Beschluss vom 12.01.2004 -
BVerwG 3 B 101.03ECLI:DE:BVerwG:2004:120104B3B101.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.01.2004 - 3 B 101.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:120104B3B101.03.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 101.03

  • Bayer. VG München - 18.06.2003 - AZ: VG M 28 K 02.6105

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Mit Wirkung gegenüber dem Kläger als Alleinerbe seiner Mutter wurde diese durch den angefochtenen Bescheid des Bayerischen Landesausgleichsamts vom 20. November 2002 nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BFG, § 360 Abs. 1 Nr. 1 LAG i.V.m. § 360 Abs. 2 Satz 5 LAG hinsichtlich des Objekts Berlin-Köpenick, Im Hasenwinkel 18, von der Schadensfeststellung nach dem Beweissicherung- und Feststellungsgesetz und von Hauptentschädigungsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz ausgeschlossen, weil sie nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in eigener Sache wissentlich falsche Angaben über die Entstehung und den Umfang eines Schadens gemacht und zum Zwecke der Täuschung sonstige für die Entscheidung erhebliche Tatsachen verschwiegen habe. Zuvor hatte es zwischen der Mutter des Klägers bzw. dem Kläger und dem Ausgleichsamt einen längeren Schriftwechsel gegeben, vor dem angefochtenen Bescheid zuletzt durch ein Schreiben des Klägers vom 18. November 1999. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht durch das angefochtene Urteil abgewiesen; eine Verwirkung der Ausschließungsbefugnis hat es verneint.
1. Die Beschwerde sieht als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage an, ob der bloße Zeitablauf nach dem "Einschlafen" des Schriftverkehrs zwischen den Beteiligten für die Annahme einer Verwirkung ausreicht oder ob ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten vorliegen muss, das das Vertrauen des Gegners auf die Nichtausübung des Rechts begründet. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Voraussetzungen einer Verwirkung in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit langem geklärt sind. Die Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben, der für die gesamte Rechtsordnung Gültigkeit hat. Sie bildet einen Anwendungsfall des venire contra factum proprium (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) und besagt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (sog. Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (sog. Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Urteile vom 7. Februar 1974 - BVerwG III C 115.71 - BVerwGE 44, 339 <343 f.>, und vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 C 4.89 - Buchholz 404.19 Nr. 102 S. 66 f.). Dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus der von der Beschwerde behaupteten Divergenz zu zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Zwar kommt bei einer solchen Abweichung von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache in Betracht, obwohl eine Divergenzrevision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO damit nicht zu begründen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 1985, NVwZ 1985, 647). Indessen lässt sich keine Divergenz zu den angeführten Entscheidungen erkennen.
Bei dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. November 2002 (BGH VI ZR 416/01 - NJW 2003, 895) ist zwar auch von einem "Einschlafenlassen" von Verhandlungen die Rede. Allerdings steht dies dort nicht im Zusammenhang mit dem Rechtsinstitut der Verwirkung. Vielmehr wird aus dem "Einschlafenlassen" geschlossen, dass die Hemmung der Verjährung eines Regulierungsanspruchs gegen einen Haftpflichtversicherer nach der gesetzlichen Regelung des § 852 Abs. 2 BGB a.F. ende, da das "Einschlafenlassen" als Verweigerung der Fortsetzung von Verhandlungen zu werten sei. So führt der Bundesgerichtshof wörtlich aus: "Die Hemmung der Verjährung endet nach der gesetzlichen Regelung des § 852 Abs. 2 BGB a.F. dadurch, dass der eine oder andere über den zu leistenden Schadensersatz verhandelnde Teil die Fortsetzung der Verhandlungen durch klares und eindeutiges Verhalten verweigert. Hierfür reicht es aus, wenn der Ersatzberechtigte die Verhandlungen 'einschlafen lässt' " (vgl. NJW 2003, 895, 896). Der von dem Beschwerdeführer aufgestellte Rechtssatz, dass der Verpflichtete bei einem "Einschlafenlassen" von Verhandlungen ohne weitere vertrauensbildende Handlungen des Berechtigten darauf vertrauen dürfe, dass von einer Verwirklichung der Forderung Abstand genommen werde, lässt sich dem Urteil des Bundesgerichtshofs jedenfalls nicht entnehmen.
Auch zu dem von der Beschwerde weiterhin angeführten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. September 1983 (BGH IX ZR 90/82 - LM Nr. 39 zu § 242 <Cc> BGB) ist keine Abweichung des verwaltungsgerichtlichen Urteils erkennbar. Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat der Bundesgerichtshof auch in dieser Entscheidung nicht ausgeführt, dass alleine der Zeitablauf zur Begründung von Vertrauensschutz ausreichend sei, wenn es dem Berechtigten möglich gewesen wäre, den eventuell entstehenden Rechtsschein zu zerstören. Vielmehr führt der Bundesgerichtshof dort mit zahlreichen Nachweisen wörtlich aus: "Ein Recht darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde; der Berechtigte muss unter Verhältnissen untätig bleiben, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt". Diese Grundsätze werden vom Verwaltungsgericht teilweise wörtlich zitiert und seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
2. Die Voraussetzungen einer Divergenzrevision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind ebenfalls nicht gegeben. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in der angefochtenen Entscheidung eine Rechtsauffassung vertritt, die einem bestimmten, vom Bundesverwaltungsgericht, dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten Rechtssatz widerspricht. Eine derartige Abweichung wird in der Beschwerdeschrift nicht aufgezeigt.
Hinsichtlich des in der Beschwerdebegründung gemeinten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 1972 (2 BvR 255/67 - BVerfGE 32, 305 ff. = NJW 1972, 675 ff., <der Beschluss vom 8. Februar 1972 - 1 BvR 170/71 - NJW 1972, 675 wurde offensichtlich versehentlich zitiert>) liegen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor. Der Eindruck einer Divergenz wird nämlich durch die unvollständige Wiedergabe des angefochtenen Urteils wie der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hervorgerufen. Einerseits sagt das Verwaltungsgericht keineswegs, dass unter allen Umständen ein aktives Tun des Berechtigten nötig sei. Vielmehr heißt es, als Vertrauensgrundlage reiche das reine Schweigen oder Nichtstun, also der bloße Zeitablauf, "in der Regel" nicht aus. Andererseits führt das Bundesverfassungsgericht wörtlich aus: "... Die Tatsache, dass der Berechtigte sich verspätet auf sein Recht beruft, der Zeitablauf allein also, führt noch nicht zur Verwirkung. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt ... " (BVerfGE 32, 305 <308 f.>). Die Rechtsgrundsätze, von denen das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, decken sich hiernach mit denen des Bundesverfassungsgerichts. Ob es diese Grundsätze im Einzelfall zutreffend angewandt hat, ist für das Vorliegen der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO ohne Belang.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.