Beschluss vom 13.09.2006 -
BVerwG 7 B 4.06ECLI:DE:BVerwG:2006:130906B7B4.06.0

Beschluss

BVerwG 7 B 4.06

  • VG Berlin - 29.09.2005 - AZ: VG 22 A 67.00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Guttenberger
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. September 2000 über die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland zum Verfahren wird aufgehoben.
  2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. September 2005 wird zurückgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin begehrt über die Restitution des Grundstücks U. in B. (Grundstücksgröße: 549 m2/Teil des Botschaftsgeländes der Russischen Föderation) hinaus auch die Aufhebung des dinglichen Nutzungsrechts, das bei gleichzeitigem Verkauf des aufstehenden Gebäudes zu einem Kaufpreis von 1 785 000 Transfer-Rubel aufgrund der Völkerrechtlichen Vereinbarung vom 1. März 1990 zwischen den Regierungen der DDR und der UdSSR an Letztere verliehen worden ist.

2 Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen restituierte das streitbefangene Grundstück an die Klägerin und eine weitere Miterbin einerseits sowie an die Conference on Jewish Material Claims (JCC) andererseits zu je hälftigem Miteigentum. Der Widerspruch hatte hinsichtlich der angeordneten Restitution Erfolg. Das Verwaltungsgericht hob den lediglich Entschädigungsansprüche nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz zuerkennenden Widerspruchsbescheid auf, wies aber das weitere Klagebegehren betreffend die Aufhebung des dinglichen Nutzungsrechts ab. Die Rückübertragung des Grundstücks sei von dem Widerspruch nicht erfasst worden; ihr stünden auch Ausschlussgründe nicht entgegen. Eine Aufhebung des dinglichen Nutzungsrechts könne aber aufgrund Redlichkeit des Erwerbers nicht beansprucht werden. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

3 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache weist keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.); ebenso wenig liegt ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (2.).

4 1. Die Klägerin hält folgende Fragen für klärungsbedürftig:
Ist ein aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Verleihung eines Nutzungsrechts an einem zwischen 1933 und 1945 arisierten Grundstück und den Verkauf des darauf befindlichen Gebäudes an die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 1. März 1990 entstandenes Gebäudeeigentum in Verbindung mit einem verliehenen Nutzungsrecht wirksam im Sinne des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen entstanden bzw. konnte der Rechtserwerb durch die UdSSR noch redlich im Sinne des Vermögensgesetzes sein, obwohl die Verleihung des unentgeltlichen und unbefristeten Nutzungsrechts durch das Ministerium der Finanzen der DDR am 15. Juni 1990 rückwirkend zum 1. März 1990 zeitgleich mit der gemeinsamen Erklärung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 erfolgte?
Muss ein berechtigter Grundstückseigentümer im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG sich mit einem Völkerrechtssubjekt, wie die Russische Föderation in bisher nicht nachgewiesener Rechtsnachfolge nach der UdSSR hinsichtlich eines von der Deutschen Demokratischen Republik an die UdSSR übertragenen Gebäudeeigentums in Verbindung mit einem verliehenen Nutzungsrecht an dem betroffenen Grundstück im Sinne des § 16 Abs. 2 VermG i.V.m. § 110 SachenRBerG auseinandersetzen und in dieses Rechtsverhältnis gemäß § 16 Abs. 2 VermG eintreten, obwohl die völkerrechtliche Regierungsvereinbarung zwischen der DDR und der UdSSR hinsichtlich der Übertragung des Gebäudeeigentums und der Verleihung des dinglichen Nutzungsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht übernommen und anerkannt worden ist.
Hat ein nach § 1 Abs. 6 VermG Berechtigter für den entzogenen Vermögenswert Gebäude einschließlich der Belastung des restituierten Grundstücks durch ein dingliches Nutzungsrecht einen Anspruch auf Wiedergutmachung für den entzogenen Vermögenswert Gebäude einschließlich eines Anspruchs, auf Wiedergutmachung in Form eines finanziellen Äquivalenz für die Grundstücksbelastung dingliches Nutzungsrecht an dem restituierten Grundstück?

5 Diese Fragen rechtfertigen nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Will man der ersten Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung überhaupt zuerkennen, lässt sie sich bereits anhand der Vorgaben des Vermögensgesetzes ohne Weiteres bejahen. Die zweite und dritte Frage würden sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen.

6 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass zum einen ein ausländischer Staat sich nicht auf den die Restitution eines Grundstücks ausschließenden redlichen Erwerb berufen kann, da Staaten nicht in den Schutzbereich des § 4 Abs. 2 VermG fallen (Urteil vom 8. Mai 2003 - BVerwG 7 C 63.02 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 27). Zum anderen anerkennt aber das Vermögensgesetz dingliche Nutzungsrechte, die die Grundstücksrestitution zwar nicht ausschließen, gleichwohl aber nach Maßgabe des § 16 Abs. 2 und 3 VermG Fortbestand haben (Urteil vom 12. Juli 2000 - BVerwG 7 C 96.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 10 = BVerwGE 111, 298; Urteil vom 27. Juni 2001 - BVerwG 8 C 9.00 - Buchholz 428 § 16 VermG Nr. 6). Nach dem 18. Oktober 1989 getätigte Grundstücksveräußerungsgeschäfte staatlicher Stellen stehen - entgegen der Beschwerde - auch nicht gleichsam unter dem Generalverdacht der Unredlichkeit im Sinne von § 4 Abs. 3 bzw. § 16 Abs. 3 Satz 1 VermG; dies folgt schon aus den Rückbeziehungsbestimmungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG. Vorliegend bemühte sich die UdSSR bereits seit Mitte der 1980er Jahre in Verhandlungen um die Verleihung eines unbefristeten dinglichen Nutzungsrechts an dem streitbefangenen Grundstück und um den Erwerb des Gebäudes. Im Übrigen spricht die von der Klägerin aufgeworfene Frage Umstände des konkreten Einzelfalls an, die sich einer Verallgemeinerung entziehen

7 Die zweite als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage über die Übernahme und Anerkennung der völkerrechtlichen Vereinbarung zwischen der DDR und der UdSSR vom 1. März 1990 durch die Bundesrepublik Deutschland würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Streitbefangen ist allein die Frage, ob mit der Restitution des Grundstücks auch das dingliche Nutzungsrecht mit aufgehoben werden müsste. Dies bestimmt sich aber - wie ausgeführt - nach § 16 Abs. 3 Satz 1 VermG. Ob von der DDR abgeschlossene völkerrechtliche Vereinbarungen das Verfahren nach Art. 12 Abs. 2 des Einigungsvertrages durchlaufen haben oder nicht, mag allenfalls zu Verhandlungen zwischen den Staaten über eine Neugestaltung oder Aufhebung des Nutzungsrechts führen (vgl. auch § 110 SachenRBerG), lässt aber die Frage unberührt, auf welchen Rechtsvorschriften der DDR die Vereinbarung vom 1. März 1990 gründete und ob den darin enthaltenen gesetzlichen Vorgaben Genüge geleistet worden ist. Auf den Umstand, dass nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes (Schreiben vom 12. Januar 1998) die deutsch-sowjetischen/russischen Konsultationen gemäß Art. 12 des Einigungsvertrages bereits im Jahre 1992 beendet worden sind und nur noch Expertengespräche betreffend die Liegenschaften stattfinden, kommt es somit ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Russische Föderation bereits Rechtsnachfolgerin der UdSSR ist oder ob es noch der Ratifizierung entsprechender Verträge durch die Ukraine bedarf. Auf die Wirksamkeit der Verleihung des dinglichen Nutzungsrechts gemäß der völkerrechtlichen Vereinbarung vom 1. März 1990 hat dies keinen Einfluss.

8 Auch die dritte als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Die Art der Wiedergutmachung einer vermögensrechtlichen Schädigung im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG ist von den Betroffenen zu bestimmen. Anders als die Klägerin wählte die an einem hälftigen Miteigentumsanteil des streitbefangenen Grundstücks berechtigte JCC die Entschädigung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VermG i.V.m. dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz. Soweit die Klägerin den Weg der Naturalrestitution gewählt hat, hat dies zur Folge, dass sie sich auf ein Verfahren nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz eingelassen hat. Soweit sie dort ihre Ansprüche weiter verfolgt, geschieht dies in einem neuen Verfahren. Im Übrigen ist diese, erst am 4. Januar 2006 bei dem Verwaltungsgericht eingegangene Rüge verspätet begründet worden (§ 133 Abs. 3 VwGO).

9 2. Es liegt kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dass in einem vermögensrechtlichen Verfahren, das die Aufhebung eines dinglichen Nutzungsrechts zum Gegenstand hat, auch der Inhaber dieses Rechts zum Verfahren (notwendig) beizuladen ist, folgt schon aus der Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung (§ 65 Abs. 2 VwGO). Nach dem Vorbringen der Beschwerde stünde aber schon in Frage, wer beizuladen wäre, wenn die vertragsschließende UdSSR als Völkerrechtssubjekt untergegangen und die Russische Föderation noch nicht in die Stellung des Rechtsnachfolgers eingerückt sein sollte. Dies kann aber offen bleiben. Denn steht fest, dass die Klage keinen Erfolg haben kann, können einem vertragsschließenden ausländischen Staat als Drittem allein dadurch keine Nachteile entstehen, dass er zum Verfahren nicht beigeladen worden ist. Der Verfahrensfehler einer unterlassenen notwendigen Beiladung hat in einem solchen Fall keine Auswirkungen (Beschluss vom 23. September 1988 - BVerwG 7 B 150.88 - Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 93 = BVerwGE 80, 228; Urteil vom 2. September 1983 - BVerwG 7 C 97.81 - Buchholz 442.03 § 9 GüKG Nr. 13). Wenn die Beschwerde im Weiteren darauf abstellt, dass eine Anhörung der Russischen Föderation Aufschluss über die Unredlichkeit der UdSSR beim Erwerb des dinglichen Nutzungsrechts hätte erbringen können, verkennt sie die Funktion der Beiladung. Denn Zweck der Beiladung ist es nicht, die Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung zu erweitern, sondern die Rechtskraft des Urteils auf einen an dem streitigen Rechtsverhältnis Beteiligten zu erstrecken (Urteil vom 7. Februar 1986 - BVerwG 4 C 30.84 - Buchholz 406.11 § 36 BBauG Nr. 36 = BVerwGE 74, 19). Eine Beiladung des Auswärtigen Amtes scheitert schon an der fehlenden Beteiligungsfähigkeit (vgl. § 61 VwGO). Das Unterlassen einer (verbleibenden) einfachen Beiladung begründet aber keinen Verfahrensfehler, zudem dient auch diese nicht dem Zweck der Sachverhaltsaufklärung.

10 Der geltend gemachte Verfahrensfehler der mangelnden Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) scheitert schon daran, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Beweisantrag zur Unredlichkeit des Rechtserwerbs gestellt hat. Von einem anwaltschaftlich vertretenen Beteiligten kann erwartet werden, dass eine für notwendig erachtete Beweisaufnahme zur Aufklärung des Sachverhalts bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form in das gerichtliche Verfahren eingebracht wird. Unterbleibt dies, kann eine Verletzung der Aufklärungspflicht nur vorliegen, wenn sich dem Verwaltungsgericht ohne Beweisantrag eine weitere Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen hätten aufdrängen müssen. Angesichts der durch vorgelegte Verwaltungsakten nachgewiesenen, bereits seit Mitte der 1980er Jahre laufenden Verhandlungen zwischen den Regierungen der UdSSR und der DDR zum Rechtserwerb am streitbefangenen Grundstück kann davon keine Rede sein.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und Abs. 4 GKG. Die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland (sowie deren formlose Erstreckung auf die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) war aufzuheben, nachdem diese mit dem Inkrafttreten des Entschädigungsrechtsänderungsgesetzes vom 10. Dezember 2003 (BGBl I S. 2471) in die Rolle der Beklagten wechselte (Beschluss vom 4. April 2006 - BVerwG 7 B 17.06 -).