Beschluss vom 11.11.2013 -
BVerwG 1 B 11.13ECLI:DE:BVerwG:2013:111113B1B11.13.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.11.2013 - 1 B 11.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:111113B1B11.13.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 11.13

  • VG Braunschweig - 08.12.2011 - AZ: VG 4 A 256/10
  • Niedersächsisches OVG - 22.04.2013 - AZ: OVG 2 LB 365/12

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. November 2013
durch den Richter am Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Dörig,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. April 2013 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

2 1. Wird die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehrt, setzt die hinreichende Darlegung dieses Zulassungsgrunds die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und sowohl für das Berufungsurteil als auch für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 m.w.N.). Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer entscheidungserheblichen, bisher höchstrichterlich noch nicht beantworteten Rechtsfrage führen kann. Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beschwerde nicht.

3 Die Beschwerde wendet sich dagegen, dass das Berufungsgericht die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der rechtskräftig gegen den Kläger verfügten Ausweisung nicht auf Null, sondern lediglich auf die Dauer von vier Jahren ab Ausreise befristet hat. In diesem Zusammenhang weist sie zunächst darauf hin, dass der Kläger nach § 60 Abs. 2 AufenthG nicht in seinen Herkunftsstaat abgeschoben werden dürfe und auch kein anderer Staat ersichtlich sei, in den er ausreisen könne. Die Befristung führe daher zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber anderen Ausländern, die ausreisen oder abgeschoben werden könnten. Diesem Vorbringen ist keine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage zu entnehmen. Die Beschwerde setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass der Kläger aufgrund des derzeit hinsichtlich Syriens bestehenden Abschiebungsverbots aufenthaltsrechtlich besser steht als Ausländer, die in ihren Herkunftsstaat abgeschoben werden können. Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass in Fällen, in denen eine zeitnahe Aufenthaltsbeendigung nicht möglich ist, bei der Fristbestimmung auf typisierende Annahmen zurückgegriffen werden muss, der Betroffene aber jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten (Urteil vom 30. Juli 2013 - BVerwG 1 C 9.12 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen Rn. 42 f.).

4 Weiter hält die Beschwerde in Bezug auf den Schutz von Ehe und Familie für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,
„wie Ausreisepflicht und Schutz von Ehe und Familie überhaupt anders harmonisiert werden kann als mit einer Befristung auf Null.“

5 Zur weiteren Begründung verweist sie darauf, dass der Vollzug der Ausreisepflicht eine Trennung der Familie zur Folge hätte. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde ebenfalls keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Sie setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass in der Rechtsprechung des Senats geklärt ist, wie dem Schutz von Ehe und Familie bei der Befristung der gesetzlichen Sperrwirkung einer Ausweisung Rechnung zu tragen ist. Danach muss sich die in einem ersten Schritt unter Berücksichtigung des Gewichts des Ausweisungsgrundes und des mit der Ausweisung verfolgten Zwecks nach präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG auch an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GR-Charta und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher in einem zweiten Schritt ggf. zu relativieren. Durch dieses normative Korrektiv lassen sich die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen und seiner Familienangehörigen begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen und ist eine Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 = Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 9 jeweils Rn. 42, vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 14.12 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 10 Rn. 14 f. und - BVerwG 1 C 20.11 - Buchholz 402.242 § 55 AufenthG Nr. 15 Rn. 40 f., vom 14. Mai 2013 - BVerwG 1 C 13.12 - InfAuslR 2013, 334 Rn. 32 f. und vom 30. Juli 2013 a.a.O. Rn. 42 f.).

6 2. Die Beschwerde genügt schließlich auch nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (stRspr, Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. m.w.N.).

7 Die Beschwerde behauptet eine Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 -, in dem der Senat davon ausgegangen ist, dass ein eheliches Zusammenleben ausnahmsweise unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG dazu führen kann, dass eine vorherige Ausreise des Ausländers nicht verlangt wird (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 = Buchholz 402.242 § 31 AufenthG Nr. 2 jeweils Rn. 28). Dass das Berufungsgericht einen hiervon abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen. Es hat die familiären Bindungen des Klägers vielmehr berücksichtigt, ist bei der gebotenen Einzelfallwürdigung aber zu dem Ergebnis gekommen, dass angesichts der erheblichen Verstrickungen des Klägers in Betäubungsmitteldelikte und seiner über Jahre gezeigten und weiterhin zu befürchtenden Missachtung der Rechtsordnung im Bundesgebiet der Schutz des Familienlebens gegenüber den gegenläufigen öffentlichen Interessen an Gewicht verliere und deshalb die familiären Bindungen unter den hier gegebenen Umständen eine Befristung auf „Null“ oder zumindest auf einen unter vier Jahren liegenden Zeitraum nicht rechtfertigten.

8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.