Beschluss vom 11.07.2003 -
BVerwG 1 B 252.02ECLI:DE:BVerwG:2003:110703B1B252.02.0

Beschluss

BVerwG 1 B 252.02

  • Bayerischer VGH München - 23.04.2002 - AZ: VGH 24 B 01.2393

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. April 2002 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob die Vermeidung der Staatenlosigkeit zu den allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gehört, auf die sich der Kläger berufen kann, wenn die völkerrechtswidrige Staatenlosigkeit durch gesetzliche Erfordernisse des Einbürgerungsverfahrens der Bundesrepublik Deutschland verursacht wurde. Die Beschwerde legt indes nicht dar, inwiefern es in dem angestrebten Revisionsverfahren auf diese Frage überhaupt ankommen soll. Gegenstand des Rechtsstreits sind die Ausweisung und die Ankündigung der Abschiebung nach Rumänien in dem Bescheid der Ausländerbehörde vom 3. November 2000. Inwiefern für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen die von der Beschwerde aufgeworfene Frage von Bedeutung sein soll, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Die Beschwerde wirft ferner die Frage auf, ob ein geringerer Ausweisungsschutz bei Einbürgerungsbewerbern rechtlich begründbar ist, die bereits eine Einbürgerungszusicherung erhalten haben, gegenüber Ausländern, die keine Einbürgerung begehren, jedoch eine Aufenthaltsberechtigung beantragt und erhalten haben. Diese Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, da sich der Umfang des besonderen Ausweisungsschutzes ohne weiteres aus der gesetzlichen Regelung in § 48 AuslG ergibt. Einbürgerungsbewerber, auch wenn sie eine Einbürgerungszusicherung erhalten haben, genießen danach keinen besonderen Ausweisungsschutz. Anhaltspunkte, die dafür sprechen könnten, dass hinsichtlich dieses Personenkreises eine ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke bestünde oder er aus Gründen höherrangigen Rechts im Rahmen der Ausweisungsregelung den Inhabern einer Aufenthaltsberechtigung gleichgestellt werden müsste, sind von der Beschwerde nicht vorgetragen und nicht erkennbar. Die Argumentation der Beschwerde, dass eine Gleichstellung von Einbürgerungsbewerbern mit Aufenthaltsberechtigten praktisch sinnvoll sei, um eine Vielzahl unnötiger Aufenthaltsberechtigungsanträge von Einbürgerungsbewerbern zu vermeiden, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Die weitere als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, ob Art. 8 Abs. 2 EMRK einen gesondert zu prüfenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beinhaltet, rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Dass eine Ausweisung, die in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Wahrung des Familienlebens eingreift, nur zu einem der in Abs. 2 der Vorschrift zugelassenen Ziele - u.a. Verhinderung strafbarer Handlungen und Schutz der öffentlichen Ordnung - und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf, ergibt sich aus dem Konventionstext ("in einer demokratischen Gesellschaft notwendig") und steht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - sowie der damit übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts außer Frage. Ferner ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein Art. 8 EMRK im Einzelfall etwa zu entnehmender weitergehender Ausweisungsschutz bei Anwendung des Ausländergesetzes zu beachten ist (Beschluss vom 22. Februar 1993 - BVerwG 1 B 7.93 - Buchholz 402.26 § 12 AufenthG/EWG Nr. 9 = InfAuslR 1993, 257; Beschluss vom 21. August 1995 - BVerwG 1 B 119.95 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 3; für den Fall einer "Ist"-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG: Beschluss vom 21. August 1997 - BVerwG 1 B 163.97 - <juris>, jeweils m.w.N.). Weiterhin hat der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass das differenzierte Regelwerk der Ausweisungsgründe in den §§ 45 ff. AuslG grundsätzlich dem Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK - und damit auch dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit - entspricht (Urteil vom 17. Juni 1998 - BVerwG 1 C 27.96 - BVerwGE 107, 58, 73; vgl. auch Urteil vom 9. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 19.96 - BVerwGE 106, 13, 22). Dies gilt auch für die "Ist"-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG, die besonders schwere und gefährliche Straftaten und ein dementsprechend hohes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung bei gleichzeitigem Fehlen von besonderem Ausweisungsschutz voraussetzt (vgl. zur Vereinbarkeit von § 47 Abs. 1 AuslG mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Beschluss vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Art. 8 EMRK keinen weitergehenden Schutz als Art. 6 GG vermittelt, soweit sich die Anwendungsbereiche der beiden Bestimmungen - wie hier bei dem Verhältnis des Vaters zu seinen minderjährigen ehelichen Kindern (vgl. etwa Urteil vom 9. Dezember 1997, a.a.O.) - decken. Danach kann allenfalls in höchst seltenen, außergewöhnlichen Fällen trotz Vorliegens der Voraussetzungen für eine "Ist"-Ausweisung hiervon wegen Unverhältnismäßigkeit nach Art. 8 Abs. 2 EMRK abzusehen sein (vgl. Beschluss vom 10. Dezember 1993, a.a.O.; ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 23. Oktober 2002 - 11 S 1410/02 - AuAS 2003,64 = NVwZ-RR 2003, 304). Soweit die Beschwerde mit ihren Ausführungen der Sache nach auf die Frage zielt, wann ein solcher Ausnahmefall gegeben ist, führt dies nicht auf eine in verallgemeinerungsfähiger Weise zu beantwortende Rechtsfrage. Ob ein Ausnahmefall vorliegt,
ist vielmehr nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zu beurteilen und deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich.
Die weitere Frage, ob es zur Rechtfertigung des staatlichen Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK genügt, wenn der Staat sich lediglich auf generalpräventive Argumente stützt, oder ob es im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung einer spezialpräventiven Begründung bedarf, betrifft ebenfalls die vom Berufungsgericht der Sache nach vorgenommene Prüfung, ob hier ganz ausnahmsweise von einer "Ist"-Ausweisung abzusehen ist, weil sie sich im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig erweist. Das Berufungsgericht hat einen Ausnahmefall bereits mit der Begründung verneint, dass im Falle des Klägers wegen der nur geringen familiären Kontakte zu seinen Kindern "kein Eingriff in ein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Rechtsgut vorliegt", und deshalb die schon mit der Berufung aufgeworfene Frage, "ob im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK die Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen erforderlich sein muss", als nicht entscheidungserheblich angesehen und daher offen gelassen (UA S. 9). Eine für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht maßgebliche Rechtsfrage vermag aber die Zulassung der Revision wegen Rechtsgrundsätzlichkeit nicht zu rechtfertigen (vgl. etwa Beschlüsse vom 7. Januar 1986 - BVerwG 2 B 94.85 - Buchholz 310 § 75 VwGO Nr. 11 m.w.N. und vom 19. Dezember 1996 - BVerwG 10 B 2.96 - <juris>).
Soweit die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe zu Unrecht bereits einen Eingriff in ein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Rechtsgut verneint, zeigt sie weder eine durch die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht entschiedene, klärungsbedürftige Rechtsfrage noch die Abweichung namentlich von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auf, sondern rügt lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall. Dies rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Zur Vermeidung von Missverständnissen bemerkt der Senat allerdings, dass die Eltern-Kind-Beziehung unabhängig vom Fortbestand der Ehe und des gemeinsamen Sorgerechts grundsätzlich sowohl dem Schutzbereich des Art. 6 GG als auch dem des Art. 8 Abs. 1 EMRK unterfällt. Bei einer einmal vorhandenen natürlichen Familieneinheit von Eltern und Kindern - wie hier - ist in der Regel auch bei späterer Trennung der Eltern, Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft und Verlust des Sorgerechts für einen Elternteil von einem Fortbestand schutzwürdiger Beziehungen zwischen diesem Elternteil und seinen Kindern auszugehen und kann allenfalls bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ein Ende derartiger Beziehungen angenommen werden (vgl. auch EGMR, Urteil vom 11. Juli 2000 - Ciliz ./. Niederlande - NVwZ 2001, 547 m.w.N.).
Die schließlich von der Beschwerde noch aufgeworfene Frage, ob von dem Kläger verlangt werden kann, "zur Zwangsvollstreckung der Ausweisung (Abschiebung) die alte Staatsangehörigkeit wieder anzunehmen", führt ebenfalls nicht zur Zulassung einer Grundsatzrevision. Die Frage betrifft allenfalls die Möglichkeit der Abschiebung des Klägers nach Rumänien und damit die Durchführung der Abschiebung, hat aber auf die Rechtmäßigkeit der Ausweisung und der Abschiebungsankündigung, die hier allein im Streit sind, keinen Einfluss. Sie wäre deshalb auch in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.