Beschluss vom 10.05.2006 -
BVerwG 7 B 20.06ECLI:DE:BVerwG:2006:100506B7B20.06.0

Beschluss

BVerwG 7 B 20.06

  • VG Dresden - 07.12.2005 - AZ: VG 4 K 1240/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Mai 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert, Krauß
und Guttenberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 7. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 240 307,18 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin begehrt die Rückübertragung eines Grundstücks, das ihre Rechtsvorgängerin in der Zeit zwischen Oktober 1934 und April 1935 veräußert hat. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt, zu Gunsten der Klägerin sei zwar ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 REAO zu vermuten. Die Vermutung werde aber durch den Beweis widerlegt, dass der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten habe und über ihn frei habe verfügen können (Art. 3 Abs. 2 REAO).

II

2 Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 1.). Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht auch nicht von einer in der Beschwerde bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, vgl. 2.). Schließlich liegt kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, vgl. 3.).

3 1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Darf sich ein Gericht bei der Bestimmung des Verkehrswertes entscheidend auf ein in einem anderen Verfahren erstelltes Gutachten stützen, auch wenn keine Vergleichsobjekte vorhanden sind?

4 Diese Frage lässt sich nicht allgemein gültig beantworten (vgl. hierzu unten 3). Davon abgesehen hat sich das Bundesverwaltungsgericht in einigen Entscheidungen mit der Ermittlung des Verkehrswerts von Grundstücken befasst und zwar anlässlich der Prüfung, ob der Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO erhalten hat. Diese Entscheidungen werden - wie die Beschwerde an anderer Stelle einräumt - in dem Urteil des Verwaltungsgerichts in zutreffender Weise dargestellt. Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

5 Weiter hält die Beschwerde folgende Frage für klärungsbedürftig:
Darf sich ein Gutachten, das den Verkehrswert eines Grundstückes bestimmen soll, im Wesentlichen auf die Stopppreise für Grundstücke in einem Vergleichsgebiet beziehen?

6 Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Ein Verkehrswertgutachten darf sich dann auf die Stopppreise der Grundstücke in einem Vergleichsgebiet beziehen, wenn diese im Wesentlichen den tatsächlichen Verkehrswert im Zeitpunkt der Veräußerung wiedergeben. Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, wie die Stopppreise auf Grund der Preisstoppverordnung vom 26. November 1936 ermittelt wurden, und beantwortet sich folglich nicht nach revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen ist diese Frage hier nicht entscheidungserheblich, weil das Verkehrswertgutachten in nicht unwesentlichem Umfang auch auf andere Umstände abstellt.

7 2. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur dann vor, wenn die Vorinstanz mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) widersprochen hat. Dies ist nicht der Fall. Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung weicht nicht von dem Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1) ab. Vielmehr geht das Verwaltungsgericht ausdrücklich auch von dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus und wendet sie bei der im Einzelfall vorzunehmenden Beweiswürdigung an. Dies räumt auch die Beschwerde ein, wenn sie davon spricht, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts korrekt zitiert. Gerügt wird allein, dass das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall nicht richtig angewandt habe. Selbst wenn dies zuträfe, läge darin keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

8 3. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auch nicht auf den geltend gemachten Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

9 a) Das Verwaltungsgericht hat seine Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt.

10 Das Verwaltungsgericht musste kein weiteres Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Verkehrswerts des zurückbegehrten Grundstücks einholen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts (VG-Akten Bl. 193 <203>) hat die Klägerin klargestellt, dass es sich bei ihrem diesbezüglichen Antrag um eine Beweisanregung handelt. Deshalb hätte das Verwaltungsgericht seine Amtsermittlungspflicht nur verletzt, wenn sich ihm die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Dies ist nicht der Fall.

11 Die Beschwerde meint, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 20. Januar 2003 - BVerwG 7 B 131.02 ) dürfe das Verwaltungsgericht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens für ein Grundstück nur absehen, wenn bereits ein Sachverständigengutachten für ein vergleichbares Grundstück in vergleichbarer Lage vorliege, das dem Gericht Rückschlüsse auf den maßgeblichen Verkehrswert erlaube, und wenn zusätzlich auf konkrete Vergleichsverkäufe zurückgegriffen werden könne. Dies trifft nicht zu. In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall lag dem Verwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten für ein vergleichbares Grundstück vor und es hatte Kenntnis von einem weiteren Vergleichsobjekt. Die auf beides gestützte freie Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung als frei von Rechtsfehlern bewertet. Einen Rechtssatz dahingehend, dass von der Einholung eines Sachverständigengutachtens für das konkrete Grundstück nur abgesehen werden darf, wenn bereits ein Sachverständigengutachten für ein vergleichbares Grundstück vorliegt und dem Verwaltungsgericht zusätzlich ein Vergleichsobjekt bekannt ist, wird in dieser Entscheidung dagegen nicht aufgestellt. Vielmehr wird in dem Beschluss der Grundsatz betont, dass der Verkehrswert im Wege der freien Beweiswürdigung in erster Linie durch konkrete Vergleichsverkäufe und/oder anhand eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln ist (wie Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 - a.a.O.). Liegt dem Verwaltungsgericht demnach ein Sachverständigengutachten für ein vergleichbares Grundstück in vergleichbarer Lage vor, das ihm - bei der vorzunehmenden freien Beweiswürdigung - die Überzeugung vom Verkehrswert des Grundstücks vermittelt, muss es kein weiteres Sachverständigengutachten einholen. So verhält es sich hier. Das Verwaltungsgericht begründet in seinem Urteil ausführlich, warum das vorliegende Sachverständigengutachten und die Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung für die Überzeugungsbildung des Gerichts ausgereicht haben.

12 Die Beschwerde meint weiter, auf das Gutachten des Sachverständigen G. (VG-Akten Bd. I, Beilage) hätte das Verwaltungsgericht wegen erheblicher Mängel des Gutachtens nicht zurückgreifen dürfen. Auch dies trifft nicht zu. Das von dem Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ausführlich erläuterte Gutachten war geeignet, dem Verwaltungsgericht die zur Beurteilung des Verkehrswerts des Grundstücks erforderliche Sachkunde zu vermitteln und damit die Bildung der für die Entscheidung notwendigen richterlichen Überzeugung zu ermöglichen. Gutachten können zwar als Grundlage für die Überzeugungsbildung des Tatrichters ungeeignet oder zumindest unzureichend sein, wenn sie offen erkennbare grobe Mängel oder unauflösliche Widersprüche aufweisen, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Sachverständigen bieten (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <45>). Davon kann hier aber keine Rede sein. Die Beschwerde rügt diesbezüglich zum einen, das Gutachten beziehe sich nicht auf Verkaufs- und Vergleichsfälle, sondern auf sog. Stopppreise. Deswegen ist das Gutachten nicht mangelhaft. Der Gutachter hat in der mündlichen Verhandlung ausführlich erläutert, welche Bedeutung seines Erachtens den Stopppreisen zukommt, und sein Gutachten auch nicht allein auf diese gestützt.

13 Zum anderen rügt die Beschwerde, der Gutachter habe in seine Bewertung Grundstücke einbezogen, die von derselben verfolgten Verkäuferin veräußert worden seien. Auch dieser Vorwurf geht fehl. Zwar können bei Prüfung der Frage, ob ein Verfolgter einen angemessenen Kaufpreis erhalten hat, nur Vergleichsverkäufe von Nichtverfolgten herangezogen werden. Davon geht aber auch das Verwaltungsgericht ausdrücklich aus.

14 Weiter rügt die Beschwerde, das Gutachten komme bei allen „Vergleichsverkäufen“ auf den gleichen Verkehrswert. Dies kann ohne Weiteres zutreffend sein. Wieso das Gutachten insoweit mangelhaft im oben beschriebenen Sinne sein soll, wird von der Beschwerde nicht dargelegt.

15 Schließlich weist das Gutachten auch hinsichtlich der Verrechnung der Erschließungskosten keine Mängel auf. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die von ihm ermittelten Stopppreise für erschlossene Grundstücke gelten. Das Verwaltungsgericht hat in den Gründen seiner Entscheidung (Urteilsabdruck S. 18 f.) dargelegt, warum es dem Sachverständigen insoweit folgt. In diesem Zusammenhang hat es auch die Erfahrungen des Gutachters auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit im Gutachterausschuss der Landeshauptstadt Dresden erwähnt. Dass der Gutachter vor 1945 nicht Mitglied eines Gutachterausschusses war, macht - entgegen der Auffassung der Beschwerde - sein Gutachten zweifellos nicht mangelhaft.

16 b) Das Verwaltungsgericht hat auch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt. Danach ist das Gericht zwar verpflichtet, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft in seine Erwägungen einzubeziehen (BVerfGE 69, 233 <246>). Es ist jedoch nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, dass das Gericht insbesondere schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, soweit nicht gegenteilige Anhaltspunkte vorhanden sind (BVerfGE 51, 126 <129>). In Bezug auf das Vorbringen zu Art. 3 Abs. 2 REAO fehlt es an solchen Anhaltspunkten. In den Gründen seiner Entscheidung stellt das Verwaltungsgericht fest, es seien keine anderen Tatsachen ersichtlich, die eine ungerechtfertigte Entziehung bewiesen oder für eine solche Entziehung sprächen. Es liegen somit keine Hinweise dafür vor, dass das Verwaltungsgericht dabei den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 5. Dezember 2005 nicht zur Kenntnis genommen hat. Dies gilt umso mehr, als im Tatbestand der Entscheidung die Vorgeschichte des hier maßgeblichen Verkaufs ausführlich geschildert wird (Nutzung des Wiesengrundstücks zunächst als Weide für Brauereipferde, Bebauungsplan aus dem Jahr 1932, auf Grund dessen dann die Parzellierung und der Verkauf der einzelnen Parzellen erfolgte). Davon abgesehen sind der in diesem Zusammenhang von der Klägerin vorgelegten Eidesstattlichen Versicherung keine konkreten Anhaltspunkte für eine durch andere Tatsachen bewiesene ungerechtfertigte Entziehung zu entnehmen.

17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.