Beschluss vom 10.06.2009 -
BVerwG 2 B 26.09ECLI:DE:BVerwG:2009:100609B2B26.09.0

Beschluss

BVerwG 2 B 26.09

  • OVG der Freien Hansestadt Bremen - 24.09.2008 - AZ: OVG 2 A 432/07 und 433/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 24. September 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 802 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Der von ihr geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.

2 1. Der Kläger ist als Feuerwehrbeamter der Beklagten in deren Lösch-, Hilfeleistungs- und Rettungsdienst tätig. Die regelmäßige Arbeitszeit für diesen Dienst war bis 31. März 2007 auf 56 Wochenstunden festgesetzt. Der Kläger macht Ausgleichsansprüche geltend, weil er mehr als die zulässigen 48 Wochenstunden Dienst geleistet hat. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verurteilt, ihm für die Zuvielarbeit von acht Wochenstunden im Zeitraum vom 1. März 2004 bis 31. März 2007 mit Ausnahme der Zeiten seiner Freistellung als Personalratsmitglied Freizeitausgleich von 15,45 Stunden pro Monat zu gewähren. Eine wöchentliche Arbeitszeit von 56 Stunden verstoße gegen das Arbeitszeitrecht der Europäischen Union, das für Feuerwehrleute eine Arbeitszeit von höchstens 48 Stunden pro Woche zulasse. Zur Arbeitszeit gehörten auch die inaktiven Dienstzeiten, d.h. die Zeiten, in denen die Feuerwehrleute während ihrer Arbeitsschicht auf der Feuerwache auf Einsätze warteten. Die Zuvielarbeit des Klägers müsse nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und einer daran orientierten entsprechenden Anwendung der Regelung über den Ausgleich von Mehrarbeit gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 BremBG durch Dienstbefreiung (Freizeitausgleich) abgegolten werden. Auf der Grundlage von 46 Arbeitswochen im Jahr ergebe sich ein Monatswert von 30,67 Stunden Zuvielarbeit. Hiervon seien 10,22 Stunden abzuziehen, weil die inaktiven Dienstzeiten für den Umfang der Dienstbefreiung nur zur Hälfte zu berücksichtigen seien. Weitere fünf Arbeitsstunden seien entsprechend der Verpflichtung zur Leistung von Mehrarbeit ohne Ausgleich gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 BremBG abzuziehen.

3 2. Mit ihrer Beschwerde wirft die Beklagte die Frage als rechtsgrundsätzlich bedeutsam auf,
ob für die nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vorzunehmende Ermittlung des Anspruchs auf Freizeitausgleich eine pauschalierte Betrachtung auch dann als angemessen anzusehen ist, wenn diese den betroffenen Beamten gegenüber einer konkreten Ermittlung der Dienstzeiten in einem erheblichen Umfang einseitig bevorzugt, oder ob dem Dienstherrn für die Ermittlung des zu gewährenden Freizeitausgleichs im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens eine Wahlmöglichkeit zuzuerkennen ist.

4 Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18; stRspr).

5 Danach kommt der von der Beklagten aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die rechtlichen Grundsätze des Ausgleichsanspruchs wegen Zuvielarbeit durch das Urteil des Senats vom 28. Mai 2003 - BVerwG 2 C 28.02 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38 geklärt sind. Danach stehen Beamten Ansprüche auf Dienstbefreiung für denjenigen Dienst zu, den sie leisten, weil die regelmäßige Arbeitszeit rechtswidrig zu hoch festgesetzt ist. Der Senat hat diesen Ausgleichsanspruch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und den gesetzlichen Vorschriften über den Ausgleich überobligationsmäßiger Mehrarbeit hergeleitet. Die im entschiedenen Fall maßgebende Vorschrift des § 72 Abs. 2 BBG sei nach Treu und Glauben in einer Weise zu ergänzen, welche die beiderseitigen Interessen von Beamten und Dienstherrn zu einem billigen Ausgleich bringe und dabei Sinn und Zweck der Arbeitszeitregelung gerecht werde. Zu dem zeitlichen Umfang des Anspruchs auf Dienstbefreiung heißt es in dem Urteil vom 28. Mai 2003, a.a.O.:
„Bei der Heranziehung zu einem Zusatzdienst, der rechtswidrig gefordert wird, weil die regelmäßige Wochenarbeitszeit fehlerhaft festgesetzt worden ist, erscheint angemessen deshalb eine Dienstbefreiung, die ebenso lang ist wie die Zeit, die der Beamte allmonatlich insgesamt über die ohne Ausgleich höchstzulässige Mehrarbeit von fünf Stunden pro Monat hinaus gearbeitet hat.“

6 Damit hat der Senat zwei allgemeine Kriterien vorgegeben, nach denen der zeitliche Umfang des Anspruchs zu bemessen ist. Zum einen soll der zeitliche Umfang der Dienstbefreiung dem zeitlichen Umfang der rechtswidrig geleisteten Zuvielarbeit entsprechen. Zum anderen müssen Zeiten in Abzug gebracht werden, die nach den gesetzlichen Regelungen, hier nach § 72 Abs. 4 Satz 2 BremBG, ohne Ausgleich als Mehrarbeit geleistet werden müssen.

7 Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Auf der Grundlage des Urteils vom 28. Mai 2003, a.a.O., ist kein Raum für einen Ermessensspielraum des Dienstherrn, eine ihm günstige Berechnungsmethode zu wählen. Mit ihrem Vortrag, der Umfang der Zuvielarbeit dürfe nicht pauschal, sondern müsse stundengenau berechnet müssen, beanstandet die Beklagte in der Sache, das Oberverwaltungsgericht habe das vom Senat aufgestellte Kriterium des gleichen Umfangs von Zuvielarbeit und sich daraus ergebender Dienstbefreiung nicht beachtet.

8 Über die von der Beklagten aufgeworfene Frage nach stundengenauer oder pauschaler Ermittlung des Umfangs der Zuvielarbeit würde in einem Revisionsverfahren nicht zu entscheiden sein. Auf der Grundlage des Urteils vom 28. Mai 2003, a.a.O., könnte die Revision der Beklagten auch dann keinen Erfolg haben, wenn man ihren Vortrag zugrunde legt, bei stundengenauer Ermittlung der Zuvielarbeit stehe dem Kläger ein um 77 Arbeitsstunden niedrigerer Anspruch auf Dienstbefreiung zu (317 statt 394 Stunden). Auch dann liegt die behauptete einseitige Bevorzugung des Klägers nicht vor. Denn das Oberverwaltungsgericht hat die - ebenfalls pauschal bemessenen - inaktiven Dienstzeiten während der Arbeitsschicht für den Umfang der Dienstbefreiung nur zur Hälfte berücksichtigt, obwohl sie arbeitszeitrechtlich in vollem Umfang als Arbeitszeit gelten. Die Beamten leisten während der gesamten Arbeitsschicht Dienst im Sinne von § 72 BremBG, 9 BBesG. Die Berechnungsweise des Oberverwaltungsgerichts wirkt sich erheblich zugunsten der Beklagten aus, weil sie den Anspruch auf Dienstbefreiung um 10,22 Stunden pro Monat, d.h. für den gesamten Anspruchszeitraum vom 1. April 2005 (Ende der Personalratstätigkeit) bis 31. März 2007 um insgesamt 245,28 Stunden (10,22 x 24 Monate) vermindert. Da dieser Rechtsfehler in einem Revisionsverfahren zu korrigieren wäre, wäre die Revision letztlich aus diesem Grund zurückzuweisen. Von seinem Ermessen zu einer solchen entsprechenden Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde macht der Senat angesichts der insoweit klaren Rechtslage aus prozessökonomischen Gründen Gebrauch.

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur noch ein Anspruch auf Dienstbefreiung von 77 Arbeitsstunden. Wird Dienstbefreiung
im Umfang von einer Woche (48 Arbeitsstunden) mit 500 € bewertet (vgl. Streitwertbeschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2008), so ergibt sich für das Beschwerdeverfahren ein Streitwert von 802 €.