Beschluss vom 11.10.2005 -
BVerwG 5 B 35.05ECLI:DE:BVerwG:2005:111005B5B35.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.10.2005 - 5 B 35.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:111005B5B35.05.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 35.05

  • OVG Berlin-Brandenburg - 29.11.2004 - AZ: OVG 5 B 4.02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Oktober 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 29. November 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antrag der Kläger, ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt T. beizuordnen, wird abgelehnt.
  3. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg; das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung oder eines Verfahrensmangels.

2 1. Das Verfahren betrifft die Frage, ob die Kläger, die im Jahre 1991 auf der Grundlage eines Aufnahmebescheides des Bundesverwaltungsamtes in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und Vertriebenenausweise sowie deutsche Reisepässe erhalten haben, ohne dass jedoch eine Einbürgerung erfolgt wäre, durch ihre im April 1992 erfolgte Rückkehr in das Gebiet Kaliningrad ihre Rechtsstellung als so genannte Statusdeutsche im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG nach der bis zum 31. Juli 1999 geltenden, seither aber gemäß Art. 3 § 1 Nr. 1, Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) aufgehobenen Regelung in § 7 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit wieder verloren haben. Nach dieser Bestimmung hat ein Deutscher, der die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzt, die Rechtsstellung eines Deutschen im Sinne des Grundgesetzes wieder verloren, wenn er

3 "... das Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 (Deutschland) freiwillig wieder verlassen und seinen dauernden Aufenthalt in einem fremden Staat genommen (hat), aus dessen Gebiet er vertrieben worden ist ...".

4 Das Verwaltungsgericht hat den Verlusttatbestand im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass das Kaliningrader Gebiet als nördlicher Teil des früheren Ostpreußens zum Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 gehört habe; das Oberverwaltungsgericht hingegen hat ihn mit der Begründung bejaht, der Klammerzusatz "Deutschland" bewirke - entsprechend dem Zweck der Vorschrift, dass Statusdeutsche, die freiwillig in "ihr" oder ein anderes Vertreibungsgebiet zurückkehrten, ihre Rechtsstellung verlören - unter Berücksichtigung der im Zuge der Vollendung der deutschen Einigung und der Friedensverträge für "Deutschland" neu festgelegten territorialen Zuordnung der früheren Ostgebiete zu Russland oder Polen, dass die frühere Zugehörigkeit der Gebiete zum deutschen Reich die Kläger nicht vor dem Verlust der Rechtsstellung als Statusdeutsche bewahre, da sie den "Schutzraum Deutschland" ohne Not freiwillig und auf Dauer verlassen hätten.

5 § 7 a StAngRegG schütze sie nicht vor dem Verlust dieser Rechtsstellung, da sie aufgrund ihrer russischen Staatsangehörigkeit nicht staatenlos würden. Die Zulassung der Revision hat das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung verneint, der Auslegung des § 7 StAngRegG komme keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Vorschrift seit dem 1. August 1999 aufgehoben sei; eine nennenswerte Zahl noch zu entscheidender Fälle nach dieser Vorschrift habe der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht belegen können und sei dem Senat auch sonst nicht bekannt.

6 2. Soweit die Beschwerde demgegenüber mit der Grundsatzrüge geltend macht, die Auslegung des § 7 StAngRegG durch das Berufungsgericht sei insbesondere mit Blick auf den Wortlaut der Bestimmung und unter Berücksichtigung der staatsangehörigkeitsrechtlichen Literatur rechtlich zweifelhaft, mag dies zutreffen (vgl. nur Heilbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. 2005, Rn. 5, 7); auch der Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit, auf den die Beschwerde hinweist, mag - nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Aufhebung der Bestimmung mit Wirkung zum 1. August 1999, die zum Wegfall einer gesetzlichen Grundlage für den Verlust der Statusdeutscheneigenschaft bei freiwilliger Rückkehr in den Vertreibungsstaat geführt hat (vgl. Hailbronner/Renner, a.a.O. Rn. 11) - für die Kläger persönlich von besonderer Bedeutung sein, doch rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt grundsätzlicher Bedeutung, da es sich bei der Bestimmung um ausgelaufenes Recht handelt. Die für die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erforderliche Bedeutung einer Klärung der streitentscheidenden Rechtsfrage für die einheitliche Auslegung und Anwendung bzw. die Fortbildung des Rechts setzt ein über den Einzelfall hinausgehendes, allgemeines Interesse voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90, 92). Rechtsfragen zu Normen des ausgelaufenen bzw. des auslaufenden Rechts kommt daher regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung für die Zulassung der Revision zu, denn mit ihr könnte keine auch für die Zukunft richtungsweisende Klärung erreicht werden (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). Klärungsbedürftig bleibt diese Rechtsfrage allerdings dann, wenn durch die ausgelaufene Regelung noch ein erheblicher, im Einzelnen nicht überschaubarer Personenkreis betroffen ist, für den eine Klärung von Bedeutung wäre (vgl. Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - a.a.O. m.w.N., vom 22. Dezember 1999 - BVerwG 10 B 6.98 - juris und vom 27. Februar 1997 - BVerwG 5 B 155.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 15), wobei es dem Beschwerdeführer obliegt, konkrete Anhaltspunkte für eine erhebliche Zahl von Altfällen darzulegen (vgl. Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - a.a.O. und vom 22. Dezember 1999 - BVerwG 10 B 6.98 - juris). Der Standpunkt der Beschwerde, die Einzelfallgerechtigkeit müsse nicht hinter der Frage zurücktreten, ob im Hinblick auf die Anzahl der noch betroffenen Verfahren "die Entscheidung der Rechtsfrage noch lohnt", lässt unberücksichtigt, dass die Aufgabe der Grundsatzrevision nicht in der Herstellung der Einzelfallgerechtigkeit, sondern in der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und in der zukunftsorientierten Fortentwicklung des Rechts liegt.

7 3. Auch die von der Beschwerde weiter erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Die Beschwerde sieht einen Verfahrensfehler darin, dass das Oberverwaltungsgericht bei der Nichtzulassungsentscheidung auf (mündliche) Ausführungen der Beklagten Bezug genommen habe, die weder schriftlich vorgetragen noch im Sitzungsprotokoll festgehalten worden seien. Ob die Protokollierungspflicht hinsichtlich der Aussagen von Parteien nach § 105 VwGO, § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO sich auch auf Erklärungen im Rahmen einer nur informatorischen Anhörung bezieht (vgl. hierzu Eyermann/Geiger, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Auflage, 2000, Rn. 11 zu § 105), kann hier dahingestellt bleiben, da auch die Beschwerde nicht die Unrichtigkeit der nicht protokollierten Aussage behauptet und nicht zu erkennen ist, wie sich die fehlende Protokollierung der Äußerung des Beklagtenvertreters auf die Entscheidung in der Sache selbst hätte auswirken können.

8 4. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).

9 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).