Urteil vom 09.10.2002 -
BVerwG 3 C 17.02ECLI:DE:BVerwG:2002:091002U3C17.02.0

Urteil

BVerwG 3 C 17.02

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 15.12.1998 - AZ: OVG 9 A 2561/97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Oktober 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungs-
gericht Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter
am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k ,
Dr. B o r g s - M a c i e j e w s k i , K i m m e l
und Dr. B r u n n
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 1998 wird teilweise geändert.
  2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 7. März 1997 wird auch insoweit zurückgewiesen, als das Verwaltungsgericht die in der Urteilsformel des Berufungsurteils aufgeführten Bescheide der Beklagten hinsichtlich der darin festgesetzten Gebühren für Trichinenuntersuchungen aufgehoben hat.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens; von den übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 9/10 und die Klägerin 1/10.

I


Die Klägerin unterhält einen Schlachtbetrieb. Für amtliche Schlachttier- und Fleischuntersuchungen erhob die Beklagte für die Jahre 1992, 1993 und 1994 Gebühren von insgesamt 114 395,95 DM. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin gegen die hierzu ergangenen 205 Gebührenbescheide Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide durch Urteil vom 7. März 1997 sämtlich mit der Begründung aufgehoben, für die Gebührenerhebung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Der Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 15. Dezember 1998 hinsichtlich eines Betrages von 46 290,01 DM stattgegeben. Dabei hat es insbesondere die Erhebung einer besonderen Gebühr für die Trichinenuntersuchung bei Schweinen für rechtmäßig erklärt. In Höhe eines Betrages von 68 105,94 DM hat das Berufungsgericht hingegen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluss vom 21. April 1999 zurückgewiesen. Dagegen hat es die Revision zugelassen, soweit das Berufungsgericht die Klage gegen die Festsetzung von Gebühren für die Untersuchung von Schweinefleisch auf Trichinen abgewiesen hat.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, neben der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Pauschalgebühr für Fleischuntersuchungen sei die zusätzliche Erhebung einer Gebühr für die Trichinenschau unzulässig. Die Beklagte hat hingegen die Ansicht vertreten, die Untersuchung auf Trichinen werde von der gemeinschaftsrechtlichen Untersuchungsgebühr nicht erfasst, weil eine solche Untersuchung nicht in jedem Falle notwendig sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren durch Beschluss vom 27. April 2000 ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"Erfasst die für die Untersuchung frischen Fleisches für den Inlandsmarkt gemäß der nach der Richtlinie des Rates 88/409/EWG vom 15. Juni 1988 anzuwendenden Richtlinie 64/433/EWG des Rates vom 26. Juni 1964
a) in der Fassung der Richtlinie 89/662/EWG vom 11. Dezember 1989
b) in der Fassung der Richtlinie 91/497/EWG vom 29. Juli 1991
geltende Pauschalgebühr nach
a) der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 i.V.m. der Entscheidung 88/408/EWG des Rates vom 15. Juni 1988
b) der Richtlinie 85/73/EWG des Rates in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993
auch die Kosten der Durchführung von Untersuchungen von frischem Schweinefleisch auf Trichinen?"
Durch Urteil vom 30. Mai 2002 - Rs C–284/00 und C–288/00 - hat der Europäische Gerichtshof die ihm vorgelegte Frage wie folgt beantwortet:
"Die Kosten bakteriologischer Untersuchungen und von Untersuchungen auf Trichinen, die gemäß der Richtlinie 64/433/EWG des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleisch in der Fassung der Richtlinie 89/662/EWG des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Regelung der veterinärrechtlichen Kontrollen im innergemeinschaftlichen Handel im Hinblick auf den gemeinsamen Binnenmarkt wie in der Fassung der Richtlinie 91/497/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Änderung und Kodifizierung der Richtlinie 64/433 zwecks Ausdehnung ihrer Bestimmungen auf die Gewinnung und das Inverkehrbringen von frischem Fleisch durchgeführt wurden, werden von der Gemeinschaftsgebühr erfasst, die die Mitgliedstaaten zum einen nach der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch und Geflügelfleisch und der Entscheidung 88/408/EWG des Rates vom 15. Juni 1988 über die Beträge der für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch zu erhebenden Gebühren und zum anderen nach der Richtlinie 85/73 in der durch die Richtlinie 93/118 geänderten Fassung für Untersuchungen und Hygienekontrollen von frischem Fleisch erheben."
Dazu hat der Gerichtshof ausgeführt, zwar könnten die Mitgliedstaaten gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 85/73 und Art. 2 Abs. 2 der Entscheidung 88/408 sowie nach Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 85/73 in der durch die Richtlinie 93/118 geänderten Fassung einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsge-
bühren erheben, sofern dieser Betrag die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet (Tz 54). Jedoch gestatte keine dieser Bestimmungen die Erhebung einer spezifischen Gebühr zusätzlich zu der Gemeinschaftsgebühr, um bestimmte Kos-ten für Untersuchungen und Kontrollen abzudecken, die nicht in allen Fällen stattfinden (Tz 55). Sowohl aus dem Anhang der Entscheidung 88/408 als auch aus Kapitel 1 Nr. 4 Buchst. a und b des Anhangs der Richtlinie 85/73 in der durch die Richtlinie 93/118 geänderten Fassung ergebe sich vielmehr, dass jede von einem Mitgliedstaat beschlossene Erhöhung den Pauschalbetrag der Gemeinschaftsgebühr selbst betreffen und als dessen Anhebung erfolgen müsse und dass eine spezifische, über die Gemeinschaftsgebühren hinausgehende Gebühr sämtliche tatsächlich entstandenen Kosten abdecken müsse (Tz 56).
Die Beteiligten halten an ihren gegensätzlichen Rechtsstandpunkten fest. Sie haben auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet.

II


Die Revision der Klägerin ist begründet. Die angefochtenen Gebührenbescheide sind auch insoweit rechtswidrig, als sie zusätzlich zu der allgemeinen Untersuchungsgebühr eine besondere Gebühr für die Untersuchung von Schweinefleisch auf Trichinen festsetzen. Insoweit ist daher die gegen die Aufhebungsentscheidung des Verwaltungsgerichts gerichtete Berufung der Beklagten ebenfalls zurückzuweisen.
Die Erhebung von Gebühren für die Trichinenuntersuchung verstößt gegen § 24 Abs. 2 des Fleischhygienegesetzes (FlHG) in der Fassung der Bekanntmachungen vom 24. April 1987 (BGBl I S. 649) und vom 8. Juli 1993 (BGBl I S. 1189). Danach ist zwar
den Ländern das Recht eingeräumt, die kostenpflichtigen Tatbestände und die Gebühren für die Fleischüberwachung festzulegen. Dabei sind aber die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu beachten.
Das Gemeinschaftsrecht lässt für die hier streitigen Jahre 1992 bis 1994 die Erhebung einer besonderen Gebühr für die Trichinenuntersuchung von frischem Fleisch nicht zu. Dies steht aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 30. Mai 2002 fest. Der Gerichtshof hat eindeutig festgestellt, dass jede von einem Mitgliedstaat beschlossene Erhöhung der Gebühr für die Untersuchung von frischem Fleisch den Pauschalbetrag der Gemeinschaftsgebühr selbst betreffen und als dessen Anhebung erfolgen muss. Dies schließt die von der Beklagten nach wie vor verteidigte Festsetzung einer selbstständigen Gebühr für die Trichinenuntersuchung aus. Das Argument der Beklagten, diese Gebühr decke lediglich die Kosten der Trichinenuntersuchungen, verfängt deshalb nicht, weil nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs die Kosten sämtlicher anfallender Untersuchungen durch eine einheitliche Gebühr abgedeckt werden müssen.
Wegen der Feststellung, in welcher Höhe die in diesem Verfahren angefochtenen 205 Gebührenbescheide jeweils im Einzelnen aufzuheben sind, macht das Bundesverwaltungsgericht von der Möglichkeit des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO Gebrauch. Wegen der großen Zahl der betroffenen Bescheide würde die Ermittlung der konkreten Beträge das Revisionsgericht erheblich belasten, während sie der Beklagten keine Schwierigkeiten bereitet.
Die Kostenentscheidung beruht für das Revisionsverfahren auf
§ 154 Abs. 1 VwGO und für das Verfahren der Vorinstanzen auf
§ 155 Abs. 1 VwGO. Die Kostenentscheidung im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. April 1999 - BVerwG 1 B 26.99 - bleibt unberührt.