Beschluss vom 12.05.2005 -
BVerwG 2 WD 34.04ECLI:DE:BVerwG:2005:120505B2WD34.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.05.2005 - 2 WD 34.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:120505B2WD34.04.0]

Beschluss

BVerwG 2 WD 34.04

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 12. Mai 2005
b e s c h l o s s e n :

  1. Auf die Berufung des früheren Soldaten wird das Urteil der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 21. September 2001 aufgehoben.
  2. Das Verfahren wird wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit des früheren Soldaten eingestellt.
  3. Die Kosten des Verfahrens sowie die dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

Der 63 Jahre alte frühere Soldat war zum 1. April 1963 in die Bundeswehr eingetreten und zunächst in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen worden. Am 2. Juli 1970 war ihm die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen worden. Mit Ablauf des 31. März 1999 war er nach Erreichen der für seinen Dienstgrad geltenden besonderen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt worden. Bis zu seinem Ausscheiden wurde er zuletzt als Stabsoffizier in der Stabsgruppe der Technischen Schule des Heeres/Fachschule des Heeres für Technik in A. verwendet.

In dem durch Verfügung des Amtschefs des Personalamtes der Bundeswehr vom 27. September 2000 ordnungsgemäß eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahrens legte der Wehrdisziplinaranwalt mit Anschuldigungsschrift vom 19. Juli 2001, zugestellt am 26. Juli 2001, dem früheren Soldaten folgenden Sachverhalt als Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG i.V.m. §§ 7, 13 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 1 SG zur Last:

„Der frühere Soldat beantragte am 24.06.1994 in L., S., die Gewährung eines Fahrtkostenzuschusses für eine am 08.06.1994 bis 23.06 .1994 durchgeführte Heimaturlaubsreise, reichte diesen Antrag am 25.07.1994 beim Bundesamt für Wehrverwaltung ein. Dem Antrag fügte er als Kostenbeleg ein Flugticket der Fluggesellschaft British Airways Nr. ... bei. Nach den Angaben auf diesem Flugticket war für ihn ein Reisepreis vom 1.895 US Dollar nach dem am 07.06.1994 geltenden Kurs erhoben worden. Auf dieser Berechnungsbasis gewährte ihm das Bundesamt für Wehrverwaltung einen Fahrtkostenzuschuss in Höhe von 3.476,35 DM.

Auf dem Antrag versicherte er die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben, obwohl ihm, was er zumindest hätte wissen müssen, tatsächlich nur Flugkosten in Höhe von 999 US Dollar, nach damaligem Kurs entsprechend 1.658,34 DM, entstanden waren, sodass er eine Überzahlung in Höhe von 1.818,01 DM nach damaligem Kursniveau erhielt.“

Die Truppendienstkammer hat den früheren Soldaten mit Urteil vom 21. September 2001 eines Dienstvergehens nach § 23 Abs. 1 i.V.m. §§ 7, 13 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 1 SG für schuldig befunden und ihn in den Dienstgrad eines Majors a.D. herabgesetzt.

Gegen das ihm am 7. November 2001 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2001, beim Truppendienstgericht Nord eingegangen am selben Tag, in vollem Umfang Berufung eingelegt und beantragt,

das Urteil aufzuheben und ihn, den früheren Soldaten, von den angeschuldigten Dienstpflichtverletzungen freizustellen.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, er bestreite entschieden, den Dienstherrn im Zusammenhang mit der Beschaffung des Flugtickets, das er für eine vom 8. bis 23. Juni 1994 durchgeführte Heimaturlaubsreise verwendet habe, übervorteilt zu haben. Gleichfalls stelle er in Abrede, auf dem Erstattungsantrag hinsichtlich der tatsächlich entstandenen Flugkosten wahrheitswidrige Angaben gemacht zu haben. Zwar habe die Zeugin H. bekundet, dass das Ticket, nicht wie ausgewiesen 1.895 US-Dollar gekostet habe, sondern nur 999 US-Dollar, wobei die Differenz von British Airways übernommen worden sei. Auch sei unstreitig, dass die Bundeswehrkasse ihm den Betrag von 1.895 US-Dollar erstattet habe. Es bestünden jedoch erhebliche Zweifel, ob es sich tatsächlich um ein verbilligtes, von British Airways bezuschusstes Ticket gehandelt habe. Selbst wenn dies zutreffen sollte, sei nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit zu beweisen, dass ihm bewusst gewesen sei, ein verbilligtes Ticket erhalten zu haben.

Außerdem sei davon auszugehen, dass er sich nicht persönlich um die Beschaffung der Tickets für Heimflugreisen gekümmert habe. Diese und andere organisatorische Aufgaben hätten in den Händen seiner damaligen Mitarbeiter gelegen. Er gehe davon aus, das Ticket weder selbst bestellt noch selbst abgeholt und durch Hingabe eines Schecks über 999 US Dollar bezahlt zu haben.

Im Übrigen habe er im September 1999 einen Hirn-Infarkt erlitten, durch den auch sein Gedächtnis in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Diese Erkrankung mache es ihm unmöglich, der Berufungshauptverhandlung persönlich beizuwohnen.

In einem zwischenzeitlich eingeleiteten strafgerichtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Bonn - 76 Ds 222/02 -, in dem der frühere Soldat angeklagt worden war, den Dienstherrn bei der Abrechnung von Beschaffungen von technischem Gerät für in das Ausland versetzte Soldaten betrogen zu haben, holte das Amtsgericht Bonn ein nervenfachärztliches Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des früheren Soldaten ein. Der Amtsarzt der Bundesstadt B. kam in seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom ... zu folgender Beurteilung:

„Diagnostisch handelt es sich bei Herrn B. aufgrund der geschilderten Symptomatik und der hier anlässlich der amtsärztlich nervenärztlichen Untersuchung am 19.08.2002 erhobenen Befunde um ein hirnorganisches Psychosyndrom bei Z.n. Hirninfarkt links 1999 mit rechtsseitiger Halbseitensymptomatik. Zusätzlich besteht bei O.g. ein depressives Syndrom bei sozialer und familiärer Konfliktsituation. Bei Herrn B. wurde eine Weitschweifigkeit und Umständlichkeit im Denken deutlich, es ergaben sich erhebliche Konzentrationsstörungen sowie Gedächtnisstörungen. Auch bei der Durchführung der testpsychologischen Untersuchung zeigte sich eine deutliche Irritierbarkeit in der Bearbeitung. In der Stimmungslage wirkte er deutlich depressiv gedrückt mit latenter Suizidalität.“

Aus amtsärztlich-psychiatrischer Sicht sei aufgrund des beschriebenen psychopathologischen Befundes davon auszugehen, dass der frühere Soldat nicht in der Lage sei, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen. Zudem würde eine Gerichtsverhandlung für ihn eine große gesundheitliche Gefährdung im Sinne einer Verschlimmerung des depressiven Syndroms mit psychischer Dekompensation bedeuten. Er halte daher den früheren Soldaten für verhandlungsunfähig. Die Prognose sei ungewiss, da die Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen nach Schlaganfall 1999 weiterhin unverändert bestünden.

Daraufhin stellte das Amtsgericht Bonn mit Beschluss vom 3. September 2002 das Strafverfahren gegen den früheren Soldaten gemäß § 205 StPO vorläufig ein.

Nach vorheriger Anhörung der Verfahrensbeteiligten hat auch der Senat mit Beschluss vom 18. Dezember 2002 das vorliegende gerichtliche Disziplinarverfahren gegen den früheren Soldaten gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 205 StPO vorläufig eingestellt.

Am 16. Dezember 2004 ist dem Senat das vom Amtsgericht Bonn im Verfahren - 76 Ds 222/02 - eingeholte weitere amtsärztliche Gutachten des Gesundheitsamtes der Bundesstadt B. vom ... zugegangen. In diesem wird zusammenfassend ausgeführt, der frühere Soldat sei aus amtsärztlich-fachärztlicher Sicht auf Dauer verhandlungsunfähig. Eine wesentliche Besserung der Symptomatik sei aus heutiger Sicht auch in Zukunft nicht zu erwarten.

Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat daraufhin mitgeteilt, ein Antrag nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 WDO auf Bestellung eines Betreuers werde nicht gestellt. Sollte die Verteidigung ebenfalls davon absehen, einen Betreuer bestellen zu lassen, sei das gerichtliche Disziplinarverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses auf Kosten des Bundes einzustellen (§ 108 Abs. 3, § 138 Abs. 3 WDO).

Der Verteidiger des früheren Soldaten hat mitgeteilt, er werde ebenfalls nicht beantragen, einen Betreuer zu bestellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogene Personalgrundakte des früheren Soldaten verwiesen.

II

Auf die Berufung des früheren Soldaten ist das Urteil der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 21. September 2001 aufzuheben und das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO einzustellen. Die Entscheidung des Senats ergeht nach § 123 Satz 3, § 108 Abs. 4 und § 80 Abs. 3 Satz 1 WDO durch Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung (vgl. dazu auch Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 120 RNr. 2 f.).

Unter den Begriff eines Verfahrenshindernisses im Sinne des § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 WDO fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen. Dazu zählen insbesondere allgemeine Verfahrensvoraussetzungen wie die Verfolgbarkeit von Täter und Tat, die nicht auf andere Weise geheilt werden können (vgl. u.a. Beschluss vom 22. Juli 2004 - BVerwG 2 WDB 4.03 - <NZWehrr 2005, 35>; Dau, a.a.O., § 108 RNr. 11 und § 98 RNr. 4 ff. m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Zwar steht nach § 85 Abs. 1 WDO der Fortsetzung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht entgegen, dass der betroffene Soldat verhandlungsunfähig ist. Die Rechte des Soldaten werden in diesen Fällen durch einen gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 1 WDO bestellten Betreuer gewahrt. Wird der Soldat insoweit vertreten, findet die Hauptverhandlung gemäß § 104 Abs. 1 Nr. 4 WDO ohne ihn statt. Fehlt es jedoch an der Bestellung eines Betreuers nach § 85 WDO, kann die Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des Soldaten nicht stattfinden (vgl. dazu auch Dau, a.a.O., § 104 RNr. 13), sodass eine Entscheidung in der Sache nicht ergehen kann. Denn nach dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung muss ein Soldat nach § 85 WDO, mithin also dann, wenn er verhandlungsunfähig ist, zwingend durch einen Betreuer oder Pfleger vertreten werden, wenn die Hauptverhandlung ohne seine Anwesenheit stattfinden soll.

Eine Verhandlungsunfähigkeit liegt vor, wenn dem Betreffenden die Fähigkeit fehlt, sich in jeder Lage des Verfahrens in verständiger Weise zu verteidigen (vgl. Beschluss vom 25. Januar 2001 - BVerwG 1 D 31.99 - <juris Nr.: WBRE 410007677>), also in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen sowie seine Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen (vgl. dazu u.a. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. 2004, Einl. RNr. 97 m.w.N.).

Wie sich aus dem amtsärztlichen Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. (Gesundheitsamt der Bundesstadt B.) vom ... zur Frage der Verhandlungsfähigkeit ergibt, liegen beim früheren Soldaten folgende Diagnosen vor:

„1. Hirnorganisches Psychosyndrom bei Z.n. Hirninfarkt im Jahr 1999, bzw. Cerebrales Multiinfarktsyndrom bei polytopem cerebrovasculären Prozess mit Hemiparese rechts und Parästhesien

2. Organische depressive Störung (ICD 10: F06.3)

3. Organische Angststörung (ICD 10: F06.4)

4. Hypercholesterinämie, Arterieller Hypertonus, Keratokonjunktivitis sicca nach Schlaganfall, Stuhlinkontinenz.“

Aufgrund des vom Gutachter aktuell erhobenen Befundes und der diesem vorliegenden medizinischen Atteste ergab sich für diesen daraus die Schlussfolgerung, dass der frühere Soldat „weiter nicht in der Lage ist, seine Interessen in und außerhalb der anstehenden Gerichtsverhandlung vernünftig wahrzunehmen“. Zudem würde, wie der Gutachter dargelegt hat, die Gerichtsverhandlung selbst eine erhebliche Belastung für den früheren Soldaten darstellen; sie könne „zu einer deutlichen Verschlimmerung des bereits sehr fragilen psychischen Gesundheitszustandes“ führen. Der frühere Soldat sei auf Dauer verhandlungsunfähig. Eine wesentliche Besserung der Symptomatik sei aus heutiger Sicht auch in Zukunft nicht zu erwarten.

Der Senat hat keine Veranlassung, die inhaltliche Richtigkeit des amtsärztlichen Gutachtens in Zweifel zu ziehen. Der Gutachter hat darin seine Beurteilungsgrundlagen angegeben sowie die daraus von ihm gezogenen fachärztlichen Schlussfolgerungen nachvollziehbar dargelegt. Anhaltspunkte, aus denen sich Zweifel an der fachlichen Kompetenz des Gutachters oder Hinweise auf das Einfließen fachfremder oder unsachlicher Erwägungen in das Gutachten ergeben könnten, sind weder von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Angesichts der danach auf Dauer bestehenden Verhandlungsunfähigkeit wäre eine Fortsetzung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nur möglich, wenn dem früheren Soldaten nach Maßgabe des § 85 Abs. 2 Nr. 1 WDO ein Betreuer bestellt worden wäre. Eine solche Bestellung durch das Vormundschaftsgericht setzt jedoch einen entsprechenden Antrag voraus. Den Antrag zur Bestellung eines Betreuers kann jeder Verfahrensbeteiligte stellen (vgl. dazu auch Dau, a.a.O., § 85 RNr. 10).

Zwar lässt der Wortlaut des § 85 Abs. 2 WDO offen, ob auch sonstige Stellen antragsberechtigt sind. Denn der Kreis der Antragsberechtigten wird im Normtext der Vorschrift nicht näher bezeichnet. Aus der Entstehungsgeschichte und dem Regelungszusammenhang folgt indessen, dass der Gesetzgeber die Antragsberechtigung auf „alle Verfahrensbeteiligten“ ausgedehnt, darauf jedoch zugleich beschränkt hat. Demzufolge ist im Falle des Unterbleibens einer Antragstellung durch die Verfahrensbeteiligten jedenfalls nicht das beschließende Gericht antragsberechtigt. Nach der - vor In-Kraft-Treten des § 85 Abs. 2 WDO - für die Folgen einer Verhandlungsunfähigkeit des angeschuldigten Soldaten maßgeblichen früheren Regelung des § 64 WDO in der Fassung vom 15. März 1957 (BGBl I S. 189) war in dessen Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 vorgesehen gewesen, dass das Amtsgericht lediglich „auf Antrag der Einleitungsbehörde“ einen Pfleger als gesetzlichen Vertreter zur Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten bestellte. Die Antragsberechtigung war mithin seinerzeit auf die Einleitungsbehörde beschränkt. In der dann im Jahr 1972 erfolgten Neuregelung (§ 78 WDO in der Fassung vom 4. September 1972 - BGBl I S. 1665 -) war in dessen Abs. 2 Satz 1 geregelt worden, dass das Vormundschaftsgericht nunmehr „auf Antrag des Wehrdisziplinaranwalts“ einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter zur Wahrnehmung der Rechte des Soldaten bestellte. Die Antragsbefugnis war also auf den Wehrdisziplinaranwalt beschränkt. Die aktuell geltende Fassung des § 85 Abs. 2 WDO, die am 1. Januar 2002 in Kraft trat, beruht auf einem Gesetzentwurf der Bundesregierung aus dem Jahre 2000. In der Begründung zu diesem Gesetzentwurf (BTDrucks 14/4660, S. 33 zu Nr. 60 - § 78 -) heißt es:

„Mit der Änderung wird die bisher ausschließlich dem Wehrdisziplinaranwalt vorbehaltene Befugnis, die Bestellung eines Betreuers oder eines Pflegers zu beantragen, auf alle Verfahrensbeteiligte ausgedehnt.

Diese Regelung berücksichtigt, dass der Soldat trotz Abwesenheit oder Verhandlungsunfähigkeit eine solche Bestellung beantragen kann oder dass ein solcher Antrag auch von einem Verteidiger gestellt werden kann, den der Soldat vor Eintritt der Voraussetzungen bestellt hat.“

Es ist nicht ersichtlich, dass im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens diese Regelabsicht in Zweifel gezogen oder gar korrigiert worden ist.

Für die Auslegung, dass nunmehr lediglich die (= alle) Verfahrensbeteiligten - nicht etwa aber das beschließende Gericht - gegenüber dem Vormundschaftsgericht nach § 85 Abs. 2 WDO antragsberechtigt sind, spricht auch der Regelungszusammenhang. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist das mit der Sache befasste Gericht Träger des gerichtlichen Verfahrens. Bei ihm werden - von Verfahrensbeteiligten - Anträge gestellt, über die es zu beraten und zu entscheiden hat. Das Gericht selbst stellt keine Anträge. Die in § 85 Abs. 2 Nr. 1 WDO vorgesehene Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht setzt aber gerade einen „Antrag“ an das Vormundschaftsgericht voraus, der typischerweise von einem Verfahrensbeteiligten, nicht jedoch von einem Gericht gestellt wird. Bei der Stellung eines Antrags geht es um die Abgabe einer Willenserklärung im prozessualen Sinne, mit der ein Prozesssubjekt gestaltend an einem gerichtlichen Verfahren (hier: beim Vormundschaftsgericht) mitwirkt. Wer eine solche Prozessrolle ausübt, ist Verfahrensbeteiligter. Ein mit der Sache befasstes Gericht ist als Träger des gerichtlichen Verfahrens regelmäßig nicht gemeint, wenn von einem Verfahrensbeteiligten die Rede ist. Die Richter des mit der Sache befassten Gerichts müssen gegenüber den Verfahrensbeteiligten gerade als Nicht-Beteiligte in Erscheinung treten (vgl. dazu u.a. Meyer-Goßner, Einl. RNr. 71 m.w.N.), um ihre Rechtsprechungsaufgabe und -funktion nach Art. 92 GG erfüllen zu können.

Wenn der Gesetzgeber im Übrigen im Rahmen des § 85 Abs. 2 Nr. 1 WDO dem Wehrdienstgericht die Möglichkeit hätte eröffnen wollen, beim Vormundschaftsgericht ein Verfahren zur Bestellung eines Betreuers eigenständig ohne Antrag eines Verfahrensbeteiligten in Gang zu setzen, hätte es nahe gelegen und letztlich auch erfordert, dies entsprechend zum Ausdruck zu bringen. Indem aber - wie in den früheren Regelungen des § 64 WDO (Fassung 1957) und § 78 WDO (Fassung 1972) - dafür gerade auf die Notwendigkeit eines Antrags abgestellt wird, wird an die tradierte prozessrechtliche Situation angeknüpft, die eine Antragsberechtigung für (einzelne oder alle) Verfahrensbeteiligte, nicht jedoch für das beschließende oder erkennende Gericht, vorsah und an der der Gesetzgeber insoweit nichts ändern wollte und nichts geändert hat.

Scheitert mithin im vorliegenden Falle die vormundschaftsgerichtliche Bestellung eines Betreuers für den früheren Soldaten nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 WDO, kann die (Berufungs-)Hauptverhandlung nicht ohne Anwesenheit des früheren Soldaten stattfinden, das Berufungsverfahren mithin nicht fortgeführt werden. Wie sich aus den Befunden des amtsärztlichen Gutachtens vom ... ergibt, würde die Teilnahme des früheren Soldaten an einer Gerichtsverhandlung eine erhebliche gesundheitliche Belastung für ihn darstellen, die angesichts der vorliegenden medizinischen Diagnosen zu einer deutlichen Verschlimmerung des bereits jetzt sehr fragilen psychischen Gesundheitszustandes führen könnte. Davon geht auch der Bundeswehrdisziplinaranwalt aus und hat deshalb seinerseits angeregt, das gerichtliche Disziplinarverfahren einzustellen. Auch der Verteidiger des früheren Soldaten hat sich dieser Anregung angeschlossen.

Da die Befugnis zur Stellung eines Antrags auf Bestellung eines Betreuers durch das Vormundschaftsgericht nach § 85 Abs. 2 Nr. 1 WDO allein beim Bundeswehrdisziplinaranwalt und beim Verteidiger des früheren Soldaten liegt, diese jedoch einen solchen Antrag nicht gestellt haben, ist das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses im Sinne des § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 WDO unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils einzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 138 Abs. 3 WDO. Die dem Soldaten erwachsenen notwendigen Auslagen waren gemäß § 140 Abs. 1 WDO dem Bund aufzuerlegen.