Beschluss vom 12.05.2004 -
BVerwG 7 B 21.04ECLI:DE:BVerwG:2004:120504B7B21.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.05.2004 - 7 B 21.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:120504B7B21.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 21.04

  • VG Berlin - 22.09.2003 - AZ: VG 31 A 274.00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Mai 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. September 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 217 197 € festgesetzt.

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückgabe eines 1943 zugunsten des Deutschen Reichs eingezogenen Grundstücks an den 1988 gegründeten Beigeladenen nach dem Vermögensgesetz. Sie ist nach einem fort geltenden Verwaltungsakt der Regierung der DDR vom 18. Dezember 1989 mit der 1869 als Religionsgemeinschaft gegründeten Israelitischen Synagogengemeinde (Adass Jisroel) identisch. Der Beigeladene beansprucht das Eigentum aufgrund Abtretung des 1991 angemeldeten Rückgabeanspruchs der Conference on Jewish Material Claims against Germany (JCC) an ihn. Grundstückseigentümer war seit 1908 der eingetragene Verein Chewra Kadischa der Israelitischen Synagogengemeinde (Adass Jisroel) und Israelitisches Krankenheim zu Berlin, bis er 1939 zwangsweise in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert wurde. Der Verein Chewra Kadischa ist liquidationslos erloschen. Auf den Rückgabeantrag der Klägerin stellte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Mitte-Prenzlauer Berg deren Berechtigung fest. Der Widerspruch des Beigeladenen führte zur Aufhebung des Ausgangsbescheids und Rückübertragung des Grundstücks an den Beigeladenen. Das Verwaltungsgericht hat den Widerspruchsbescheid aufgehoben, weil die Klägerin durch einen Beschluss des Magistrats vom 20. Juni 1988 das Grundstückseigentum erworben und dieses bis zum 2. Oktober 1990 innegehabt habe; sie sei darum in entsprechender Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 2 VermG Rechtsnachfolgerin des Vereins Chewra Kadischa. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beigeladenen hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensfehler zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO); denn das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass diese vorliegen.
a) Die Beschwerde sieht in der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin das Eigentum an dem Grundstück durch den Beschluss des Magistrats vom 20. Juni 1988 erlangt und bis zum 2. Oktober 1990 innegehabt habe, einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO). Dieser Grundsatz ist verletzt, wenn die tatrichterliche Überzeugungsbildung an inneren Mängeln leidet, weil das Gericht im Rahmen der Tatsachenwürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat oder von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass ein solcher Verfahrensmangel gegeben ist. Das Verwaltungsgericht hat die
Eigentumsposition der Klägerin damit begründet, dass der Magistratsbeschluss auf die Berichtigung des Grundbuchs durch Eintragung des Voreigentümers gezielt habe. Die Funktion des Magistratsbeschlusses als verbindliche Eigentumsregelung im Einzelfall wird durch die "Darstellung" des Staatssekretärs für Kirchenfragen vom 14. November 1989, die mit der Widerspruchsbegründung des Beigeladenen vorgelegt wurde, bestätigt. Danach wurde die Klägerin durch den Magistratsbeschluss für das in Rede stehende und zwei weitere Grundstücke "eindeutig als Eigentümer ... in den Grundbüchern ausgewiesen". Demgegenüber betrafen die Bedenken, die insbesondere in vorausgegangenen Schreiben des Staatssekretärs für Kirchenfragen und des Leiters des Amts für den Rechtsschutz des Vermögens aus dem Jahr 1989 geäußert wurden, als inopportun angesehene Folgen einer generellen Wiedereinsetzung der Klägerin in ihre Rechte. Da die Eigentumsumschreibung der erwähnten drei Grundstücke von diesen politisch motivierten Bedenken unabhängig war, waren die nach Ansicht der Beschwerde unberücksichtigt gebliebenen Dokumente für das angegriffene Urteil nicht entscheidungserheblich. Soweit die Beschwerde bemängelt, dass die Klägerin das Grundstückseigentum durch den Magistratsbeschluss nicht habe erwerben können, weil abweichend hiervon der nicht mehr existente Verein Chewra Kadischa im Grundbuch als Eigentümer eingetragen worden sei, macht sie keinen Verfahrensfehler geltend. Ihr Vorwurf richtet sich gegen eine Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die dem materiellen Recht zugeordnet ist. Das Verwaltungsgericht hat nicht übersehen, dass der Verein Chewra Kadischa als Eigentümer eingetragen wurde. Es hat diesen Umstand für unerheblich gehalten, weil der Magistratsbeschluss die Wiederherstellung der Eigentumslage vor dem verfolgungsbedingten Vermögensverlust bewirkt und die anschließende Grundbucheintragung nur deklaratorische Bedeutung gehabt habe. Diese Annahme ist nicht deshalb verfahrensfehlerhaft, weil zum Zeitpunkt des Magistratsbeschlusses über den Rechtsstatus der als fortbestehend angesehenen Klägerin noch Unklarheit bestand. Der von der Beschwerde behauptete Verstoß gegen die gerichtliche Pflicht zur Sachaufklärung ist mangels hinreichender Bezeichnung unzulässig. Davon abgesehen zielt auch die Aufklärungsrüge nicht auf einen Verfahrensmangel, sondern auf die materiellrechtliche Auffassung des Verwaltungsgerichts.
b) Unbegründet ist auch die Rüge, die Begründung des angegriffenen Urteils stelle eine Überraschungsentscheidung dar. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als unzulässiges Überraschungsurteil dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Das ist der Fall, wenn eine Entscheidung auf Gründe gestützt wird, die nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens oder des Verwaltungsprozesses waren, es sei denn, das Gericht hat durch entsprechende Hinweise oder auf sonstige geeignete Weise die Verfahrensbeteiligten auf die Entscheidungserheblichkeit des neuen Gesichtspunkts hingewiesen (Urteil vom 11. November 1970 - BVerwG 6 C 49.68 - BVerwGE 36, 264 <266 f.>; stRspr). Eine derartige Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt hier nicht vor. Die Erwägung, dass eine Rechtsnachfolge der Klägerin entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 2 VermG in Betracht kommt, wurde jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erkennbar thematisiert. Nach dem Verhandlungsprotokoll wurden die Vertreter des Beklagten und des Beigeladenen zu einer Anwendung des Befehls Nr. 82 im Ostsektor Berlins befragt. Das musste der Beigeladene angesichts dessen, dass das Problem der Rechtsnachfolge bei einem verfolgungsbedingten Vermögensverlust jüdischer juristischer Personen oder nicht rechtsfähiger jüdischer Personenvereinigungen in den Schriftsätzen der Beteiligten im Verwaltungsverfahren und im Verwaltungsprozess ausführlich behandelt worden war, als Hinweis auf die Möglichkeit einer - gegeben-enfalls entsprechenden - Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 2 VermG verstehen. Davon abgesehen hatte die Klägerin auf diese Vorschrift in ihrem letzten Schriftsatz vor der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hingewiesen. Angesichts dessen kann von einem Überraschungsurteil keine Rede sein.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig, "ob ein Beschluss eines Organs der DDR, der die zuständigen Behörden anweist, die Eigentümereintragungen im Grundbuch zu berichtigen, ein Verwaltungsakt i.S.d. Art. 19 EV ist". Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie sich in ihrer Bedeutung für den vorliegenden Einzelfall erschöpft. Dass eine auf Rechtsbeständigkeit abzielende behördliche Entscheidung eines Einzelfalls die Merkmale eines Verwaltungsakts i.S.d. Art. 19 EV erfüllt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (Beschluss vom 25. Januar 1994 - BVerwG 11 B 53.93 - Buchholz 111 Art. 19 EV Nr. 1). Das Verwaltungsgericht hat den Magistratsbeschluss als Regelung des Inhalts ausgelegt, dass durch ihn die Eigentumsposition der Klägerin begründet wurde. Unter diesen Umständen zielt die Beschwerde auf die einzelfallbezogene Anwendung des insoweit nicht zweifelhaften Verwaltungsaktsbegriffs. Ob das Verwaltungsgericht die unmittelbare Rechtswirkung des Magistratsbeschlusses zu Recht angenommen hat, ist keine Frage, die eine Zulassung der Grundsatzrevision rechtfertigt.
Ebenso wenig führt zur Zulassung der Revision die Frage, "ob Verwaltungsakte, die erlassen wurden, bevor festgestellt wurde, ob ein Adressat, dem mit diesem Verwaltungsakt Rechte zugesprochen wurden, rechtlich existiert, mit Art. 19 EV vereinbar" sind. Diese Frage geht an dem vom Verwaltungsgericht als selbstverständlich vo-rausgesetzten Sachverhalt vorbei, der sich auch aus der Entscheidung des Senats zum Körperschaftsstatus der Klägerin ergibt (Urteil vom 15. Oktober 1997 - BVerwG 7 C 21.96 - BVerwGE 105, 255 <256 f.>). Danach war bereits 1988 die Existenz einer jüdischen Religionsgemeinschaft namens Adass Jisroel nicht zweifelhaft; umstritten war allein, ob diese eine Neugründung oder mit der 1869 gegründeten Religionsgemeinde gleichen Namens identisch war. Da für die staatlichen Stellen der DDR der Rechtsstatus der Klägerin zunächst ohne Belang war, wurde sie ohne dessen nähere Klärung aufgrund der von ihr dargelegten Berechtigung in das Grundstückseigentum der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel zu Berlin wiedereingesetzt. Angesichts dessen trifft die von der Beschwerde unterstellte Prämisse, dass der Adressat des Magistratsbeschlusses rechtlich nicht existent gewesen sei, offensichtlich nicht zu. Die Frage, ob ein unter dieser Prämisse erlassener Verwaltungsakt nach Art. 19 EV wirksam bleibt, würde sich darum in einem Revisionsverfahren nicht stellen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.