Beschluss vom 11.06.2007 -
BVerwG 4 BN 19.07ECLI:DE:BVerwG:2007:110607B4BN19.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.06.2007 - 4 BN 19.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:110607B4BN19.07.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 19.07

  • Niedersächsisches OVG - 19.01.2007 - AZ: OVG 1 KN 22/06

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

2 Die Rechtssache hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr).

3 Die Beschwerde wirft zunächst die Fragen auf, ob und welche Anforderungen an die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB (2004) und an § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB (2004) gestellt werden, insbesondere die Abgrenzung des Anwendungsbereichs beider Regelungen im Falle eines Mangels im Abwägungsvorgang sowie zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in wesentlichen Punkten“ i.S.d. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB (2004). Damit lässt sich die Zulassung der Revision jedoch nicht begründen. Denn das Normenkontrollgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, eine Verschlechterung der Entwässerungssituation auf dem Grundstück der Antragstellerin sei nicht ausgeschlossen. Darin hat es einen Fehler im Abwägungsvorgang gesehen, den es als offensichtlich und erheblich einstuft (UA S. 12). Die Beschwerde legt nicht dar, inwiefern es vor diesem Hintergrund überhaupt auf die Unterscheidung zwischen dem Anwendungsbereich des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB und des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB ankommen kann. Im Hinblick auf die vom Normenkontrollgericht näher dargelegte Gefahr einer Verschlechterung der Entwässerungssituation (vgl. zu einer derartigen Problematik auch das Urteil des Senats vom 21. März 2002 - BVerwG 4 CN 14.00 - BVerwGE 116, 144) kann vorliegend kein Zweifel daran bestehen, dass es sich um einen „wesentlichen Punkt“ handeln würde, falls es maßgeblich auf die Regelung in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ankommen sollte. Nach § 214 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbs. BauGB sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Hätte das Normenkontrollgericht den von ihm erkannten Fehler demgegenüber als verfahrensrechtlichen Verstoß gegen die Pflicht, die von der Planung berührten Belange (die hier ohne Zweifel bekannt waren) in wesentlichen Punkten zutreffend zu ermitteln und zu bewerten, eingestuft, wäre es nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ebenfalls darauf angekommen, dass der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist.

4 Auch die Fragen, welche Bedeutung die Klausel hat, wonach der Mangel offensichtlich und von Einfluss gewesen sein muss, und ob eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 21. August 1981 - BVerwG 4 C 57.80 - (BVerwGE 64, 33) mit der Folge angezeigt sei, dass nicht mehr die konkrete Möglichkeit ausreiche, sondern ein positiver Nachweis der Ursächlichkeit des Mangels zu verlangen sei, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Der beschließende Senat ist auch nach Erlass des BauGB 2004 durch das EAGBau weiterhin davon ausgegangen, dass ein Fehler im Abwägungsvorgang dann auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel anders geplant worden wäre (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Vorliegend kommt noch die Besonderheit hinzu, dass das Normenkontrollgericht ersichtlich davon ausgegangen ist, dass die Antragsgegnerin verpflichtet war oder zumindest beabsichtigte, die durch die geplante Bebauung grundsätzlich verschärften Entwässerungsprobleme zu lösen und insbesondere eine Verschlechterung der Entwässerungssituation u.a. auf dem Grundstück der Antragstellerin zu vermeiden. In einem derartigen Fall liegt es besonders nahe, anzunehmen, dass der Rat den Bebauungsplan nicht ohne weitere Untersuchungen beschlossen hätte, wenn er von den tatsächlichen Feststellungen des Normenkontrollgerichts ausgegangen wäre, wonach erhebliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das ablaufende Hangwasser die neue Kanalisation überlasten werde. Diese tatsächlichen Feststellungen sind für das Beschwerdegericht bindend, da insoweit keine Verfahrensrügen erhoben worden sind (§ 137 Abs. 2 VwGO).

5 Die Frage, ob ein Mangel im Abwägungsvorgang nur dann beachtlich ist, wenn der Nachweis eines Konflikts bzw. einer fehlenden Konfliktlösung erbracht ist oder ob es ausreicht, wenn hieran Zweifel bestehen und ein Konflikt bzw. eine Konfliktlösung nicht ausgeschlossen werden können bzw. welche der Parteien hierfür die Darlegungs- und Beweislast trägt, führt aus den genannten Gründen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Denn das Normenkontrollgericht hat nach der Vernehmung eines Sachverständigen festgestellt, dass der vom Gericht aufgezeigte Konflikt nicht gelöst worden ist. An einer derartigen Konfliktlösung fehlt es bereits dann, wenn die vorhandenen Gutachten einen bestimmten zu erwartenden Sachverhalt - hier: dass das Plangebiet bebaut wird, der östliche Teil des Wiesengeländes aber weiterhin unbebaut bleibt - nicht in den Blick nehmen. Auf die in der Fragestellung angesprochene Darlegungs- oder Beweislast kommt es im Hinblick auf die vom Normenkontrollgericht getroffenen Feststellungen nicht an. Ein Normenkontrollgericht kann auch dann einen Bebauungsplan für unwirksam erklären, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich weitergehende Schutzmaßnahmen gegen (beispielsweise) eine Verschlechterung der Entwässerungssituation nach weiterer Untersuchung im Rahmen des erneuten Planaufstellungsverfahrens im Hinblick auf die vorhandenen Vorkehrungen doch nicht als erforderlich erweisen sollten.

6 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.