Beschluss vom 11.07.2002 -
BVerwG 9 VR 5.02ECLI:DE:BVerwG:2002:110702B9VR5.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.07.2002 - 9 VR 5.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:110702B9VR5.02.0]

Beschluss

BVerwG 9 VR 5.02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2002
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S t o r o s t und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:

  1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 9. Januar 2002 wird abgelehnt.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.

I


Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 9. Januar 2002 für den Neubau der Bundesstraße B 96n von der Ortsumgehung Stralsund bis zum Knotenpunkt Altefähr. Er ist Eigentümer eines ca. 85 m östlich der südlichen Rampe des Knotenpunkts Altefähr gelegenen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks. Mit seiner Klage macht er u.a. geltend, die im Planfeststellungsbeschluss vorgesehene, von dem ausgelegten Plan abweichende Aufhebung der Wegeverbindung zwischen seinem Grundstück und der Bundesstraße B 96 alt sei verfahrens- und abwägungsfehlerhaft.

II


1. Der Antrag ist zulässig. Die Antragsbefugnis des Antragstellers ergibt sich daraus, dass er geltend macht, durch den Planfeststellungsbeschluss in seinem Beteiligungsrecht aus § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG M-V und in seinem sich aus § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG ergebenden Recht auf gerechte Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange verletzt zu sein, und deshalb im Klageverfahren die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses begehrt.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 17 Abs. 6 a Satz 1 FStrG und § 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG geregelten Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Klage.
Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die Klage mit dem auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichteten Hauptantrag auf der Grundlage der zur Begründung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vorgetragenen Gesichtspunkte voraussichtlich keinen Erfolg haben kann. Unter diesen Umständen besteht kein hinreichender Anlass dafür, von der gesetzlich vorgesehenen Regel der sofortigen Vollziehbarkeit der Planfeststellung hier abzuweichen.
a) Dass der angefochtene Planfeststellungsbeschluss an einem Verfahrensfehler leidet, der seine vollständige oder teilweise Aufhebung auf die Klage des Antragstellers ihn rechtfertigen könnte, ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht anzunehmen.
Zwar hätte der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG M-V vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses zu der aufgrund der Erörterung geänderten Planung der Anbindung des Ortsteils Gustrowerhöfen an das übergeordnete Straßennetz anhören müssen. Denn unmittelbar durch diese Änderung wurden die Belange des Antragstellers, zu denen auch sein Interesse an der Aufrechterhaltung einer bestimmten vorteilhaften Verkehrsverbindung gehört (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 1996 - BVerwG 11 VR 3.96 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 13 S. 51), stärker als bisher berührt.
Der im Unterbleiben dieser Anhörung liegende Verfahrensfehler führt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch nur dann zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses, wenn er sich auf die Entscheidung in der Sache ausgewirkt haben kann, wenn also die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler die Entscheidung anders, und zwar nicht präkludierte materiellrechtliche Rechtspositionen des Antragstellers begünstigend ausgefallen wäre (vgl. BVerwGE 69, 256 <269 f.>; 75, 214 <228>; Urteil vom 21. April 1999 - BVerwG 11 A 50.97 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 28 S. 31). Dafür ist hier nichts ersichtlich. Denn die Planfeststellungsbehörde hat die Belange der Anwohner von Gustrower-höfen, deren Forderung nach weiterer Anbindung des Wirtschaftsweges an die Bundesstraße B 96 alt ihr aus mehreren Hinweisen der Vorhabensträgerin bekannt war, im Planfeststellungsbeschluss (S. 49) ausdrücklich in den Blick genommen, jedoch gemeint, ihnen sei mit der Ertüchtigung der vorhandenen zweiten Anbindung hinreichend Rechnung getragen. Bei realistischer Betrachtungsweise spricht nichts dafür, dass zusätzliche Hinweise des Antragstellers auf die - sich schon aus den Plänen ergebende - Umwegsituation und auf seine - von derjenigen der zuständigen Polizei- und Ordnungsbehörde abweichende - Ansicht, die Gefährdung der Verkehrssicherheit durch die ursprünglich geplante Einmündung des Wirtschaftsweges sei "nicht sehr groß", die Planfeststellungsbehörde insoweit zu einer anderen Beurteilung veranlasst hätten.
b) Auch eine Verletzung des materiellen Rechts, die einen Anspruch des Antragstellers auf vollständige oder teilweise Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses begründen könnte, lässt sich dem Antragsvorbringen nicht entnehmen. Diese weist insbesondere nicht auf Mängel bei der durch § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG gebotenen Abwägung hin, die gemäß § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG erheblich - also offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen - sind und nicht durch Planergänzung behoben werden können.
aa) Der Antragsteller trägt insoweit zum einen vor, mit der geplanten Änderung der Wegeverbindung werde ihm und seinen Mietern ein Umweg von über 1 km in Richtung Norden und von annähernd 1 km in Richtung Süden zugemutet; dies beeinträchtige sein Interesse an einer möglichst günstigen Verkehrsverbindung.
Zwar ergibt sich aus den Ausführungen des Antragsgegners im Planfeststellungsbeschluss und im vorliegenden gerichtlichen Verfahren, dass bei der Planfeststellung die Bedeutung dieses schutzwürdigen Belangs des Antragstellers nicht zutreffend erkannt wurde. Die Würdigung der diesbezüglichen Forderung der Anwohner von Gustrowerhöfen im Planfeststellungsbeschluss beschränkte sich auf die Feststellung, dass lediglich ein Anspruch auf Anschluss an das übergeordnete Straßennetz bestehe, zu dessen Aufrechterhaltung eine Anbindung ausreiche (S. 49); auch das Grundstück des Antragstellers sei weiterhin über eine schon jetzt bestehende Wegtrasse mit dem klassifizierten Straßennetz verbunden (S. 96). Dass die Planfeststellungsbehörde das über das Recht auf Anliegergebrauch hinausgehende Interesse des Antragstellers an der Vermeidung der durch die Aufhebung der Wegeverbindung erforderlich werdenden Umwege in seiner Bedeutung für die Abwägung überhaupt erkannt hat, ist weder dem Planfeststellungsbeschluss noch den ihm zugrunde liegenden Verwaltungsvorgängen zu entnehmen. Vielmehr hat der Antragsgegner noch im vorliegenden gerichtlichen Verfahren die Auffassung vertreten, Fragen eines etwaigen Erschwernisses durch Umwege seien nicht Gegenstand dieses Verfahrens und aus der geänderten Planung ergebe sich für den Antragsteller keine rechtlich relevante Betroffenheit. Das steht mit § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG nicht in Einklang (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Mai 1996 a.a.O. und vom 11. Mai 1999 - BVerwG 4 VR 7.99 - Buchholz 407.4 § 8 a FStrG Nr. 11 S. 3).
Der durch diesen Rechtsirrtum verursachte Abwägungsmangel ist jedoch gemäß § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG unerheblich, weil er auf das Abwägungsergebnis nicht von Einfluss gewesen ist. Denn nach den Umständen des vorliegenden Falles spricht nichts dafür, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre. Die Änderung des Plans durch Aufhebung der ursprünglich vorgesehenen Wegeverbindung geht darauf zurück, dass der Landkreis Rügen als untere Straßenverkehrsbehörde und die Polizeidirektion Stralsund z.T. mit Nachdruck diese Änderung forderten, weil eine dichte Aufeinanderfolge von Knotenpunkten in Konflikt mit der Verkehrssicherheit geraten könne. Das ist nachvollziehbar und wird vom Antragsteller auch nicht schlüssig infrage gestellt. Dass diesem öffentlichen Belang von erheblichem Gewicht ein vergleichbar gewichtiges Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung der für ihn vorteilhaften Wegeverbindung gegenübersteht, ist nicht substantiiert dargetan. Allein der Hinweis auf einen Umweg von etwa 1 km bei Fahrten in nördliche oder südliche Richtung lässt nicht den Schluss zu, dass dieser Umweg dem Antragsteller oder seinen Mietern im Interesse der Verkehrssicherheit auf der neuen Trasse der Bundesstraße B 96 alt nicht zumutbar wäre. Das gilt umso mehr, als mit der Änderung der Planung zugleich den Einwendungen des Antragstellers gegen die Überbauung seines Grundstücks und eine dadurch drohende Beeinträchtigung seines dortigen Trinkwasserbrunnens abgeholfen wurde. Ernsthaft in Betracht kommende andere Möglichkeiten, außerhalb des Knotenpunktes Altefähr das Anwesen des Antragstellers in Richtung Westen an das übergeordnete Straßennetz anzubinden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
bb) Zum anderen macht der Antragsteller geltend, die ihm verbleibende Erschließung über den Bahnübergang östlich seines Grundstücks sei nicht hinreichend dauerhaft rechtlich gesichert, weil die Planfeststellungsbehörde sich mit der Feststellung begnügt habe, dass aktuell keine Planungen zur Aufhebung des Übergangs beständen. Hierzu verweist der Antragsgegner zu Recht darauf, dass eine künftige Aufhebung des Bahnübergangs als Änderung einer Betriebsanlage der Eisenbahn eines neuen Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahrens gemäß § 18 AEG bedarf. Gegen eine in diesem Verfahren ergehende Entscheidung stände dem Antragsteller, soweit er dadurch beschwert wäre, der Rechtsweg offen. Eine Bewältigung dieses vom Antragsteller für die Zukunft befürchteten Konflikts im vorliegenden Planfeststellungsverfahren wäre nur dann geboten gewesen, wenn der Eintritt jenes Konflikts bereits bei Abschluss dieses Verfahrens sicher zu erwarten gewesen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 1997 - BVerwG 11 A 10.96 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 32 S. 162). Das behauptet der Antragsteller selbst nicht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG.