Beschluss vom 15.12.2006 -
BVerwG 4 B 60.06ECLI:DE:BVerwG:2006:151206B4B60.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.12.2006 - 4 B 60.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:151206B4B60.06.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 60.06

  • Bayerischer VGH München - 22.05.2006 - AZ: VGH 1 B 04.3531

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Dezember 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Gatz
beschlossen:

  1. Die Beschwerden des Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Mai 2006 werden zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte und die Beigeladene tragen je zur Hälfte die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerden bleiben ohne Erfolg. Weder der Beklagte noch die Beigeladene können Gründe für eine Zulassung der Revision vorbringen.

2 1. Das Berufungsurteil leidet nicht an den von der Beigeladenen behaupteten Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

3 1.1 Zu Unrecht meint die Beschwerde, die vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommene Auslegung des Antrags der Klägerin auf Erteilung eines Vorbescheids sei mit den „allgemeinen Vorgaben“ für die Auslegung von Willenserklärungen nicht vereinbar und gehe „im Ergebnis“ von einem falschen Sachverhalt aus.

4 Der Verwaltungsgerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass der Vorbescheidsantrag einen hinreichend bestimmten prüffähigen Inhalt habe; mit ihm werde (nur) die Feststellung begehrt, dass das Vorhaben hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zulässig sei (UA. S. 7). In Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts (Art. 75 BayBO, § 4 BauVorlV) geht er davon aus, dass bei einem teilweise unbestimmten Antrag zu prüfen sei, ob sich ein prüffähiger Antragsinhalt ermitteln lasse. Sei der Antrag auf die Klärung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit (§§ 29 ff. BauGB) gerichtet, komme es darauf an, ob hinsichtlich der vier bauplanungsrechtlichen Hauptkriterien (Art sowie Maß der baulichen Nutzung, Bauweise, überbaubare Grundstücksfläche) wenigstens dasjenige Kriterium ausreichend bestimmt beschrieben sei, das erkennbar im Vordergrund der Zulässigkeitsprüfung stehe. Sei das der Fall, sei der Vorbescheidsantrag ungeachtet seines im Übrigen unbestimmten Inhalts zulässig und so auszulegen, dass nur das ausreichend bestimmte Kriterium geprüft werden solle. Nach diesem Maßstab sei der Antrag der Klägerin schon im Verwaltungsverfahren so auszulegen gewesen, dass Gegenstand der Prüfung nur die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Art der vorgesehenen baulichen Nutzung habe sein sollen (UA S. 8).

5 Für die Prüfung der Frage, ob diese Auslegung des Antrags verfahrensfehlerhaft erfolgt ist, ist von der materiellen Rechtsauffassung auszugehen, die der Auslegung zugrunde liegt, hier also von der oben näher dargestellten Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs, dass ein teilweise unbestimmter Antrag diesen nicht insgesamt unbestimmt und damit unzulässig mache. Entscheidend ist also, ob die Würdigung im Berufungsurteil, hinsichtlich der zur Überprüfung gestellten Art der baulichen Nutzung sei der Antrag ausreichend bestimmt gewesen, unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist. Was die Beschwerde hierzu vorträgt, erschöpft sich in einer eigenen abweichenden Würdigung des Inhalts der fraglichen Willenserklärung, ohne darzulegen, weshalb der Verwaltungsgerichtshof die Bestimmtheit der auf die Art der baulichen Nutzung beschränkten Erklärung unter Verstoß gegen die Denkgesetze, gegen allgemeine Auslegungsregeln, willkürlich oder sonst verfahrensfehlerhaft, etwa unter Heranziehung eines aktenwidrigen Sachverhalts, bejaht hat.

6 Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin - worauf die Beschwerde hinweist - im Verwaltungsverfahren unterschiedliche Äußerungen zu der beabsichtigten Nutzung (Wohnen oder Anlage für soziale/gesundheitliche Zwecke) abgegeben hat. Die Beschwerde übersieht, dass es sich dabei nicht um eine Frage der Bestimmtheit des Antrags, sondern um die - letztlich von der Behörde oder im Streitfall vom Gericht vorzunehmende - rechtliche Einordnung des Vorhabens in die Nutzungstypen des § 8 BauNVO, also um eine Rechtsfrage handelt.

7 1.2 Ebenso wenig ist dem Verwaltungsgerichtshof ein Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Stellung der Berufungsanträge in der mündlichen Verhandlung unterlaufen.

8 Die Beschwerde bemängelt Folgendes: Die Klägerin habe erst in der letzten mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2006 ihren ursprünglich umfassenden Klageantrag auf die Klärung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung beschränkt. In der Sache sei dies eine teilweise Klagerücknahme gewesen. Die hierfür nach § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Einwilligung habe der Beklagte nicht erteilt.

9 Unabhängig davon, dass nach der vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung des im Verwaltungsverfahren gestellten Vorbescheidsantrags nicht von einer teilweisen Rücknahme der Klage ausgegangen werden kann, ist die Verfahrensrüge verspätet. Der Beklagte und die Beigeladene haben ihr Rügerecht verloren, weil sie nicht im Anschluss an die Stellung der Anträge noch während der mündlichen Verhandlung den vermeintlichen Verfahrensmangel geltend gemacht haben (§ 173 VwGO i.V.m. §§ 566, 295 ZPO). Als nächste mündliche Verhandlung im Sinne von § 295 Abs. 1 ZPO ist auch der Teil der mündlichen Verhandlung zu verstehen, der sich unmittelbar an den Verfahrensabschnitt anschließt, in dem der Verfahrensrechtsverstoß geschehen sein soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - BVerwG 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 <132> m.w.N.).

10 2. Die Revision ist nicht wegen der von dem Beklagten und der Beigeladenen geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

11 2.1 Der Beklagte wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob ein Gericht einen Bauantrag so auslegen dürfe, dass entgegen dem vom Antragsteller erklärten oder zumindest zweifelhaften Erklärungsinhalt ein bestimmter Antrag „ermittelt“ wird, den die Bauaufsichtsbehörde ihrer Prüfung zugrunde gelegt hat.

12 Mit diesem Vorbringen wird schon deshalb der Zulassungstatbestand des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erfüllt, weil die Beschwerde ungeachtet des Versuchs, die Fragestellung allgemein zu fassen, der Sache nach geklärt wissen möchte, ob der Verwaltungsgerichtshof den fraglichen Vorbescheidsantrag - entgegen dem vom Beklagten für richtig gehaltenen Verständnis - zutreffend ausgelegt hat. Fallübergreifende, einer höchstrichterlichen Klärung bedürftige Fragen lassen sich diesen Ausführungen nicht entnehmen.

13 2.2 Weiter hält der Beklagte die Frage für klärungsbedürftig, ob einem hilfsweise erhobenen Fortsetzungsfeststellungsantrag stattgegeben werden darf, wenn sich der ursprüngliche Streitgegenstand wesentlich geändert hat und dies erst zu einem Zeitpunkt, bei dem eine gültige Rechtsnorm der begehrten Verpflichtung entgegensteht. Die Beigeladene wirft eine inhaltsgleiche Frage auf.

14 Die Zulassung der Revision kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beschwerden mit diesem Vorbringen von einem Sachverhalt ausgehen, den das Berufungsgericht nicht festgestellt hat. Wie bereits dargelegt, geht der Verwaltungsgerichtshof in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass der Vorbescheidsantrag der Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren als auf die Prüfung der zulässigen Art der baulichen Nutzung beschränkt anzusehen war. Unter Zugrundelegen dieser Auffassung hat sich der Streitgegenstand im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nicht geändert.

15 2.3 Die von der Beigeladenen formulierte, auf den Gesichtspunkt „Klagerücknahme ohne Einwilligung“ abhebende Grundsatzrüge (Beschwerdebegründung Seite 6) kann schließlich ebenfalls nicht zur Zulassung führen. Wie bereits ausgeführt, wäre in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht von einer fehlenden Einwilligung des Beklagten in eine - unterstellte - teilweise Rücknahme der Klage auszugehen.

16 3. Auch die vom Beklagten erhobenen Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) bleiben ohne Erfolg.

17 Alle vier Abweichungsrügen sind schon deshalb unbegründet, weil sie einen Sachverhalt unterstellen, von dem in einem Revisionsverfahren nicht auszugehen wäre. Wie mehrfach ausgeführt, hat die Klägerin nach der vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung bereits im Verwaltungsverfahren den dann schließlich auch in der letzten mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2006 formulierten Antrag gestellt, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ihres Vorhabens nur hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zu prüfen.

18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts (ein Viertel des im Berufungsverfahren festgesetzten Werts) auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.