiteren gegen diese Gutachten erhobenen Einwendungen (sie hätten keine Bezug zum streitgegenständlichen Zeitraum und eine andere Zielrichtung, berücksichtigen nicht ausreichend den möglicherweise "tagesformabhängigen" Zustand des Klägers, seine Einbindung in feste Strukturen im Haushalt der Eltern und den ständigen Schutz durch die Eltern) lassen die relative Zeitnähe dieser Gutachten (18. März 1998 bis 18. Februar 2000) sowie den Umstand unberücksichtigt, dass die Vorinstanz ihre Bewertung maßgeblich darauf gestützt hat, dass die Zeugenvernehmung des Vaters des Klägers die Feststellungen in den Gutachten, wonach der Kläger eine Anleitung oder ständige Kontrolle durch einen Dritten nicht benötige, zur Überzeugung des Gerichts bestätige. Auch mit dem Hinweis auf den Schwerbehindertenausweis des Klägers als Indiz für seine umfassende Angewiesenheit auf Hilfe sind grobe Mängel der verwerteten Gutachten oder eine Verletzung allgemein verbindlicher Beweiswürdigungsgrundsätze nicht dargetan.
Aus den angeführten Gründen ergibt sich zugleich, dass die beantragte Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Beschwerde zu versagen ist (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.