Beschluss vom 09.11.2006 -
BVerwG 3 B 7.06ECLI:DE:BVerwG:2006:091106B3B7.06.0

Beschluss

BVerwG 3 B 7.06

  • OVG Rheinland-Pfalz - 20.09.2005 - AZ: OVG 6 A 10556/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. November 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. September 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 180 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.

2 1. Der im April 1952 geborene Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner ihm am 1. Dezember 1978 erteilten Approbation als Arzt. Der Beklagte entzog die Approbation durch Bescheid vom 24. März 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2003 mit der Begründung, der Kläger sei seit 1989 wiederholt wegen unterlassener Hilfeleistung im Notdienst und fehlerhafter Medikamentierung von Patienten straffällig geworden. Zuletzt hatte ihn das Amtsgericht Bad Sobernheim wegen des Verschreibens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken in sechs Fällen durch Urteil vom 25. April 2002 zu einer auf Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Die auf das Strafmaß beschränkte Berufung verwarf das Landgericht Bad Kreuznach durch Urteil vom 25. November 2002. Einen Wiederaufnahmeantrag nahm der Kläger im Juni 2005 zurück. Die Klage des Klägers gegen den Widerruf der Approbation blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg.

3 2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Kläger sieht die Frage als klärungsbedürftig an, ob das Berufungsgericht bei der Beurteilung der berufsrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers einen Einstellungsbeschluss in einem Strafverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung gegen Zahlung einer Geldbuße aus dem Jahre 1989 und die Verhängung einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen im Jahre 1991 berücksichtigen durfte. Er sieht in der Heranziehung dieser lange zurückliegenden Verfehlungen eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG.

4 Diese Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil es auf sie in einem Revisionsverfahren nicht ankäme, sie mithin hier nicht klärungsbedürftig sind. Allerdings erscheint es nicht unbedenklich, dass das Berufungsgericht sich für die Verwertbarkeit der früheren Straftaten auf § 51 Abs. 2 BZRG gestützt hat. Wenn es dort heißt, Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, blieben unberührt, meint dies ersichtlich Entscheidungen, die vor Eintritt der Tilgungsreife ergangen sind und durch die Tilgung nicht automatisch in Wegfall geraten. Dagegen ermöglicht die Bestimmung nicht, nach Tilgung noch behördliche Entscheidungen auf die früheren Straftaten zu stützen. Dies bedarf hier jedoch ebenso wie die vom Kläger aufgeworfene Frage der Verhältnismäßigkeit keiner näheren Erörterung, weil die vom Berufungsgericht festgestellten Verfehlungen des Klägers auch bei Außerachtlassung der Straftaten von 1989 und 1991 zweifelsfrei die Feststellung tragen, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung nicht die zur Ausübung des ärztlichen Berufs erforderliche Zuverlässigkeit besaß (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BÄO) und deshalb die Approbation nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BÄO widerrufen werden musste. Darauf hat, wie die Beschwerde zutreffend vermerkt, schon das Verwaltungsgericht sein Urteil gestützt.

5 Der Kläger hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in jüngerer Zeit schwerwiegende Verletzungen seiner Berufspflichten zu schulden kommen lassen. Dies zeigt sich insbesondere in seiner Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung in vier Fällen und wegen Nötigung in fünf Fällen, die das Amtsgericht Bad Kreuznach am 18. Juli 1997 mit einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten ahndete. Zusätzlich wurde ein Berufsverbot mit der Maßgabe ausgesprochen, dass dem Kläger für die Dauer von vier Jahren die Behandlung Suchtkranker wegen ihrer Sucht untersagt wurde. Der Kläger hatte an Drogenabhängige verschiedene Arzneimittel zur Substitutionstherapie nebeneinander und in solcher Menge verordnet, dass dadurch der missbräuchlichen Verwendung dieser Präparate Vorschub geleistet wurde und es zu schweren gesundheitlichen Komplikationen kam. Außerdem hatte er die Suchtkranken zu zusätzlichen Zahlungen genötigt. Es liegt auf der Hand, dass dieses Verhalten eine äußerst schwerwiegende Verletzung der ärztlichen Pflichten darstellte.

6 Wegen Verletzung seiner Berufspflichten bei der Wahrnehmung seiner notärztlichen Obliegenheiten verhängte das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Mainz am 7. April 1999 gegen den Kläger eine Geldbuße von 2 500 DM. Diese Verfehlung wog zwar wesentlich geringer als das zuvor genannte Vergehen, zeigte aber dennoch die Bereitschaft des Klägers, ohne Rücksicht auf das Wohl der ihm anvertrauten Patienten die für den Arztberuf geltenden Regeln zu missachten.

7 Schließlich wurde der Kläger, wie eingangs erwähnt, am 25. April 2002 durch Urteil des Amtsgerichts Bad Sobernheim wegen Verschreibens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob das Verhalten des Klägers, wie von den Strafgerichten angenommen, den Tatbestand des § 6a AMG erfüllte; jedenfalls stehe aufgrund der im Strafverfahren eingeholten Sachverständigengutachten fest, dass der Kläger einem Patienten, dem Inhaber eines Bodybuilding-Studios, über einen längeren Zeitraum in hohen Dosen verschiedene androgene Medikamente verschrieben habe, ohne dass dies medizinisch indiziert gewesen sei. Dadurch habe der Kläger seine Pflicht zur regelgerechten Medikation nachhaltig verletzt.

8 Ohne Erfolg greift der Kläger die zuletzt genannte Feststellung des Berufungsgerichts mit Verfahrensrügen an. Er meint, das Berufungsgericht habe seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt, weil es dem hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Einholung von Sachverständigengutachten in den Fachgebieten des internistischen, sportmedizinischen sowie psychologischen und physiotherapeutischen Bereichs nicht entsprochen habe. Diese Rüge geht fehl. Das Berufungsgericht hat die Beweiserhebung im Wesentlichen deshalb als überflüssig erachtet, weil das vom Kläger erwartete Beweisergebnis - die Nichterfüllung des Straftatbestandes des § 6a AMG - unterstellt werden könne. Dies war korrekt. Im Schriftsatz vom 15. August 2005 (S. 3 f.) hatte der Kläger den Beweisantrag ausdrücklich für den Fall gestellt, dass „das Berufungsgericht die bisher vollumfänglich vorgetragenen Gesamtumstände ... für den Nachweis der Unschuld des Berufungsklägers hinsichtlich des Verstoßes gegen § 6a AMG nicht für ausreichend erachten sollte“. Die damit aufgestellte Voraussetzung traf hier nicht zu, da das Berufungsgericht entsprechend dem Vortrag des Klägers unterstellt hat, dass die dem Patienten verabreichten Medikamente mit ihrer Wirkung nicht geeignet waren zum Muskelaufbau zu Bodybuildingzwecken. Auch im Übrigen hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei festgestellt, dass die vom Kläger aufgestellten Beweisbehauptungen an den von den Gutachtern im Strafverfahren festgestellten und der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde gelegten Pflichtverletzungen vorbeigingen. Ergänzend sei hierzu darauf hingewiesen, dass der Kläger im Strafverfahren selbst seine Berufung auf das Strafmaß beschränkt, die Tatfeststellungen aber nicht angegriffen hatte.

9 3. Auch die Frage, ob das Oberverwaltungsgericht zu Recht einen berufsrechtlichen „Überhang“ im Verhältnis zu dem vom Amtsgericht Bad Kreuznach verhängten, nur befristeten und gegenständlich beschränkten Berufsverbot bejaht hat, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Diese Frage stellt sich schon deshalb nicht, weil die vom Amtsgericht Bad Kreuznach abgeurteilten Straftaten nur einen Teil der dem Kläger beim Widerruf der Approbation zur Last gelegten Verfehlungen ausmachen. Bei den zusätzlich zu berücksichtigenden späteren Verfehlungen ist die Frage eines Berufsverbots nicht in den Blick gekommen. Weder das Urteil des Amtsgerichts Bad Sobernheim noch das Berufungsurteil des Landgerichts Bad Kreuznach gehen auf diese Frage ein. Damit war der Beklagte an einer umfassenden Beurteilung des Gesamtverhaltens des Klägers unter berufsrechtlichen Gesichtspunkten nicht gehindert.

10 4. Keine grundsätzliche Bedeutung erhält die Rechtssache schließlich durch die Frage, ob das Oberverwaltungsgericht zu Recht die gesamte Persönlichkeit des Arztes und seiner Lebensumstände, vor allem die im Berufungsverfahren vorgetragenen gesundheitlichen Kriterien des Klägers, z.B. den gesundheitlichen Zusammenbruch im Spätjahr 2004 und seine jahrelange Überforderung und Erschöpfung und die Zwänge einer großen Landarztpraxis, die zu dem ihm vorgeworfenen Fehlverhalten führten, außer Acht lassen durfte. Die weiteren Ausführungen der Beschwerde zu dieser Frage zeigen, dass der Kläger meint, das Berufungsgericht hätte die nach seinem gesundheitlichen Zusammenbruch im Herbst 2004 ergriffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation berücksichtigen müssen. Dies trifft jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu. Im Urteil vom 16. September 1997 - BVerwG 3 C 12.95 - (BVerwGE 105, 214) hat der Senat ausgesprochen, dass für die im Rahmen des Widerrufs einer ärztlichen Approbation geforderte Prognose zur Beurteilung der Zu- bzw. Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs auf die Umstände im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens abzustellen ist. Die Beschwerde zeigt keine Gesichtspunkte auf, die zu einer grundsätzlichen Überprüfung dieser Aussage Anlass geben könnten. Danach sind die Abhilfemaßnahmen, die der Kläger nach eigenen Angaben ab Ende 2004 getroffen hat, nicht zu berücksichtigen, weil sie lange nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung einsetzten. Dagegen können die vorausliegende jahrelange Überforderung und die Zwänge einer großen Landarztpraxis, die bereits vor der angefochtenen Entscheidung bestanden, nicht zur Entlastung des Klägers führen, weil sie Ursache der ihm angelasteten Verfehlungen und damit ein wesentliches Element seiner Unzuverlässigkeit waren.

11 5. Fehl geht auch die Rüge, das angefochtene Urteil beruhe in mehrfacher Hinsicht auf aktenwidrigen Sachverhaltsfeststellungen. Soweit dieser Vorwurf sich auf die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Behandlung des Patienten H. A. bezieht, fehlt es schon an einer schlüssigen Darlegung. Der Kläger trägt nämlich vor, eine sachverständige Begutachtung der Patientenkartei hätte ergeben, dass die von ihm angeordnete Medikation krankheitsangemessen gewesen sei. Damit ergibt sich selbst nach dem eigenen Vorbringen des Klägers aus den Akten selbst nicht unmittelbar und eindeutig die Unrichtigkeit des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts. Der weitere Vorwurf der Aktenwidrigkeit hinsichtlich der Verletzung der Notdienstpflichten im Jahre 1989 kann hier schon deshalb unerörtert bleiben, weil es auf diesen Vorfall, wie dargelegt, nicht ankommt.

12 Aus demselben Grund ist auch die Rüge unerheblich, dem Kläger sei im Hinblick auf seine frühen Verfehlungen das Recht auf rechtliches Gehör verweigert worden. Diese Vorfälle sind für die Beurteilung seiner berufsrechtlichen Zuverlässigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung ohne Belang. Im Übrigen weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass die genannten Vorfälle bereits im ursprünglichen Widerrufsbescheid konkret benannt wurden, so dass der Kläger die Möglichkeit hatte, sich damit im Rechtsstreit auseinanderzusetzen.

13 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.

14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.