Beschluss vom 14.12.2006 -
BVerwG 1 B 55.06ECLI:DE:BVerwG:2006:141206B1B55.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.12.2006 - 1 B 55.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:141206B1B55.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 55.06

  • Hessischer VGH - 18.01.2006 - AZ: VGH 6 UE 489/04.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Dezember 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Hund
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf einen Verfahrensmangel in Gestalt einer Gehörsverletzung gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) hat keinen Erfolg.

2 1. Die Kläger haben im Berufungsverfahren ein angebliches Schreiben der Gendarmerie-Kommandantur Varto vom 22. Juli 2003 vorgelegt, demzufolge die Kommandantur u.a. wegen Unterstützung der PKK nach dem Kläger zu 1 sucht. Nach der vom Berufungsgericht eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Juli 2004 ist dieses Schreiben gefälscht.

3 Die Beschwerde macht hierzu geltend, das rechtliche Gehör sei durch die Ablehnung der Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2006 verletzt worden. U.a. sei beantragt worden:
„Zum Beweis für die Tatsache, dass das Dokument der Gendarmerie-Kommandantur Varto vom 22. Juli 2003 echt ist, stellt der Bevollmächtigte des Klägers den Antrag, eine persönliche - das heißt durch einen Beamten des Auswärtigen Dienstes in Varto einzuholende Auskunft - zu erbringen.
Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt weiterhin, eine gleichartige Auskunft zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass der Kläger zu 1 ... wegen Unterstützung der PKK von der Gendarmerie-Kommandantur Varto gesucht wird.“

4 Das Berufungsgericht setze sich mit der Ablehnung der Beweisanträge in Widerspruch zu seiner eigenen zuvor vertretenen Auffassung, dass die Echtheit des vorgelegten Dokuments der Generalkommandantur Varto für die Entscheidung erheblich sei. Diese nicht nachvollziehbare Kehrtwende sei als Überraschungsentscheidung zu werten. Eine Rückfrage bei der lokalen Personenstandsbehörde in Varto hätte ergeben, dass dort ein Suchvermerk der Gendarmerie Varto für den Kläger zu 1 eingetragen ist. Eine Rückfrage bei der Gendarmerie-Kommandantur Varto hätte ergeben, dass dieser dort wegen Aktivitäten für die PKK gesucht wird.

5 Damit und mit ihrem weiteren Vorbringen legt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar, dass die Ablehnung der Beweisanträge den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Sie zeigt namentlich nicht auf, dass die Ablehnung als nicht entscheidungserheblich im Prozessrecht keine Stütze findet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist, selbst wenn das erwähnte Schreiben der Gendarmerie-Kommandantur echt wäre, kein offizielles Verfahren gegen die Kläger anhängig und wird nach ihnen nicht landesweit gesucht (UA S. 21 ff.). Dem liegt die - bei der Überprüfung der Ablehnung eines Beweisantrags maßgebliche - materiell-rechtliche Auffassung des Berufungsgerichts zugrunde, dass die Kläger jedenfalls mangels einer landesweiten Verfolgung keinen Anspruch auf Asylgewährung haben. Die Beschwerde tritt dem nicht substantiiert entgegen. Sie macht nicht ersichtlich, inwiefern es unter diesen Umständen auf die abgelehnten Beweismittel entscheidungserheblich ankam. Nach den - nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen - angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts muss der Kläger zu 1 im Übrigen auch nicht befürchten, dass er bei der Einreisekontrolle einer menschenrechtswidrigen Behandlung unterzogen und/oder an die Gendarmerie-Kommandantur überstellt wird, wenn Erkenntnisse der Gendarmerie-Kommandantur über den Kläger aufgrund einer möglichen Rückfrage der mit der Einreisekontrolle betrauten Personen bekannt werden sollten (UA S. 21 ff).

6 Zu Unrecht sieht die Beschwerde zugleich eine gehörsverletzende Überraschungsentscheidung darin, dass das Berufungsgericht sich in Widerspruch zu seiner vorher vertretenen Auffassung gesetzt habe, die Echtheit des vorgelegten Dokuments vom 22. Juli 2003 sei für die Entscheidung erheblich. Hätte das Berufungsgericht seine Auffassung beibehalten, hätte es die Auskunft des Auswärtigen Amtes als nicht erschöpfend bewerten und eine weitere Auskunft einholen müssen. Ein Überraschungsurteil liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht einen entscheidungserheblichen Vortrag eines Beteiligten abschneidet, weil es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt seiner Entscheidung zugrunde gelegt und damit dem Rechtsstreit eine Wende gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten. Dies zeigt die Beschwerde indessen nicht auf.

7 2. Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die Beschwerde hinsichtlich des weiteren in der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vom 18. Januar 2006 gestellten Beweisantrags,
„den Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, Herrn T. als sachverständigen Zeugen zu den Nachfragen der Kläger im Schriftsatz vom 26. August 2004 bezüglich der vom Senat eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes zu vernehmen“.

8 Die Beschwerde führt insoweit im Wesentlichen aus, dass die Nachfrage des Auswärtigen Amtes hinsichtlich ihrer Methoden und der Art und Weise der Erkenntnisgewinnung unvollständig bzw. ungenau gewesen sei (Beschwerdebegründung S. 6 oben). Damit legt die Beschwerde nicht schlüssig dar, dass die Ablehnung des Beweisantrags mit der Begründung, er beziehe sich auf unerhebliche Tatsachen und es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Auswärtige Amt seine Ermittlungen in unsachgemäßer Weise geführt habe (vgl. Beschwerdebegründung S. 3 o. und u.), den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt. Die Beschwerde setzt sich zudem nicht - wie erforderlich - mit den im Berufungsurteil (S. 19 u. bis S. 20 u.) zulässigerweise nachgeschobenen ergänzenden Ausführungen zur Ablehnung des Beweisantrags auseinander. Im Übrigen verkennt die Beschwerde, mit welchen Mitteln eine amtliche Auskunft in Asylverfahren in prozessrechtlich zulässiger Weise hinterfragt werden kann und unter welchen Voraussetzungen sie Anlass zu weiteren Ermittlungen bieten kann (vgl. etwa Beschluss vom 29. November 1989 - BVerwG 9 B 404.89 - juris und Urteil vom 22. Januar 1985 - BVerwG 9 C 52.83 - Buchholz 310 § 87 VwGO Nr. 5).

9 3. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde die Ablehnung eines weiteren in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2006 gestellten Beweisantrags als gehörsverletzend. Die Kläger haben insoweit - wie bereits mit Schriftsatz vom 26. August 2004 - beantragt, zum Beweis für die Tatsache, dass der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 wegen Äußerungen in einer Fernsehsendung von Mesopotamya-TV mit der Einleitung eines Strafverfahrens wegen Propaganda für die PKK bzw. KADEK u.a. gemäß Art. 169 des Türkischen Strafgesetzbuchs rechnen müssen, Sachverständigengutachten von Dr. T. und Rechtsanwalt V. einzuholen und diese in der mündlichen Verhandlung als Sachverständige zu vernehmen (vgl. Beschwerdebegründung S. 6). Das Berufungsgericht hat den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, dass es zu dem angeführten Beweisthema bereits über hinreichende Erkenntnisquellen verfüge und beispielhaft auf die Auskunft von Dr. T. an das VG Stuttgart vom 17. April 2004 verwiesen. Die Beschwerde macht geltend, die Frage einer Rückkehrgefährdung wegen dieser Äußerungen sei den vom Berufungsgericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen.

10 Damit zeigt sie eine Gehörsverletzung durch die Ablehnung des Beweisantrags nicht schlüssig auf. Sie macht namentlich nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht den auf die Einholung weiterer Sachverständigengutachten und Erläuterungen gerichteten Antrag ermessensfehlerhaft (§ 98 VwGO i.V.m. § 412 ZPO) und damit prozessrechtswidrig abgelehnt hat. Das Berufungsgericht hat vielmehr nachvollziehbar dargelegt, dass es auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel über ausreichende eigene Sachkunde verfügt, um die Gefahrenlage zu beurteilen. Es hat im Berufungsurteil ergänzend u.a. ausgeführt, dass die tatsächliche Strafpraxis maßgeblich sei, nach der ein Vorgehen gegen die Kläger zu 1 und 2 eher unwahrscheinlich sei (UA S. 17 ff.). Exilpolitische Aktivitäten, u.a. auch Meinungsäußerungen wie im vorliegenden Fall, führen dem Berufungsurteil zufolge nur bei Personen zur Gefahr einer Strafverfolgung, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind, nicht aber bei bloßen Mitläufern und Sympathisanten wie den Klägern zu 1 und 2. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht wie erforderlich auseinander. In Wahrheit wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, ohne einen Verfahrensmangel aufzuzeigen. Im Übrigen befasst sie sich auch nicht damit, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung hinsichtlich der exilpolitischen Aktivitäten der Kläger zusätzlich in erster Linie darauf gestützt hat, es dürfte sich hierbei um nach § 28 Abs. 1 AsylVfG asylrechtlich unbeachtliche selbst geschaffene subjektive Nachfluchtgründe handeln (UA S. 16).

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.