Beschluss vom 10.11.2004 -
BVerwG 7 PKH 4.04ECLI:DE:BVerwG:2004:101104B7PKH4.04.0

Beschluss

BVerwG 7 PKH 4.04

  • VG Chemnitz - 13.05.2004 - AZ: VG 9 K 2324/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. November 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und K r a u ß
beschlossen:

  1. Der Antrag der Kläger, ihnen für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision
  2. in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 13. Mai 2004 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihnen Rechtsanwalt A. H. beizuordnen, wird abgelehnt.

Den Klägern kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Kläger zu 2 und 3 keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO) und hinsichtlich der Klägerin zu 1 nicht dargetan ist, dass weder sie noch die am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten die Kosten des Rechtsstreits aufbringen können (§ 166 VwGO i.V.m. § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
1. Soweit die Kläger gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eine Abweichung des angegriffenen Urteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rügen, genügt ihr Vorbringen nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Begründung einer solchen Rüge. Zwar behaupten sie, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht mit den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Mai 2002 - BVerwG 8 C 16.01 - (Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 47) sowie vom 18. Dezember 2002 - BVerwG 8 C 40.01 - (Buchholz a.a.O. Nr. 52) in Einklang
stehe. Sie arbeiten jedoch keine Rechtssätze des angegriffenen Urteils heraus,
die den, den herangezogenen Urteilen zugrunde liegenden Rechtssätzen widersprechen. Vielmehr beanstanden sie der Sache nach, dass das Verwaltungsgericht die vom Bundesverwaltungsgericht in den vermeintlichen Divergenzentscheidungen entwickelten Rechtssätze erweiternd anwendet, das heißt auf vom Verwaltungsgericht für vergleichbar gehaltene Sachverhalte erstreckt. Damit wird jedoch keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dargetan; denn die Richtigkeit der Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts wird durch deren erweiterte Anwendung nicht in Frage gestellt.
2. Die von den Klägern nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache kann ebenfalls nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger zu 2 und 3 führen; anders verhält es sich hinsichtlich der Klägerin zu 1.
a) Die Frage, ob dem nicht mehr werbend tätigen reprivatisierten Unternehmen in keiner Form ein Anspruch auf Überprüfung der erfolgten Rückgabe aufgrund des Unternehmensgesetzes der DDR nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes und Anpassung an dessen Bedingungen mehr zusteht, ist klärungsbedürftig. Dass dem Träger eines solchen Unternehmens keine Ausgleichsansprüche nach § 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 4 VermG wegen Verschlechterung der Vermögens- oder Ertragslage mehr zustehen können, weil diese Ansprüche die Überlebensfähigkeit des Unternehmens unter marktwirtschaftlichen Bedingungen sichern sollen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entschieden (vgl. Beschluss vom 2. August 2002 - BVerwG 7 B 7.02 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 50; Urteil vom 18. Dezember 2002, a.a.O.). Daraus folgt jedoch - entgegen einer entsprechend umfassenden Formulierung in dem erwähnten Urteil vom 18. Dezember 2002, das allerdings ausschließlich Ansprüche nach § 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Abs. 4 VermG zum Gegenstand hat - nicht ohne weiteres, dass ein nicht mehr werbendes Unternehmen überhaupt keine Überprüfung der Rückgabe nach § 6 Abs. 8 VermG mehr verlangen kann. Vielmehr ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht geklärt, ob der Unternehmensträger, dem das Unternehmen nach dem Unternehmensgesetz zurückgegeben worden ist, auch dann eine Überprüfung der Rückgabe verlangen kann, wenn das Unternehmen nicht mehr werbend tätig ist, damit ihm die mit der Anpassung angestrebte Gleichbehandlung mit den vermögensrechtlichen Rückgaben nicht versperrt wird. Falls dies bejaht wird, wäre dem Unternehmensträger dann im Rahmen der Anpassung nur der Zugriff auf Leistungen verwehrt, welche die Teilnahme des Unternehmens am Wirtschaftsverkehr voraussetzen. Insoweit wirft die von den Klägern unter Abschnitt IX Ziffer 1 ihrer Beschwerdebegründung formulierte Frage einen Klärungsbedarf auf, der grundsätzlich die Durchführung eines Revisionsverfahrens erfordert. Damit würden zugleich die daran anschließenden und denselben Gegenstand behandelnden Fragen der Kläger unter Ziffer 2 bis 5 beantwortet werden.
b) Die unter 6. und 7. gestellten Fragen rechtfertigen demgegenüber schon deswegen nicht die Zulassung der Revision, weil sie Tatsachen voraussetzen, die vom Verwaltungsgericht nicht festgestellt worden sind; diese Fragen wären daher so in einem Revisionsverfahren nicht zu beantworten.
c) Die unter 8. gestellte Frage, ob dem Gesellschafter auch eines reprivatisierten nicht mehr werbend tätigen Unternehmens gleichwohl ein Anspruch auf Überprüfung und Anpassung nach § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG zustehe, verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Soweit diese Frage wörtlich zu verstehen ist, liegt ihre Verneinung auf der Hand; denn Anträge nach § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG können nicht die Gesellschafter des reprivatisierten Unternehmens stellen, sondern nur die des geschädigten Unternehmensträgers. Soweit die Frage im letztgenannten Sinne zu verstehen ist, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Gesellschafter des ehemaligen Unternehmensträgers nach § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG auch dann antragsberechtigt sind, wenn das Unternehmen nach den Vorschriften des Unternehmensgesetzes zurückgegeben worden ist (vgl. Urteil vom 29. Mai 2002, a.a.O.). Die Frage, ob das reprivatisierte Unternehmen werbend tätig ist oder nicht, hat zu der Antragsberechtigung der Gesellschafter des geschädigten Unternehmensträgers keinen Bezug.
Obwohl die Grundsatzrüge somit teilweise zu Recht erhoben wird, könnte sie dennoch in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO nicht zum Erfolg des Rechtsbehelfs der Kläger zu 2 und 3 führen, weil das Verwaltungsgericht deren Klagen unabhängig von der Beantwortung der von den Klägern als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfragen im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat. Ein Rückübertragungsbegehren der Kläger zu 2 und 3 nach § 6 Abs. 6 VermG kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil - worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist -
die Klägerin zu 1 das Unternehmen redlich erworben hat (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 Buchst. d i.V.m. Satz 4 VermG). Die Angriffe der Kläger zu 2 und 3 gegen die Annahme der Redlichkeit des Erwerbs liegen schon deswegen neben der Sache, weil die Erwerberin, die Klägerin zu 1, nach dem Vortrag der Kläger nicht Begünstigte, sondern das Opfer unlauterer Machenschaften gewesen sein soll. Es liegt auf der Hand, dass in einer solchen Situation die Anwendung des § 4 Abs. 3 VermG zu Lasten der Erwerberin nicht in Betracht kommt. Vielmehr ist die Klägerin zu 1 zur Korrektur solcher Rechtsverletzungen auf den von ihr gestellten Überprüfungs- und Anpassungsantrag nach § 6 Abs. 8 VermG verwiesen, in dessen Rahmen ein Anspruch auf Rückzahlung des nach den Behauptungen der Kläger gezahlten Kaufpreises nach § 14 Abs. 4 Satz 3 der Unternehmensrückgabeverordnung - URüV - verfolgt werden kann. Diese Möglichkeit hat jedoch ausschließlich die Klägerin zu 1, die das Unternehmen als Berechtigte zurückerhalten hat (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 URüV; Urteil vom 29. Mai 2002, a.a.O.).
3. Die von den Klägern nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmängel können ebenfalls im Ergebnis nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger zu 2 und 3 führen; auch hier verhält es sich insoweit hinsichtlich der Klägerin zu 1 anders.
a) Die Rüge, dass das Gericht nicht auf eine sachgerechte Antragstellung hingewirkt habe und zu Unrecht von einer Beschränkung des Begehrens auf einen Überprüfungs- und Anpassungsantrag nach § 6 Abs. 8 VermG ausgegangen sei, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil die angegriffene Entscheidung nicht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf diesem Mangel beruhen kann. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen ausgeführt, dass die Kläger unabhängig von der von ihm angenommenen Beschränkung des Begehrens auf einen Überprüfungs- und Anpassungsantrag den geltend gemachten Zahlungsanspruch auch nicht aus § 6 Abs. 6 VermG herleiten könnten.
b) Mit der anschließenden Rüge, das Gericht habe den Klägern die Prüfung der Redlichkeit des Erwerbs nicht mit der Begründung versagen dürfen, diese sei ihm aufgrund der Bestandskraft des Feststellungsbescheides verwehrt, bezeichnen die Kläger keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, sondern eine fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts.
c) Demgegenüber ist die weitere Verfahrensrüge der Kläger berechtigt, die sie als Verstoß gegen die Pflicht zur gerichtlichen Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO einordnen.
Die Kläger werfen dem Verwaltungsgericht vor, es hätte ermitteln müssen, welchem Zweck die beim Erwerb des Unternehmens nach dem Unternehmensgesetz unstreitig geleisteten Zahlungen in Höhe von 1 370 343,55 M gedient hätten. Als Beweismittel dafür wären die im Rahmen der Rückgabe des Unternehmens angelegten Verwaltungsvorgänge der seinerzeit zuständigen Behörde in Betracht gekommen. Aus diesen hätte sich ergeben, dass die geleisteten Zahlungen als Kaufpreis für die Reprivatisierung anzusehen seien.
Die Rüge ist berechtigt. Die Kläger haben in der Tat immer geltend gemacht, der von ihnen bei der Übernahme des Unternehmens gezahlte Betrag sei ihnen abgepresst worden; in Wahrheit sei das Geld nicht für Umlaufmittel, sondern für das Unternehmen als solches gezahlt worden. Befasst hat sich das Verwaltungsgericht mit diesen Zahlungen an zwei Stellen seiner Urteilsbegründung. Zunächst führt es dazu im Zusammenhang mit der den Klägern auferlegten Rückzahlungspflicht für die gelöschte staatliche Beteiligung aus, dass es sich "nach dem eigenen Vortrag der Kläger um Zahlungen betreffend der Übernahme von Umlaufmittelbeständen an den ehemaligen VEB Technische Textilien M." gehandelt habe; deshalb sei nicht anzunehmen, dass mit diesem Betrag auch die Rückzahlung der staatlichen Beteiligung abgegolten gewesen sei. Später bei der Erörterung der Frage, ob die Kläger im Rahmen der von ihnen beantragten Anpassung nach § 6 Abs. 8 VermG die Rückzahlung
der von ihnen geleisteten Zahlungen verlangen könnten, verneint das Verwaltungsgericht einen solchen Anspruch selbst dann, "wenn es sich, den Vortrag der Kläger unterstellt, bei dem begehrten Betrag letztendlich um einen im Jahre 1990 für die Reprivatisierung gezahlten Kaufpreis handeln sollte".
Zu schließen ist aus diesen Ausführungen, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Kläger, die vorgeblich für Umlaufmittel gezahlten Beträge seien in Wahrheit der Kaufpreis für das Unternehmen gewesen, zwar zur Kenntnis genommen, aber bei seiner Entscheidungsfindung nur selektiv verwertet hat. Anders ist es nicht zu erklären, dass es ihn bei der Erörterung der Rückzahlungspflicht für die staatliche Beteiligung, deren Gegenwert von dem vorgeblich gezahlten Kaufpreis umfasst gewesen sein könnte, ausgeblendet hat. Darin liegt ein Mangel der Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 VwGO, in dessen Folge das Verwaltungsgericht es versäumt hat, diesem Vortrag der Kläger nachzugehen.
Obwohl diese Verfahrensrüge zu Recht erhoben wird, könnte sie ebenfalls aus den bereits unter 2. dargelegten Gründen nicht zum Erfolg des Rechtsbehelfs der Kläger zu 2 und 3 führen; aus denselben Gründen verhält es sich bei der Klägerin zu 1 auch hier entgegengesetzt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zu 1 hat demgemäß - anders als die ihrer Streitgenossen - Aussicht auf Erfolg. Dennoch muss auch ihr Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt werden, weil sie nicht dargetan hat, dass sie die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO erfüllt. Danach kann einer inländischen juristischen Person Prozesskostenhilfe unter anderem nur bewilligt werden, wenn die Kosten des Rechtsstreits weder von ihr, noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können. Die Kläger haben weder etwas
zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin zu 1 vorgetragen, noch haben sie dargelegt, wer außer den Klägern zu 2 und 3 Gesellschafter der Klägerin zu 1 ist und warum die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Gesellschafter es nicht zulassen, Mittel für die Prozessführung aufzubringen.