Beschluss vom 10.05.2006 -
BVerwG 1 B 115.05ECLI:DE:BVerwG:2006:100506B1B115.05.0

Beschluss

BVerwG 1 B 115.05

  • OVG Berlin-Brandenburg - 08.09.2005 - AZ: OVG 12 B 1.05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Mai 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Prof. Dr. Dörig
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. September 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 Die Beschwerde hält folgende Fragen für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig:
1) Ist „ein strafbares Verhalten gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG bzw. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG auch dann gegeben ..., wenn der Ausländer den aufgrund einer Täuschung seitens der Ausländerbehörde verfügten Aufenthaltstitel aufgrund der Erfüllung anderer und von der Ausländerbehörde aber nicht näher geprüfter Erteilungsvoraussetzungen beanspruchen durfte.“
2) „Wird ein strafbares und für eine Ausweisung gemäß § 45 Abs. 1 i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG bzw. § 55 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 AufenthG grundsätzlich taugliches Verhalten bejaht, stellt sich die weitere grundsätzliche Rechtsfrage, ob eine Ausweisung des Ausländers, der den erlangten Aufenthaltstitel auch aufgrund anderer Rechtsvorschriften ohnehin beanspruchen durfte, nicht gleichwohl zu unterbleiben hat.“
3) „Sollte eine Ausweisung in einem solchen Fall nicht zu unterbleiben haben, stellt sich die weitere grundsätzliche Rechtsfrage, ob von einer Ausweisung gemäß § 45 Abs. 1 i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG bzw. § 55 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 AufenthG jedenfalls dann nicht abzusehen ist, wenn eine anwaltliche Vertretung im Verwaltungsverfahren nicht gegeben war und die Ausländerbehörde es entgegen ihrer Beratungs- und Auskunftspflicht gemäß § 25 VwVfG sowie auch unter Verletzung ihrer Untersuchungspflicht gemäß § 24 Abs. 2 VwVfG unterlassen hatte, den Antragsteller auf sonstige allem Anschein nach erfüllte, von ihm aber nicht in Bezug genommene Erteilungstatbestände aufmerksam zu machen insbesondere wenn diese anderen Erteilungstatbestände erkennbar weniger voraussetzungsreich und weniger prüfungsaufwendig gestaltet sind.“

3 Die Beschwerde wendet sich gegen die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, das § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG als abstraktes Gefährdungsdelikt qualifiziert (BA S. 10 ff.). Die unrichtigen Angaben des Klägers zu seiner ehelichen Lebensgemeinschaft, die er am 29. September 1997 gegenüber der Ausländerbehörde abgegeben habe, erfüllten keinen Straf- und damit auch keinen Ausweisungstatbestand, weil ihm die beantragte unbefristete Aufenthaltserlaubnis auch ohne Fortbestand der Ehe habe erteilt werden müssen. Die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels sei eine rechtlich richtige Entscheidung gewesen, da die Voraussetzungen des § 24 AuslG erfüllt gewesen seien. Die unzutreffenden Angaben, die der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde zwei Jahre zuvor - am 29. September 1995 - gemacht haben, seien ebenfalls strafrechtlich bedeutungslos gewesen. Die Ausländerbehörde habe ihnen keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen, denn zum damaligen Zeitpunkt habe es an dem für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis gesetzlich in § 25 Abs. 3 AuslG verlangten dreijährigen Zusammenleben gefehlt. Die Beklagte habe ihre Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger verletzt, indem sie seinen Antrag nicht auch unabhängig von ehebezogenen Voraussetzungen geprüft habe.

4 Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht. Zwar hat sich der Senat zu der Rechtsfrage, ob § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (jetzt: § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) ein abstraktes Gefährdungsdelikt darstellt oder es für die Erfüllung des Straftatbestandes darauf ankommt, ob der Ausländer aus anderen Gründen einen Anspruch auf den begehrten Aufenthaltstitel hat, bisher noch nicht geäußert (vgl. auch Urteil vom 17. Juni 1998 - BVerwG 1 C 27.96 - BVerwGE 107, 58 <62 ff.>, allerdings eine anders gelagerte Fallkonstellation betreffend). Doch legt die Beschwerde nicht dar, dass es auf diese Rechtsfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits ankommt. Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts ist nämlich nur in einer zweiten Begründung auf die Auslegung und Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG als abstraktes Gefährdungsdelikt gestützt (BA S. 10 - 12). In seiner ersten selbständig tragenden Begründung geht er hingegen davon aus, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt im Jahr 1997 keinen vom Bestand der Ehe unabhängigen Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis hatte (BA S. 9 - 10). Das Oberverwaltungsgericht leitet dies aus der vom Kläger am 29. September 1995 gegenüber der Ausländerbehörde abgegebenen falschen Erklärung zum Fortbestehen seiner ehelichen Lebensgemeinschaft ab, die ihrerseits einen Straftatbestand nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG und damit einen Ausweisungsgrund gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 6 AuslG dargestellt und damit der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung am 29. September 1997 entgegengestanden habe. Diese selbständig tragende Begründung greift die Beschwerde nicht - wie erforderlich -
mit durchgreifenden Revisionszulassungsgründen an (vgl. etwa Beschluss vom 15. Juni 1990 - BVerwG 1 B 92.90 - Buchholz 11 Art. 116 GG Nr. 20), sondern beschränkt sich darauf, hierzu ihre abweichende Rechtsauffassung darzulegen (vgl. Beschwerdebegründung S. 3 f.). Auch im Rahmen dieser Ausführungen macht sie nicht deutlich, inwiefern die falschen Angaben vom 29. September 1995 nicht jedenfalls für den Fortbestand der - allein im Hinblick auf die von der Ausländerbehörde angenommene eheliche Lebensgemeinschaft erteilten (BA S. 10) - befristeten Aufenthaltserlaubnis von Bedeutung gewesen sein konnten, bestand doch für die Behörde die Möglichkeit der nachträglichen zeitlichen Beschränkung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG (vgl. Urteil vom 27. Juni 1995 - BVerwG 1 C 5.94 - BVerwGE 99, 28 <30>). Diese hätte auch Einfluss auf die Erfüllung der 5-Jahres-Frist des § 24 Abs. 1 Nr. 1 AuslG zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im September 1997 gehabt.

5 Ein Klärungsbedürfnis ergibt sich des Weiteren nicht für die von der Beschwerde aufgeworfene zweite und dritte Frage, denn auch sie setzen voraus, dass ein Ausländer „den erlangten Aufenthaltstitel auch aufgrund anderer Rechtsvorschriften ohnehin beanspruchen durfte“, was hier vom Oberverwaltungsgericht ausdrücklich verneint wurde.

6 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG.