Beschluss vom 14.12.2005 -
BVerwG 8 B 30.05ECLI:DE:BVerwG:2005:141205B8B30.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.12.2005 - 8 B 30.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:141205B8B30.05.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 30.05

  • VG Halle - 10.11.2004 - AZ: VG 5 A 249/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Dezember 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a g e n k o p f und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. H a u s e r
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 10. November 2004 wird aufgehoben.
  2. Der Rechtsstreit wird zu anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 120 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung der Sache begründet, da der mit ihr geltend gemachte Verfahrensmangel vorliegt und die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (§ 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

2 Das Urteil leidet unter dem mit der Beschwerde hinreichend gekennzeichneten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der fehlerhaften Bejahung der Zulässigkeit der Restitutionsklage durch das Verwaltungsgericht (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, Jan. 2003, Bd. IV, § 132 Rn. 111 m.w.N. auf die Rspr). Eine Restitutionsklage gemäß § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 580 ff. ZPO ist u.a. nur zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 582 ZPO). Die Beschwerde legt hinreichend dar, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von dieser Voraussetzung ausgegangen und damit das Verfahrensrecht prozessordnungswidrig angewandt hat, worauf die angefochtene Entscheidung auch beruhen kann.

3 Sie hat einerseits darauf hingewiesen, dass die nunmehr vorgelegten Unterlagen über Kaufverträge betreffend angrenzender Grundstücke nicht neu seien, sondern diesbezüglich bereits im Ausgangsprozess unterschiedliche schriftsätzliche Äußerungen der damaligen Beklagten und der früheren Beigeladenen vorgelegen haben. Zum anderen ist dem Vorbringen der Beschwerdeschrift eindeutig zu entnehmen, dass mit der Beschwerde geltend gemacht werden soll, dem Verwaltungsgericht sei vorzuwerfen, es habe übersehen, dass der Restitutionsgrund bereits früher habe geltend gemacht werden können. Dies bringt die Beschwerdeschrift erkennbar mit der Wendung zum Ausdruck: "Es lag im Hauptprozess bereits auf der Hand, dass vergleichbare Kaufpreise durch entsprechende Unterlagen, wie Kaufverträge über angrenzende Grundstücke, nachzuweisen gewesen wären. Eine Nachfrage bei Nachbarn stellt insofern keine Überziehung der Sorgfaltspflichten dar."

4 Das Verwaltungsgericht hat auch § 153 Abs. 1 i.V.m. § 582 ZPO verletzt. Es geht auf S. 10 UA zu Unrecht von der Annahme aus, die Beigeladene wäre ohne Verschulden nicht in der Lage gewesen, die Urkunden in den Vorprozess einzuführen. Maßgeblich hat das Verwaltungsgericht dabei darauf abgestellt, dass diese Urkunden "nicht ohne Weiteres zugänglich" gewesen seien und die Beigeladene die Urkunden nur habe erhalten können, wenn und soweit die Nachbarinnen sie ihr überlassen hätten. Nach Ergehen des Urteils im Vorprozess sei dies dann der Fall gewesen, nachdem die Beigeladene nach ihrem eigenen Vorbringen im frühen Herbst des Jahres 2002, also unmittelbar vor oder nach Ergehen des am 3. September 2002 ohne mündliche Verhandlung erlassenen Urteils im Vorprozess, ihre Nachbarinnen angesprochen habe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist aber der Beigeladenen und ihrem Prozessbevollmächtigten entgegenzuhalten, dass sie nach dem Vorbringen im Vorprozess bereits Veranlassung hatten, den Kontakt zu den Nachbarn wegen der vergleichbaren Kaufverträge für die Nachbargrundstücke aufzunehmen. Denn ein Beteiligter ist nicht im Sinne des § 582 ZPO ohne sein Verschulden außer Stande, den Restitutionsgrund in einem früheren Verfahren geltend zu machen, wenn er es aus einem in seiner Person liegenden Grund unterlassen hat, den Restitutionsgrund rechtzeitig vorzubringen. Auch eine nur leicht fahrlässige Verletzung der den Beteiligten betreffenden Sorgfaltspflicht schließt die Zulässigkeit der Restitutionsklage aus (vgl. Beschluss vom 20. Juli 1992 - BVerwG 5 ER 633.92 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 25 unter Hinweis auf BGH - LM § 582 ZPO Nr. 3). Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Redlichkeit des Erwerbs, insbesondere zur Grundannahme der Redlichkeit (vgl. Urteil vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 10.00 - BVerwGE 114, 75; Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 11.93 - BVerwGE 95, 289) hatten die Beigeladene und ihr Prozessbevollmächtigter unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Mitwirkungspflicht jeden Anlass, die Situation der Unerweislichkeit der Tatsachenlage zu ihren Lasten zu vermeiden. Die Überlegung des Verwaltungsgerichts, dass die Nachbarn Rechtsnachteile bis zum Verlust des Eigentums möglicherweise befürchtet hätten, erscheint schon angesichts des Ablaufs der Frist für die Anmeldung von Restitutionsansprüchen als fern liegend. Nahe liegend wäre es gewesen, dass seitens der Beigeladenen die dann später tatsächlich befragten Nachbarn schon während des Vorprozesses konsultiert worden wären, zumal nach den eidesstattlichen Versicherungen der Nachbarin diese auch ohne Weiteres zu einer kurzfristigen Überlassung der dort vorhandenen Unterlagen bereit waren.

5 Da bereits eine leicht fahrlässige Verletzung der den Beteiligten treffenden Sorgfaltspflicht für die rechtzeitige Geltendmachung eines Restitutionsgrundes ausreicht, hätte auch die Stellungnahme der beklagten Stadt vom 29. Juli 2002 (Bl. 70 der Prozessakte <Beiakte III>) Anlass für weitere Nachforschungen sein müssen. Darin heißt es nämlich: "Auf Grund des Ganges der mündlichen Verhandlung vom 22.05.2002 geht die Beklagte davon aus, dass es für die Entscheidung des Gerichts erheblich sein kann, aus welchen Gründen im Jahre 1951 der ursprünglich im Kaufvertrag vom 20.03.1951 vereinbarte Kaufpreis von 3 DM/qm nicht genehmigt wurde, so dass durch Nachtragsurkunde vom 03.07.1951 der Kaufpreis von 2,25 DM/qm heruntergesetzt wurde. Erkundigungen bei einem bereits seit langer Zeit bei der Beklagten beschäftigten Grundstücksgutachter haben ergeben, dass grundsätzlich bereits 1951 und auch später alle Kaufverträge durch die Preisorgane der Räte der Städte und Gemeinden/Kreise in preisrechtlicher Hinsicht bestätigt werden mussten."

6 In diesem Zusammenhang wird dann bezüglich des streitbefangenen Grundstücks "W. 7" auf eine beim Finanzamt Halle-Süd geführte Einheitswertakte verwiesen, wobei ursprünglich in dieser Akte ein Bodenpreis von 2 DM/qm ausgewiesen war. Dieser Preis soll nach der Stellungnahme der Beklagten statt als Baulandpreis für die gesamte Siedlung, die heute B.siedlung genannt werde, gegolten haben und stelle somit den Vergleichspreis im ortsüblichen Sinne dar. Diese Stellungnahme hätte einen mit äußerster Sorgfalt vorgehenden Prozessbevollmächtigten veranlassen müssen, frühzeitig bei den später angesprochenen Nachbarinnen anzufragen oder zumindest das Gericht auf diesbezügliche Nachforschungsmöglichkeiten hinzuweisen. Soweit das Verwaltungsgericht von einer Überspannung der Sorgfaltsanforderungen spricht (UA S. 10), verkennt es offenbar, dass mit einer Restitutionsklage die aus Rechtssicherheitsgründen unverzichtbare Rechtskraft eines gerichtlichen Urteils durchbrochen werden soll und es nicht Sinn einer Restitutionsklage ist, die in dem Vorprozess unterlassenen Aufklärungsmaßnahmen in dem späteren Restitutionsfolgeprozess nachzuholen.

7 Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO). Das Verwaltungsgericht wird prüfen müssen, ob eine Restitutionsklage möglicherweise aus anderen Gründen zulässig sein kann. Auf Grund der in § 133 Abs. 6 VwGO angeordneten Rechtsfolge ist es dem Bundesverwaltungsgericht jedenfalls verwehrt in der Sache selbst zu entscheiden, was bei einem normalen Revisionsverfahren nach § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO möglich wäre.

8 Die Streitwertentscheidung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und § 72 Nr. 1 GKG.