Beschluss vom 16.02.2012 -
BVerwG 4 A 4000.12ECLI:DE:BVerwG:2012:160212B4A4000.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.02.2012 - 4 A 4000.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:160212B4A4000.12.0]

Beschluss

BVerwG 4 A 4000.12

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Februar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerinnen gegen das Urteil des Senats vom 13. Oktober 2011 - BVerwG 4 A 4000.09 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Rügeverfahrens tragen die Klägerinnen zu 1 und 4 zu je 33/106 und die Klägerinnen zu 2 und 3 zu je 20/106.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Zu Unrecht machen die Klägerinnen geltend, der Senat habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Sie haben daher keinen Anspruch nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO auf Fortführung des Klageverfahrens.

2 Die Klägerinnen tragen zur Begründung der Anhörungsrüge vor, sie hätten im Klageverfahren in ihren drei „großen Schriftsätzen“ vom 14. Juli 2010, 10. Dezember 2010 und 29. August 2011 geltend gemacht, dass das Nachtflug-Gutachten von Intraplan unverwertbar sei, weil es im Hinblick auf die Wachstumsfaktoren in offensichtlichem und unauflöslichem Widerspruch zu der ihm angeblich zugrunde liegenden Masterplan-Prognose stehe. Bei einem Vergleich der im Nachtflug-Gutachten angesetzten Steigerungsfaktoren mit dem in Tab. 3-8 der Masterplan-Prognose prognostizierten Angebotswachstum falle auf, dass die jeweiligen Prognoseergebnisse nicht zueinander passten. Insbesondere prognostiziere Intraplan in der Masterplan-Prognose für die beiden Verkehrssegmente im Passagierbereich, für die im Nachtflug-Gutachten die höchsten Steigerungsfaktoren angesetzt werden (Interkont, Steigerungsfaktor 2,6 und Rest Kontinent LCC, Steigerungsfaktor 1,62), in der Masterplan-Prognose nur ein mittleres Angebotswachstum („+“). Andererseits prognostiziere Intraplan im Verkehrssegment „Rest Kontinent Klassisch/Sonstige“ im Nachtflug-Gutachten mit einem Steigerungsfaktor von 1,4 ein eher mittleres Verkehrswachstum und im Verkehrssegment Hub-Feeder-Flüge nur einen unterdurchschnittlichen Wachstumsfaktor von 1,24; im Segment „Linie konventionell Europa“, unter das die beiden vorgenannten Segmente wohl subsumiert werden könnten, werde in der Masterplan-Prognose hingegen mit „++“ das mit Abstand höchste Verkehrswachstum vorhergesagt. Das Gericht habe diese Widersprüche, die einen wesentlichen Kernangriff gegen das Nachtflug-Gutachten darstellten, vollständig unberücksichtigt gelassen und dadurch das rechtliche Gehör der Klägerinnen verletzt.

3 Die Rüge ist unbegründet. Der Senat hat den Vortrag der Klägerinnen zu den behaupteten Widersprüchen zwischen Tab. 3-8 der Masterplan-Prognose und den Wachstumsraten, die dem Nachtflug-Gutachten zu Grunde gelegt wurden, - wie von Art. 103 Abs. 1 GG gefordert - zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Im Urteil müssen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur die Gründe angegeben werden, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216 f.>; stRspr).

4 Der Senat hat - ausgehend von dem in Rn. 52 seines Urteils vom 13. Oktober 2011 dargelegten Prüfungsmaßstab - ausgeführt, dass die Hochrechnung mit den aus der Masterplan-Prognose abgeleiteten Wachstumsraten eine geeignete Methode zur Ermittlung des Nachtflugaufkommens in 2020 auf dem ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld sei (UA Rn. 57). Für den ausgebauten Flughafen Berlin-Schönefeld habe die Masterplan-Prognose für das Jahr 2020 33,2 Mio. Passagiere und 367 000 Flugbewegungen prognostiziert. Sie weise die Flugbewegungen nicht segmentspezifisch aus, sondern unterscheide lediglich zwischen Passagierverkehr, Fracht/Post und Allgemeiner Luftfahrt. Den Gesamtbewegungszahlen liege jedoch eine Erfassung der Flugbewegungen je Flughafen mit folgenden Angaben zugrunde: von Flughafen, nach Flughafen, Verkehrsart (Passage, Fracht, sonstige), Airline (Allianz), Anzahl Passagiere, Anzahl t Fracht, Anzahl Flugbewegungen. Mit diesen Zusatzinformationen ließen sich die Flugbewegungen den für das Nachtflug-Gutachten definierten Verkehrssegmenten zuordnen. Dass Intraplan die Flugbewegungen in der Masterplan-Prognose teilweise nach anderen Gesichtspunkten aggregiert habe - so seien z.B. Hub-Flüge im Sinne der dortigen Tab. 3-8 nur Interkontinentalflüge und mit den Hub-Feeder-Flügen des Nachtflug-Gutachtens nicht zu vergleichen -, stelle die Plausibilität dieses Vorgehens nicht infrage (UA Rn. 59).

5 Leitend für die Überzeugung des Senats, dass die Ableitung von Wachstumsraten aus der Masterplan-Prognose eine geeignete Prognosemethode sei, war mithin, dass sich die verkehrssegmentspezifischen Wachstumsraten in der von Intraplan beschriebenen Weise aus den für die Masterplan-Prognose ermittelten Flugbewegungsdaten errechnen lassen. Die Tab. 3-8 der Masterplan-Prognose gab schon deshalb keinen Anlass, an der Korrektheit dieser Berechnungen zu zweifeln, weil die Segmente in dieser Tabelle - wie in Rn. 59 des Urteils dargelegt - teilweise nach anderen Gesichtspunkten gebildet worden waren als im Nachtflug-Gutachten. Bereits aus diesem Grund lassen sich die Verkehrssegmente der Tab. 3-8 der Masterplan-Prognose einerseits und des Nachtflug-Gutachtens andererseits nicht ohne weiteres miteinander vergleichen. Zudem weist die Tab. 3-8 nicht die Entwicklung der Flugbewegungen 2005 : 2020 für die dort gebildeten Verkehrssegmente aus; sie ist keine Darstellung der Ergebnisse der Masterplan-Prognose, sondern bildet einen Teil des Kapitels 3 „Prognoseprämissen“. Sie gibt „Rahmenbedingungen für die Angebotsentwicklung“ (Masterplan-Prognose S. 26, 35) wieder, die in die Entwicklung der Prognoseflugpläne der Flughäfen eingeflossen sind (a.a.O. S. 39 oben). Die Schwerpunkte der Angebotsentwicklung wurden aus gegenwärtigem Angebot und künftigen Rahmenbedingungen des jeweiligen Flughafens abgeleitet und mit einem groben Raster zusammenfassend bewertet („++“, „+“, „(+)“, „o“). Wie die Bemerkungen der letzten Spalte zeigen, erfolgte die Bewertung insbesondere mit Blick auf die Verkehrsfunktion des Flughafens, seine Infrastruktur und seinen Einzugsbereich. Die auf dieser Grundlage erstellten Prognoseflugpläne wurden anschließend nachjustiert (a.a.O. S. 40 Bemerkung (7), ferner S. 24). Schon deshalb verbietet sich eine Gleichsetzung der Bezeichnungen „++“, „+“, „(+)“, „o“ in der Tab. 3-8 mit bestimmten Wachstumsraten im Prognoseergebnis. Die Bezeichnungen beinhalten im Übrigen - wie Intraplan dargelegt hat (Stellungnahme vom 28. Januar 2011 S. 16 - 19) - nicht nur Erwartungen hinsichtlich der Zahl der Flugbewegungen, sondern auch hinsichtlich der Qualität des Angebots, insbesondere der Zahl der angebotenen Ziele. Dass die Zahl der Flugbewegungen im Interkont-Verkehr ausgehend von relativ geringen absoluten Zahlen in 2008 - wie im Nachtflug-Gutachten angenommen - prozentual stark wachsen wird (Steigerungsfaktor 2,6), bedeutet hiernach nicht, dass sich der Interkont-Verkehr auch zu einem erstrangigen Angebotsschwerpunkt des ausgebauten Flughafens Berlin-Schönefeld entwickeln wird; eine Hub-Funktion wird insoweit - wie in der Spalte „Bemerkungen“ der Tab. 3-8 erläutert - nur für Nordasien erwartet. Ebenso wenig muss, wenn die Tab. 3-8 für den Bereich „Linie konv. Europa“ im Vergleich zu den anderen Verkehrssegmenten das stärkste Angebotswachstum („++“) ausweist, dieser Bedeutungszuwachs auch mit dem stärksten Zuwachs der Flugbewegungen einhergehen.

6 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Quotelung ergibt sich ausgehend von einem Gesamtstreitwert von 106 000 € und Einzelstreitwerten von je 33 000 € für die Klägerinnen zu 1 und 4 und je 20 000 € für die Klägerinnen zu 2 und 3. Für die Klägerinnen zu 1 und 2 hat sich der Streitwert gegenüber dem Klageverfahren reduziert, weil die von ihnen ursprünglich geltend gemachten, im Klageverfahren aber übereinstimmend für erledigt erklärten Ansprüche auf weitergehenden passiven Schallschutz und weitergehende Außenwohnbereichsentschädigung nicht Gegenstand der Anhörungsrüge sind. Die Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 KV GKG; einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht.