Beschluss vom 11.02.2008 -
BVerwG 9 B 75.07ECLI:DE:BVerwG:2008:110208B9B75.07.0

Beschluss

BVerwG 9 B 75.07

  • Bayerischer VGH München - 10.09.2007 - AZ: VGH 22 B 06.2707

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Februar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen zu 1 und 2 gegen
  2. die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. September 2007 wird zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beigeladenen zu 1 und 2 je zur Hälfte.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird unter entsprechender Änderung der Streitwertbeschlüsse des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs für sämtliche Rechtszüge auf 565 185 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde als klärungsbedürftig bezeichneten Fragen,
nach welchen Kriterien zu entscheiden ist, ob Übernahmeansprüche bei Errichtung von Lärmschutzwänden entlang von Bahntrassen begründet sind,
und
wann mit Schallschutzwänden einhergehende Beeinträchtigungen zu einem Übernahmeanspruch führen,
beziehen sich auf den im Streitfall inmitten stehenden Übernahmeanspruch der Beigeladenen zu 1 und 2 gemäß Art. 6 Abs. 3 des Bayerischen Enteignungsgesetzes, mithin auf irrevisibles Landesrecht, das einer revisionsgerichtlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

3 2. Die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

4 Soweit die Beschwerde mit Blick auf eine Äußerung einer Richterin des Berufungsgerichts einen Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung geltend macht, ist damit ein eigenständiger Verfahrensmangel nicht dargelegt.

5 Die Beschwerde behauptet, eine beisitzende Richterin des Berufungsgerichts habe in dem Ortstermin am 6. Juli 2007, noch bevor die Beweisaufnahme beendet gewesen sei, gegenüber dem Beigeladenen zu 1 und dessen Prozessbevollmächtigten geäußert, der Beigeladene zu 1 solle einen von der Klägerin angebotenen Vergleich annehmen, „da er vom Senat sowieso keinen Übernahmeanspruch zuerkannt bekommen werde“. Selbst wenn die Richterin eine Bemerkung dieses Inhalts bereits zu dem behaupteten Zeitpunkt getan haben sollte und unabhängig davon, ob dies Anlass für einen Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 54 Abs. 1 VwGO, § 42 Abs. 1 ZPO) gegeben hätte, den die Beigeladenen zu 1 und 2 in der Vorinstanz nicht gestellt haben, wäre dies allein nicht geeignet, einen Verfahrensmangel zu begründen. Denn bei dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung handelt es sich um keinen selbstständig geltend zu machenden Verfahrensmangel, sondern lediglich um ein (Hilfs-)Kriterium bei der Behandlung von Beweisanträgen und der Frage, ob das Gericht gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu einer weiteren Sachaufklärung verpflichtet ist und ob es seine richterliche Überzeugung, namentlich seine Würdigung des Sachverhalts, gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat (vgl. etwa Beschluss vom 25. Januar 2005 - BVerwG 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447 <449>). Steht die Sachverhalts- und Beweiswürdigung mit den genannten Vorschriften in Einklang, ist das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung kein eigenständiger Aspekt, der einen Verfahrensmangel begründen könnte. Die Rügen einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und eines Verstoßes gegen den richterlichen Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) greifen jedoch unter allen von der Beschwerde angeführten Teilaspekten nicht durch.

6 a) Die Rüge mangelnder Sachaufklärung erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts noch aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich und geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in einer mündlichen Verhandlung oder - wie hier - in einem Ortstermin, der gerade hierfür bestimmt ist, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Berufungsgericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. etwa Urteil vom 22. Januar 1969 - BVerwG 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. und vom 18. Juni 1998 - BVerwG 8 B 56.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 154 S. 475).

7 Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung in mehrfacher Hinsicht nicht. Ihr ist schon nicht zu entnehmen, dass die anwaltlich vertretenen Beigeladenen zu 1 und 2 auf eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung, deren Unterlassen sie nunmehr rügen, bereits vor dem Berufungsgericht hingewirkt hätten, namentlich durch die Stellung dahingehender Beweisanträge, etwa in dem erwähnten Ortstermin. Das angestrebte Revisionsverfahren dient nicht dazu, prozessuale Versäumnisse eines Beteiligten in den Vorinstanzen nachzuholen. Deshalb kann die Beschwerde nicht durchdringen mit ihren Rügen, es hätte weiterer Sachaufklärung bedurft zur Beeinträchtigung des Anwesens der Beigeladenen zu 1 und 2 unter den Teilaspekten des Schattenschlags, der Geräuschimmissionen, der Verschattung des Anwesens sowie der Verschlechterung der Belüftung und Luftzirkulation einschließlich etwaiger technischer Ausgleichsmaßnahmen (Punkte 2 a, b, d, e und f der Beschwerdebegründung).

8 Des Weiteren beschränkt sich das Beschwerdevorbringen auf Angriffe gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitfalls durch das Berufungsgericht. Das gilt für alle Teilaspekte der Aufklärungsrüge, namentlich auch zur Berücksichtigung der besonderen gesundheitlichen Disposition der Beigeladenen zu 2 und zur erdrückenden Wirkung der Lärmschutzwand (Punkte 2 c und g der Beschwerdebegründung). Mit derartigen Rügen gegen die tatsächliche und rechtliche Würdigung der Vorinstanz kann ein Verfahrensmangel regelmäßig nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, vorbehaltlich der Ausnahme einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. S. 15 m.w.N.). Für Letzteres ist hier nichts ersichtlich.

9 Die Angriffe der Beschwerde gehen schließlich auch deshalb fehl, weil für die Beurteilung, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, die materiell-rechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz zugrunde zu legen ist, selbst wenn diese verfehlt sein sollte (vgl. Beschluss vom 25. Januar 2005 a.a.O.). Das gilt namentlich für die Kritik der Beschwerde an der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass bei der Frage, ob das Anwesen der Beigeladenen zu 1 und 2 noch in angemessenem Umfang in der bisherigen Art genutzt werden kann, auf die gesundheitliche Disposition eines Bewohners, hier der Beigeladenen zu 2, nicht ankomme (Punkt 2 c der Beschwerdebegründung). Vor allem aber lässt die Beschwerde außer Betracht, dass den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs in Anwendung der von ihm zitierten und näher erläuterten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur sog. Parallelverschiebung (Rn. 28 f. des Berufungsurteils) eine Differenzbetrachtung zugrunde liegt, bei der solche Beeinträchtigungen außer Betracht bleiben, die bei einer fiktiven Verschiebung der Stütz- und Lärmschutzwand unter Einhaltung der nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsfläche ebenfalls eingetreten wären.

10 b) Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Rüge, das Berufungsgericht habe gegen das Gebot verstoßen, seine richterliche Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ebenfalls keinen Erfolg haben kann. Dass das Berufungsgericht einen auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung erheblichen Teil des Sachverhalts aus seiner Würdigung ausgeblendet oder sich in Widerspruch zum Inhalt der ihm vorliegenden Akten gesetzt hätte, ist nach den obigen Ausführungen zur Rüge mangelnder Sachaufklärung nicht dargetan.

11 c) Soweit die Beschwerde sich schließlich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs wendet, die Beigeladenen zu 1 und 2 hätten die gutachtlichen Ausführungen zur Frage der Verschlechterung der Belüftung und Luftzirkulation bestätigt (Punkt 2 d der Beschwerdebegründung), beruht diese Annahme offensichtlich auf der im Protokoll über den Ortstermin (S. 5 oben) festgehaltenen Äußerung des Beigeladenen zu 1, wonach „er diesbezüglich nichts zu bemängeln habe“. Dass das Berufungsgericht diese Einlassung als Bestätigung der Aussagen des Sachverständigen aufgefasst und auch auf die bei dem Ortstermin abwesende, aber durch ihren gemeinsamen Prozessbevollmächtigten vertretene Beigeladene zu 2 bezogen hat, lässt einen Verfahrensmangel nicht erkennen.

12 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 63 Abs. 2 und 3 GKG und entspricht der Differenz zwischen dem festgesetzten Ablösebetrag und dem nach den Schätzungen der Landesgewerbeanstalt verbleibenden Wert des abzulösenden Restgrundstücks.