Beschluss vom 12.07.2016 -
BVerwG 1 B 85.16ECLI:DE:BVerwG:2016:120716B1B85.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.07.2016 - 1 B 85.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:120716B1B85.16.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 85.16

  • VG Karlsruhe - 12.01.2015 - AZ: VG A 7 K 3581/12
  • VGH Mannheim - 27.04.2016 - AZ: VGH A 6 S 917/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juli 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 27. April 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

2 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

3 1. Die Beschwerde hält zunächst die Frage für klärungsbedürftig, ob für das Vorliegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Falle eines psychischen Leidens die Gefahr einer "zu irreparablen Gesundheitsschäden führenden" (Re-)Traumatisierung notwendig ist oder eine Retraumatisierung ausreicht, die nicht zu irreparablen Schäden führt.

4 Die aufgeworfene Frage rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision, da sie sich im vorliegenden Verfahren nicht stellt. Der Verwaltungsgerichtshof hat für die Erfüllung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei psychischen Leiden nicht verlangt, dass die Gefahr einer "zu irreparablen Gesundheitsschäden führenden" (Re-)Traumatisierung vorliegen muss. Er hat vielmehr auf die Maßstäbe der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgestellt, wonach für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich ist, dass sich eine vorhandene psychische Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände erheblich verschlechtert (UA S. 14 f.). Die erhebliche Verschlechterung einer Krankheit ist aber ein anderer Maßstab als die Herbeiführung irreparabler Gesundheitsschäden. Der vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegte Maßstab entspricht im Übrigen der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach bedarf es der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall, ob die Gefahr einer wesentlichen Verschlimmerung der Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für dessen Leib oder Leben führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 - BVerwGE 127, 33 Rn. 15; Beschluss vom 17. August 2011 - 10 B 13.11 - juris Rn. 3).

5 2. Die Beschwerde hält weiterhin die Frage für klärungsbedürftig, wann eine wesentliche Verschlechterung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung gemäß der im Jahr 2016 neu eingefügten Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, wenn bei der Auslegung die Garantien des Grundgesetzes und der EMRK beachtet werden. Auch diese Frage stellt sich jedoch im vorliegenden Verfahren nicht. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat seine die Berufung des Klägers zurückweisende Entscheidung damit begründet, dass sich bei dem Kläger - in Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht vor der Gesetzesänderung aufgestellten Maßstäbe - schon nicht die Gefahr einer wesentlichen Verschlimmerung einer Erkrankung alsbald nach Rückkehr nach Mazedonien feststellen lasse, und es daher auf die Frage, ob § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verfassungs- oder konventionskonform oder entsprechend auszulegen sei, nicht ankomme.

6 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-den gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.