Beschluss vom 14.02.2003 -
BVerwG 4 VR 7.02ECLI:DE:BVerwG:2003:140203B4VR7.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.02.2003 - 4 VR 7.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:140203B4VR7.02.0]

Beschluss

BVerwG 4 VR 7.02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Februar 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l , H a l a m a und
G a t z beschlossen:

  1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 20. März 2002 anzuordnen, wird abgelehnt.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Anordnungsverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Anordnungsverfahren auf 25 000 € festgesetzt.

I


Die Antragstellerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss der Regierung von ... vom 20. März 2002, der den Plan für den Bau der Bundesautobahn A 73 "S. - L." im Abschnitt "E. (Bundesstraße 303) bis L. (Bundesstraße 173)" von Bau-km 57+200 bis Bau-km 70+660 feststellt. Die Trasse verläuft in Nord-Süd-Richtung. Die südliche Planfeststellungsgrenze, an der die Trasse in die bestehende B 173 übergeht, liegt im nördlichen Zipfel des Gemeindegebiets der Antragstellerin zwischen dem Ortsteil G. und der zu einer anderen Gebietskörperschaft gehörenden Ortschaft R. Die Entfernung zur Kernstadt der Antragstellerin beträgt ca. 3 km.
Die Antragstellerin hat am 14. Mai 2002 Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, hilfsweise seine Ergänzung um die Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen anstrebt. Sie hält den Plan aus mehreren Gründen für rechtswidrig. Am 15. Mai 2002 hat sie den Antrag gestellt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen. Der Antragsgegner beantragt, diesen Antrag abzulehnen.

II


Der Antrag ist - seine Zulässigkeit, insbesondere die Antragsbefugnis der Antragstellerin unterstellt - unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG geregelten Ausschlusses des Suspensiveffekts der Anfechtungsklage ist, überwiegt das Interesse der Antragstellerin, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vor Vollzugsmaßnahmen verschont zu bleiben. Eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der Planfeststellungsbeschluss die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt und die Anfechtungsklage deshalb keinen Erfolg haben wird. In dieser Situation liefe es dem mit § 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG verfolgten Beschleunigungszeck zuwider, dem Antragsgegner die ihm vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit der sofortigen Vollziehung allein mit Rücksicht darauf zu entziehen, dass sich die Antragstellerin im Klagewege gegen das Vorhaben zur Wehr setzt.
1. Die Antragstellerin ist nicht deshalb in ihren Rechten verletzt, weil sie als Grundeigentümerin von dem Straßenbauvorhaben betroffen ist. Zwar stellt auch das gemeindliche Eigentum eine wehrfähige, in der Abwägung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG zu berücksichtigende Rechtsposition dar (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - BVerwG 4 C 14.95 - Buchholz 11 Art. 28 Nr. 107). Die Antragstellerin behauptet jedoch selbst nicht, dass die Regierung von ... ihr Interesse an der Unversehrtheit ihres Eigentums nicht oder nicht mit dem ihm zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt habe.
2. Anders als ein privater Eigentümer kann eine Gemeinde, deren Grundeigentum für ein Straßenbauvorhaben in Anspruch genommen wird, sich hiergegen nicht mit dem bloßen Hinweis wehren, der Planfeststellungsbeschluss verstoße gegen objektives Recht. Da sie nicht Grundrechtsträgerin ist, kommt ihr trotz der enteignungsrechtlichen Vorwirkungen, die ein straßenrechtlicher Planfeststellungsbeschluss nach § 19 FStrG entfaltet, nicht der Schutz des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zugute, der einem betroffenen Privaten eine umfassende gerichtliche Kontrolle garantiert (BVerwG, Beschluss vom 15. April 1999 - BVerwG 4 VR 18.98 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 151 = NVwZ-RR 1999, 554). Verstöße gegen Vorschriften, die nicht auch dem Schutz gemeindlicher Interessen zu dienen bestimmt sind, kann sie nicht mit Erfolg abwehren (vgl. BVerwG, Urteile vom 1. Juli 1988 - BVerwG 4 C 15.85 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 69, vom 24. November 1994 - BVerwG 7 C 25.93 - BVerwGE 97, 143 und vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388; Beschluss vom 15. April 1999, a.a.O.). Sie ist weder berechtigt, sich über die Anrufung des Verwaltungsgerichts als Kontrolleur der zur Wahrung öffentlicher Belange jeweils berufenen staatlichen Behörden zu betätigen, noch befugt, sich zum Sachwalter privater Interessen aufzuschwingen. Hiernach hat der behauptete Abwägungsmangel, dass nur für die Siedlungen S. und G., nicht aber für die übrigen Ortsteile ermittelt worden sei, mit welchen zusätzlichen Lärmbelastungen für die dort ansässige Bevölkerung gerechnet werden müsse, von vornherein außer Betracht zu bleiben. Es gehört nämlich nicht zu den gemeindlichen Aufgaben, erhöhte Geräuschimmissionen von der Allgemeinheit oder einzelnen Nachbarn von Verkehrswegen fernzuhalten (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 4 C 36.86 - BVerwGE 84, 209 <213>), sondern bleibt der Initiative der insoweit nachteilig Betroffenen überlassen, sich gegen Einwirkungen dieser Art zur Wehr zu setzen (BVerwG, Beschluss vom 15. April 1999, a.a.O.). Aus diesem Grund kann die Antragstellerin auch einen Verstoß gegen § 73 Abs. 6 VwVfG nicht rügen, den sie darin sieht, dass im Planänderungsverfahren auf einen zweiten Erörterungstermin verzichtet wurde, obwohl "mit den neu ausgelegten Unterlagen neue Lärmberechnungen für Ortsteile der Ast. vorgelegt wurden und es sich auch zusätzlich herausgestellt hat, dass die B 173 durch eine weitere Standspur im Gemeindebereich im Anschluss an den südlichen Planfeststellungsabschnitt 'ertüchtigt' wird."
3. Für eine Rechtsverletzung lässt sich voraussichtlich auch nicht das Argument ins Feld führen, der Planungshoheit der Antragstellerin sei nicht hinreichend Rechnung getragen worden. Die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte gemeindliche Planungshoheit kann Abwehransprüche gegen fremde Fachplanungen insbesondere dann vermitteln, wenn - was hier allein in Betracht kommt - das Vorhaben eine hinreichend bestimmte Planung nachhaltig stört (BVerwG, Urteil vom 27. März 1992 - BVerwG 7 C 18.91 - BVerwGE 90, 96 <100>; Urteil vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 <394>).
a) Die Antragstellerin beklagt in erster Linie, dass das
idyllische Maintal, das insbesondere durch die das Tal flankierenden Baudenkmäler Kloster B. und Basilika V. und den als Naturdenkmal geschützten ...berg seinen einzigartigen Reiz erhalte, durch das Kreuzungsbauwerk am Knotenpunkt BAB A 73/B 173 beeinträchtigt werde. Sie übersieht, dass die Erhaltung des Landschaftsbildes nicht zu ihren Selbstverwaltungsaufgaben zählt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 1997 - BVerwG 11 VR 30.95 - NuR 1998, 221 <insoweit nicht abgedruckt>). Gleiches gilt für den Denkmalschutz (vgl. Art. 11 Abs. 5 Bayerisches Denkmalschutzgesetz). Mit ihrem Hinweis, sie habe das Gebiet um des intakten Landschaftsbildes willen und im Interesse der Denkmalpflege ausdrücklich von jeglicher Bebauung - mit Ausnahme der B 173 alt - freigehalten, lässt sich der Bogen zur Planungshoheit nicht schlagen. Unabhängig davon, ob diese nur dann geschützt ist, wenn die Gemeinde aktive, auf Veränderung drängende Maßnahmen ergreift, oder auch dann, wenn sie sich entschließt, eine gegebene Situation nicht zu verändern (vgl. Kirchberg/Boll/Schütz, NVwZ 2002, 550 <553>), ist es den Kommunen verwehrt, im Gewande der Bauleitplanung Ziele zu verfolgen, die nicht in ihre Regelungskompetenz fallen. Für die Materie des Denkmalschutzrechts hat dies der Senat bereits entschieden (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 - BVerwG 4 CN 4.00 - BVerwGE 114, 247 <250>).
b) Soweit es um die Ausdehnung des Wohngebietes in der Ortschaft S. nach Nordosten und die Abrundung der vorhandenen Wohnbebauung im Ortsteil G. geht, fehlt es an der Voraussetzung einer ausreichend konkreten Planung. Die Antragstellerin zeigt insoweit lediglich denkbare Optionen auf, in welche Richtung sich die gemeindliche Bebauungsplanung zukünftig noch entwickeln könnte. Das genügt nicht, um eine Beeinträchtigung der Planungshoheit annehmen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1988, a.a.O.). "Freihaltebelange" sind als solche nicht abwägungserheblich (BVerwG, Urteil vom 21. März 1996, a.a.O. <395>).
c) Die Ausweisung des Baugebiets Hirtengasse als allgemeines Wohngebiet befindet sich dagegen im Stadium der konkreten Planung. Bis auf die ortsübliche Bekanntmachung ist das Aufstellungsverfahren abgeschlossen. Es mag unterstellt werden, dass das Straßenbauvorhaben die Verwirklichung der Bebauungsplanung wegen der befürchteten Lärmzunahme nachhaltig stört. Die Antragstellerin kann eine Verletzung ihrer Planungshoheit aber deshalb nicht mit Erfolg geltend machen, weil sie mit ihrem Vorbringen insoweit gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG präkludiert ist (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 13. März 1995 - BVerwG 11 VR 2.95 -¨Buchholz 445.5 § 14 WaStrG Nr. 3); denn sie hat in ihrer Einwendung vom 3. März 1997 nicht darauf aufmerksam gemacht, dass die beanstandete Straßenplanung mit ihrer Bebauungsplanung an der Hirtengasse in Konflikt geraten könnte. Die Ausschlusswirkung des § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG war ihr bekannt, hat sie doch selbst in ihrer amtlichen Bekanntmachung vom 24. Januar 1997 auf sie hingewiesen. Ein Fall des § 17 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 FStrG, wonach der Einwendungsausschluss zu Lasten einer Behörde nicht greift, wenn der Planfeststellungsbehörde die vorgebrachten öffentlichen Belange ohnehin bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen, liegt nicht vor.
d) Die Planungshoheit der Antragstellerin ist ferner nicht dadurch tangiert, dass der Planfeststellungsbeschluss seit dem Planänderungsverfahren eine Fläche in der Gemarkung U. als Ausgleichsfläche vorsieht. Die Idee der Antragstellerin, die Fläche zum Ausgleich für die Ausweisung von Gewerbegebieten im Osten der Kernstadt selbst zu nutzen, ist bislang nicht mehr als ein Gedankenspiel und hat in die Stellungnahme vom 22. Mai 2001 auch keinen Eingang gefunden. Die Durchführung eines zweiten Erörterungstermins war unter diesen Umständen entbehrlich.
4. Eine Rechtsverletzung lässt sich nach überschlägiger Prüfung des Weiteren nicht mit dem Einwand der Antragstellerin konstruieren, wegen zu erwartender höherer Schadstoffimmissionen drohe ihre Anerkennung als Heilbad wieder verloren zu gehen. Der Antragsgegner hat den Einwand zum Anlass genommen, die Zusatzbelastungen durch die BAB A 73/B 173 im Kurbereich der Antragstellerin sachverständig abschätzen zu lassen. Der Sachverständige gelangt in seiner Prognose vom 14. Oktober 2002 zu dem Ergebnis, dass die Zusatzbelastungen "sehr gering sind und die Schwellenwerte der Qualitätsstandards für die Prädikatisierung von Kurorten wesentlich unterschreiten." Mängel des Gutachtens sind weder behauptet noch ersichtlich.
5. Die Antragstellerin moniert schließlich, dass der Zuwachs an Schadstoffen und die weitere Verlärmung den Tourismus, von dem sie maßgeblich lebe, beeinträchtige und damit ihre Wirtschaftskraft empfindlich störe. Es mag sein, dass sie damit Recht hat. Das bedeutet aber nicht, dass sie das streitige Vorhaben verhindern kann. Die gemeindliche Wirtschaftsstruktur wird von vielfältigen Faktoren bestimmt und beeinflusst, die nicht bereits jeder für sich als Ausfluss des Selbstverwaltungsrechts besonderen Schutz genießen. Das bloß allgemeine Interesse, vor Fachplanungen verschont zu bleiben, die der Förderung von Wirtschaft und Gewerbe in irgendeiner Weise abträglich sind, ist in der Abwägung regelmäßig überwindbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2000 - BVerwG 4 VR 19.99 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 156). So verhält es sich auch hier.
6. Soweit die Antragstellerin mit ihrem Hilfsantrag die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die Anordnung von Schutzauflagen nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG erstrebt, kommt vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits deshalb nicht in Betracht, weil diese Vorschrift auf die Situation der Anfechtungsklage zugeschnitten ist, Planergänzungen grundsätzlich aber nur im Wege der Verpflichtungsklage durchsetzbar sind. Insoweit besteht die Gefahr einer Verkürzung des Rechtsschutzes nicht; durch den vorläufigen Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses können vollendete Tatsachen nicht geschaffen werden, weil der Beschluss auch nachträglich durch Lärmschutzauflagen ergänzt werden kann (BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2001 - BVerwG 4 VR 17.01 <4 A 34.01 > - n.v.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und die Festsetzung des Streitwerts auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20
Abs. 3 GKG.