Beschluss vom 14.10.2002 -
BVerwG 7 B 55.02ECLI:DE:BVerwG:2002:141002B7B55.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.10.2002 - 7 B 55.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:141002B7B55.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 55.02

  • Bayerischer VGH München - 01.03.2002 - AZ: VGH 22 B 99.338

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Oktober 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l ,
K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. März 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Die Klägerin wendet sich gegen Geräuscheinwirkungen, die durch das liturgische Geläut (Angelusläuten) einer Kirche der Beklagten in ihrer Nachbarschaft verursacht werden. Soweit die Klägerin verlangt hatte, dass kurzzeitige Geräuschspitzen den Wert von 85 dB(A) nicht überschreiten dürfen, ist das Verfahren vom Berufungsgericht eingestellt worden, nachdem der Sachverständige einen Wert von 82 dB(A) ermittelt hatte und die Beteiligten daraufhin das Verfahren in diesem Umfang für erledigt erklärt haben. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof die Beklagte verpflichtet, das liturgische Glockengeläut ab dem 1. Januar 2004 einzustellen, bis durch geeignete Schallschutzmaßnahmen sichergestellt sei, dass der Immissionsrichtwert für Beurteilungspegel in allgemeinen Wohngebieten von 55 dB(A) tagsüber bei der Eigentumswohnung der Klägerin eingehalten werde; anstelle einer geeigneten Maßnahme des aktiven Schallschutzes an der Geräuschquelle genüge es auch, wenn die Beklagte der Klägerin einen Geldausgleich für - im Einzelnen bezeichnete - Maßnahmen des passiven Schallschutzes in Höhe von 7 000 € verbindlich zusichere.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Es ist weder die gerügte Abweichung des angegriffenen Urteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erkennbar (1.), noch weist die Rechtssache die daneben geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (2.).
1. a) Nach Auffassung der Beklagten weicht das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. September 1996 - BVerwG 4 B 152.96 - (Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 15) ab. Die Divergenz bestehe darin, dass das Bundesverwaltungsgericht in der herangezogenen Entscheidung für die Frage der Zumutbarkeit des Angelusläutens in erster Linie auf den Maximalpegel für kurzzeitige Geräuschspitzen abstelle, während der Verwaltungsgerichtshof sich an der Einhaltung des Immissionsrichtwerts für Beurteilungspegel in allgemeinen Wohngebieten orientiere.
Die Abweichung besteht nicht. Die Beklagte gibt die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils nicht richtig wieder.
Der Verwaltungsgerichtshof nimmt die von ihm eingehend und zutreffend dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich zum Maßstab seiner rechtlichen Beurteilung der umstrittenen Geräusche. Er kommt auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass - trotz Einhaltung des zulässigen Maximalpegels für kurzzeitige Geräuschspitzen und obwohl für die Zumutbarkeit des liturgischen Glockengeläuts in erster Linie auf diese Geräuschspitzen abzustellen sei - der Klägerin die festgestellte Überschreitung des Immissionsrichtwerts für Beurteilungspegel um 3 dB(A) werktags und 5 dB(A) an Sonn- und Feiertagen nicht zuzumuten sei. Kategorien wie Herkömmlichkeit, Angemessenheit und gegenseitige Toleranz, die es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertigten, die Bedeutung des Beurteilungspegels für die Einschätzung der Zumutbarkeit von Glockengeläut für die Nachbarschaft zurücktreten zu lassen, seien wegen eines in seinen nachteiligen Wirkungen durch atypische örtliche Besonderheiten verstärkten Planungsfehlers der Beklagten nicht geeignet, die Beeinträchtigungen der Klägerin als hinnehmbar anzusehen.
Der Verwaltungsgerichtshof zieht somit besondere Umstände des Einzelfalles heran, um die ansonsten auch von ihm anerkannte Sozialadäquanz der Richtwertüberschreitungen zu verneinen. Er hält sich damit an die Vorgaben der von der Beklagten herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das seine Aussagen zur Zumutbarkeit des sich im Rahmen des herkömmlichen haltenden kultischen Glockenläutens ausdrücklich nur für den Regelfall getroffen (grundlegend Urteil vom 7. Oktober 1983 - BVerwG 7 C 44.81 - BVerwGE 68, 62 <67>, sowie Beschluss vom 2. September 1996, a.a.O.) und damit besondere Fallgestaltungen, die eine abweichende Beurteilung verlangen, nicht ausgeschlossen hat.
b) Ebenso wenig liegt die von der Beklagten gerügte Divergenz zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 1987 - BVerwG 4 C 33 - 35.83 - (BVerwGE 77, 285) vor. Die Beklagte sieht die Abweichung darin, dass die von den Immissionen betroffenen Anwohner nach dieser Entscheidung die Kosten passiven Lärmschutzes selbst tragen müssten, wenn solche Vorkehrungen aufgrund plangegebener Vorbelastung notwendig würden. Demgegenüber gehe das angegriffene Urteil davon aus, dass der
Emittent diese Kosten tragen müsse, obwohl der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls eine plangegebene Vorbelastung der Anwohnergrundstücke annehme.
Diese Argumentation geht - von allem anderen abgesehen - bereits daran vorbei, dass die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die aufgrund der vorgegebenen planungsrechtlichen Situation zu erwartende Rücksichtnahme bei der Standortwahl und Gestaltung ihrer Anlage hat vermissen lassen und aufgrund dieses Planungsfehlers von vornherein vermeidbare Lärmbeeinträchtigungen zu verantworten hat. Im Gegensatz dazu verhält sich die - zum Verkehrslärm einer Fernstraße ergangene- angebliche Divergenzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich zu Immissionen, die sich im Rahmen plangegebener Vorbelastung halten.
2. Die Rechtssache weist auch nicht die von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
Die auf den Seiten 13 und 14 der Beschwerdebegründung als klärungsbedürftig bezeichneten Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Die ersten drei Fragen weisen trotz des Versuchs verallgemeinernder Formulierungen nicht über den entschiedenen Fall hinaus, weil ihre Beantwortung von den jeweiligen Einzelumständen abhängt. Bei den beiden übrigen Fragen verkennt die Beklagte erneut, dass der Verwaltungsgerichtshof zwar eine plangegebene Vorbelastung des betroffenen Grundstücks attestiert, jedoch gleichzeitig festgestellt hat, dass die Beeinträchtigungen wegen eines Planungsfehlers bei der Standortwahl und Anlagengestaltung über den Rahmen des aufgrund der Vorbelastung Hinnehmbaren hinausgehen.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 GKG.