Pressemitteilung Nr. 4/2003 vom 10.02.2003

Anträge auf Übergabe von Akten des Bundesnachrichtendienstes an das Oberlandesgericht Hamburg im Motassadeq-Prozess abgelehnt

Das Bundesverwaltungsgericht hat heute zwei Eilanträge abgelehnt, mit denen die Verteidiger des vor dem Oberlandesgericht Hamburg wegen Beteiligung an den Flugzeugattentaten in New York am 11. September 2001 angeklagten Mounir El-Motassadeq die sofortige Übergabe von Akten des Bundesnachrichtendienstes an das Oberlandesgericht erzwingen wollten.


Der Bundesnachrichtendienst ist im Besitz von Niederschriften über Befragungen von zwei Zeugen mit Namen B. und Z., die ihm vom US-amerikanischen und einem weiteren unbekannten Geheimdienst überlassen worden sind und von deren Verwertung durch das Strafgericht die Verteidiger sich eine Entlastung des Angeklagten erhoffen. Das die Aufsicht über den Bundesnachrichtendienst führende Bundeskanzleramt lehnt die Weitergabe der Niederschriften an das Oberlandesgericht mit der Begründung ab, hierdurch werde das Wohl der Bundesrepublik Deutschland erheblich beeinträchtigt. Die Niederschriften seien nämlich dem Bundesnachrichtendienst von den Partnerdiensten ausschließlich für nachrichtendienstliche Zwecke und mit dem strikten Verbot einer Weitergabe an dritte Stellen überlassen worden; falls sich der Bundesnachrichtendienst über dieses Verbot hinwegsetze, werde er vom weiteren Informationsaustausch der Geheimdienste bei der Terrorismusbekämpfung ausgeschlossen. Der auf die Weitergabe der Niederschrift über die Befragung des Zeugen B. gerichtete Eilantrag blieb vor dem Bundesverwaltungsgericht schon deswegen ohne Erfolg, weil es insoweit an einem Ersuchen des Oberlandesgerichts an den Bundesnachrichtendienst oder das Bundeskanzleramt um Aktenübergabe fehlt.


Hinsichtlich der Niederschrift über die Befragung des Zeugen Z. hat das Bundesverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner derzeitigen Erkenntnismöglichkeiten und beim gegebenen Verfahrensstand die Entscheidung des Bundeskanzleramts als hinreichend triftig anerkannt, zumal da nach der Einschätzung des Oberlandesgerichts von diesem Zeugen verfahrensrelevante Aussagen kaum zu erwarten sind.


BVerwG 6 VR 2.03 - Beschluss vom 10. Februar 2003

BVerwG 6 VR 3.03 - Beschluss vom 10. Februar 2003


Beschluss vom 10.02.2003 -
BVerwG 6 VR 2.03ECLI:DE:BVerwG:2003:100203B6VR2.03.0

Beschluss

BVerwG 6 VR 2.03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Februar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
  2. Der Antrag des Antragstellers, ihm für das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
  3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4 000 € festgesetzt.

Die Anträge des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (1.) sowie auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (2.) bleiben ohne Erfolg.
1. Der auf die Übergabe von gemäß § 96 StPO gesperrten Akten des Bundesnachrichtendienstes an das Oberlandesgericht H. gerichtete Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO), aber unbegründet.
Der Antragsteller hat einen sein Begehren rechtfertigenden Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).
a) Der Antragsteller ist Angeklagter in dem Strafverfahren 2 BJs 88/01 - 5 2 StE 4/02-5, in welchem gegenwärtig vor dem Oberlandesgericht H. die Hauptverhandlung durchgeführt wird. Im Rahmen der Hauptverhandlung hat er am 8. Januar 2003 u.a. den Antrag gestellt, die Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts als Zeugen zu vernehmen sowie die bei der Generalbundesanwaltschaft befindlichen Unterlagen über die Vernehmung des Zeugen ... B. durch US-amerikanische Behörden zu beschlagnahmen. Von der Zeugenaussage sowie der Einsicht in die Unterlagen verspricht der Antragsteller sich eine Entlastung von dem Anklagevorwurf der Teilnahme an den Flugzeugattentaten in den Vereinigten Staaten von Amerika am 11. September 2001. Ein Sitzungsvertreter des Generalbundesanwaltes hat in dieser Sitzung erklärt, die Aussagegenehmigung für die Sitzungsvertreter hänge davon ab, dass der Bundesnachrichtendienst als die die Akten führende Behörde, welche den Generalbundesanwalt informiert habe, die Akten freigebe. Der Generalbundesanwalt werde sich um eine entsprechende Freigabe bemühen.
Am 17. Januar 2003 ist dem Oberlandesgericht die Erklärung des Bundeskanzleramts vom 16. Januar 2003 zugegangen, in der festgestellt wird, das Bekanntwerden des Inhalts von Unterlagen, die dem Bundesnachrichtendienst über Befragungen des Zeugen ... B. durch Stellen der Vereinigten Staaten von Amerika vorlägen, würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten. Mit gesonderter Erklärung vom 22. Januar 2003 hat das Bundesministerium der Justiz mitgeteilt, eine Genehmigung zur Aussage über den Inhalt der Unterlagen betreffend die Vernehmung des Zeugen B. durch US-amerikanische Behörden werde den Sitzungsvertretern des Generalbundesanwalts gemäß § 62 Abs. 4 BBG und aus den vom Bundeskanzleramt angeführten Gründen nicht erteilt. Im Übrigen befänden sich die begehrten Unterlagen auch nicht im Gewahrsam der Generalbundesanwaltschaft.
Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 22. Januar 2003 den Antrag abgelehnt, weil sich die begehrten Unterlagen nicht im Gewahrsam der Generalbundesanwaltschaft befänden und weil das Bundesministerium der Justiz erklärt habe, den Sitzungsvertretern hinsichtlich des Inhalts von Unterlagen über die Vernehmung des Zeugen ... B. keine Aussagegenehmigung zu erteilen. Angesichts der Inhalte der genannten Sperrerklärungen seien Gegenvorstellungen des Senats gegen die Verweigerung der Aussagegenehmigung und auch die Sperrerklärung aussichtslos.
b) Der Antragsteller verfolgt mit dem vorliegenden Antrag, wie sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. August 1986 - 1 C 7.85 – (BVerwGE 75, 1) ergibt, keinen eigenständigen Anspruch auf Aktenvorlage; vielmehr kommt als Grundlage des Anordnungsbegehrens nur der Anspruch des Antragstellers auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren in Betracht, das durch eine rechtswidrige Sperrerklärung im Sinne von § 96 StPO verletzt sein kann. Zu den Voraussetzungen einer solchen Rechtsverletzung hat das Bundesverwaltungsgericht in dem genannten Urteil Folgendes ausgeführt:
"Die Befugnis, die Vorlage von Behördenakten zu einem Strafverfahren verbindlich zu verlangen, kommt allein den Organen der Strafrechtspflege - nach Eröffnung der Hauptverhandlung dem Strafgericht - vorbehaltlich des § 96 StPO zu. Infolgedessen sind eine Sperrerklärung im Sinne von § 96 StPO und die darauf gründende Nichtvorlage von Akten an das Strafgericht nur dann rechtswidrig und können mithin das Recht des Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren nur dann verletzen, wenn und soweit durch die Sperrerklärung ein konkretes Ersuchen des Strafgerichts um Aktenvorlage verweigert wird. Fehlt es an einem derartigen wirksamen Ersuchen des Strafgerichts, so werden Rechte des Beschuldigten durch die Sperrerklärung nicht verletzt und ist eine deswegen erhobene Klage unbegründet, weil die am Strafverfahren nicht beteiligte aktenführende Behörde weder verpflichtet noch berechtigt ist, von Amts wegen oder auf Antrag des Beschuldigten dem Strafgericht Akten vorzulegen, und weil die Rechtmäßigkeit des (Ersuchens oder) Nichtersuchens um Aktenvorlage weder Gegenstand des Streits zwischen der aktenführenden Behörde und dem Beschuldigten ist noch überhaupt Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens - sondern nur Gegenstand eines strafprozessualen Rechtsmittelverfahrens - sein kann" (a.a.O. S. 5 ff.).
Nach diesen Grundsätzen ist eine im vorliegenden Verfahren zu rügende Verletzung des Antragstellers in seinem Recht auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren ausgeschlossen. Denn die Sperrerklärung, deren Aufhebung der Antragsteller anstrebt, ist nach dem dargestellten Prozessablauf nicht auf ein Ersuchen des Strafgerichts um Vorlage der Akten hin abgegeben worden, sondern auf einen entsprechenden Vorstoß der Generalbundesanwaltschaft. Diese Vorgehensweise kann nicht das für die Annahme einer Verletzung der Rechte des Antragstellers unerlässliche Verlangen des Strafgerichts ersetzen. Denn ob die Darlegungen des Antragstellers und seiner Verteidigung im Strafverfahren ausreichen, um die Beiziehung der strittigen Akten zu diesem Verfahren zu rechtfertigen, hat allein das Strafgericht zu entscheiden. Eine solche Entscheidung fehlt hier in Bezug auf die strittigen Akten.
c) Eine Verletzung des Rechts des Antragstellers auf ein rechtsstaatliches, faires Strafverfahren durch die Sperrerklärung vom 16. Januar 2003 ist auch unabhängig von der Art ihres Zustandekommens aus inhaltlichen Gründen nicht hinreichend wahrscheinlich. Die dem Senat vorliegenden Vorgänge geben, selbst wenn sie auch in Ansehung des § 99 Abs. 2 VwGO im vorliegenden Verfahren gewürdigt werden können, keinen Anhalt dafür, dass die Sperrerklärung aus nicht tragfähigen Gründen abgegeben worden ist.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Begehrens nach einstweiligem Rechtsschutz ebenfalls abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114, § 121 ZPO).
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2,
§ 20 GKG.