Beschluss vom 13.06.2003 -
BVerwG 5 B 224.02ECLI:DE:BVerwG:2003:130603B5B224.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.06.2003 - 5 B 224.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:130603B5B224.02.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 224.02

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 19.04.2002 - AZ: OVG 2 A 2122/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. April 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Ansprüche der Kläger auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 BVFG mit der Begründung verneint, die vom Kläger zu 2 in der Zeit von 1986 bis Anfang 1990 konkret ausgeübte Funktion als Leiter der drittgrößten Untersuchungshaftanstalt der ehemaligen Sowjetunion in Swerdlowsk mit bis zu 9 000 Insassen müsse als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems gewöhnlich bedeutsam angesehen werden. Diese Einrichtung sei allein durch den Kläger zu 2 als Leiter und auch allgemein hinsichtlich der dort von ihm ausgeübten Tätigkeit in einer Weise geführt worden, wie es bei vergleichbaren Einrichtungen in nicht kommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen nicht der Fall sei. Es spreche schon einiges dafür, jede Funktion als Leiter einer Behörde von der Größe und Bedeutung der vom Kläger zu 2 geführten als gewöhnlich bedeutsam für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems anzusehen; dies könne jedoch offen bleiben, denn jedenfalls gelte dies für eine Behörde dieser Größe und dieses Aufgabenbereichs, in der Einzelleitung in der Weise bestanden habe, dass der Leiter letztverantwortlich allein entschieden habe und damit auch für die Einhaltung der politischen Vorgaben verantwortlich gewesen sei. Im Übrigen sei die Bedeutsamkeit für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems auch den vom Kläger zu 2 wahrgenommenen Einzeltätigkeiten zu entnehmen. Dies gelte zunächst für die Behandlung der bereits verurteilten Straftäter, deren Anteil nach den Angaben des Klägers bis zu 3 % der Insassen, d.h. bis zu 270 Gefangene, betragen habe. Im Strafvollzugsbereich habe das so genannte Besserungsarbeitsrecht gegolten, welches die Besserung und Umerziehung der Gefangenen zum Ziele gehabt habe. Zur politischen Erziehung habe auch Propagandaarbeit gehört. Die Haltung der Gefangenen in und gegenüber diesem Unterricht habe von der Verwaltung für die Beurteilung des Ausmaßes ihrer Besserung und Umerziehung verwendet werden können. Dies habe bei der Frage der vorzeitigen Entlassung eine besondere Rolle gespielt. Der Kläger zu 2 habe letztlich die Verantwortung für die politische Arbeit in seinem Hause getragen und sei nach seinen Angaben auch für den Antrag auf vorzeitige Haftentlassung an das darüber entscheidende Gericht allein zuständig gewesen. Diese Aufgabe der Erziehung bzw. Umerziehung der Straftäter im Sinne des kommunistischen Herrschaftssystems habe der Stärkung und damit der Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gedient. Darüber hinaus sei in der ehemaligen Sowjetunion in bestimmten Fällen die Verurteilung auf der Grundlage von auch aus anderen Rechtsordnungen bekannten Straftatbeständen letztlich politisch motiviert gewesen, um dem kommunistischen Herrschaftssystem politisch missliebige Personen zu bessern oder umzuerziehen. Die solchermaßen etwa wegen Rowdytums oder Verleumdung verurteilten Straftäter seien nicht in den Einrichtungen des Geheimdienstes, sondern in den dem Innenministerium unterstellten Haftanstalten untergebracht gewesen, weshalb davon auszugehen sei, dass der Kläger zu 2 auch aus politischen Motiven Verurteilte zu beaufsichtigen gehabt habe. Auch diese Funktion habe der Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gedient und hierfür als bedeutsam gegolten.
2. Die Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) scheidet aus. Soweit die Beschwerde eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2001 - BVerwG 5 C 15.00 - mit der Begründung geltend macht, aus dieser Entscheidung erschließe sich "kein Ansatz ... wobei hinsichtlich der Funktion nach der Größe der Einrichtung differenziert" werde, fehlt es - wie auch die Beschwerde nicht verkennt - an der Entscheidungserheblichkeit, da die Vorinstanz dieses Problem offen gelassen und entscheidungstragend auf die letztverantwortliche Entscheidungszuständigkeit des Klägers zu 2 auch für die Einhaltung der politischen Vorgaben sowie auf die im Urteil genannten Einzeltätigkeiten im Rahmen des Strafvollzuges und auf die Funktion des Klägers bei der Aufsicht bezüglich der auch aus politischen Motiven verurteilten Personen abgestellt hat.
3. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Die Beschwerde zeigt keine grundsätzlich klärungsbedürftige, entscheidungserhebliche Rechtsfrage zu § 5 Nr. 2 b) BVFG auf. Auf die Frage, "ob die gleiche Funktion differenziert nach der Größe der geleiteten Einrichtung einmal zum Ausschluss nach § 5 BVFG führen muss oder nicht", käme es in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich an. Mit ihrem Vorbringen wendet die Beschwerde sich - ohne insoweit revisionsrechtlich beachtliche Verfahrensrügen zu erheben - im Wesentlichen gegen die Beurteilung des Sachverhalts durch die Vorinstanz. Dies gilt namentlich für das Vorbringen, in der vom Kläger zu 2 geleiteten Untersuchungsanstalt seien lediglich "schlichte Rechtsbrecher, wie sie in allen Gesellschaftssystemen vorkommen", inhaftiert gewesen, es habe sich bei diesen um "Kleinstkriminelle" gehandelt, "die zum Zwecke des Betriebes der Versorgung der Untersuchungshaftanstalt gearbeitet hätten"; nichts spreche dafür, dass der Kläger seine Entscheidungen über vorzeitige Haftentlassungen, die in ihrer Qualität als Prognoseentscheidungen auch in anderen Gesellschaftssystemen zu treffen seien, unter Gesichtspunkten politischer Willfährigkeit getroffen habe; politische Erziehungsarbeit gebe es auch in den Gefängnissen anderer politischer Systeme, etwa als Teilnahme an staatsbürgerlichem Unterricht; Verurteilungen etwa wegen Rowdytums oder Verleumdung seien in der Bewertung als "politisch motiviert" etwa der Verurteilung von Teilnehmern an Sitzblockaden in Deutschland zu vergleichen. Die tatsächlichen Feststellungen, die den rechtlichen Wertungen der Vorinstanz zugrunde liegen und sie tragen, werden durch die Grundsatzrüge nicht in Frage gestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.