Beschluss vom 09.05.2006 -
BVerwG 4 B 27.06ECLI:DE:BVerwG:2006:090506B4B27.06.0

Beschluss

BVerwG 4 B 27.06

  • OVG Rheinland-Pfalz - 02.02.2006 - AZ: OVG 1 A 11312/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Mai 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 144 184 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

3 1.1 Das Oberverwaltungsgericht hat die Errichtung der beiden Windenergieanlagen als nicht zulässig angesehen, weil ihnen im Hinblick auf den Vogelzug Belange des Naturschutzes im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegenstünden. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, inwieweit das Entgegenstehen dieser öffentlichen Belange wirklich festgestellt werden müsse und inwieweit bloße Möglichkeiten und Nichtausschließbarkeiten ausreichen sollen.

4 Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beeinträchtigung der Belange des Naturschutzes nicht bejaht, weil eine Beeinträchtigung des Vogelzugs durch die in Rede stehenden Windenergieanlagen bloß möglich oder jedenfalls nicht auszuschließen sei. Es hat festgestellt, dass die für die Anlagen vorgesehenen Standorte in einem Hauptvogelzugkorridor liegen (UA S. 11) und dass negative Beeinträchtigungen des Durchzugsgeschehens, die man nicht ausgleichen könne, durch die Errichtung von Windenergieanlagen in dem in Rede stehenden Gebiet zu erwarten seien (UA S. 15). Der Einschätzung des Sachverständigen G., dass dies nicht gelte, wenn lediglich zwei Windenergieanlagen errichtet würden, ist es nicht gefolgt. Insoweit hat es sich der Einschätzung des Landesamtes für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht angeschlossen, dass, auch wenn lediglich zwei Windenergieanlagen errichtet würden, aufgrund des hohen Zugaufkommens und der Exposition der Anlagen eher wahrscheinlich sei, dass der Vogelzug erheblich beeinträchtigt werde. Eingeräumt hat das Oberverwaltungsgericht, dass die Beeinträchtigungen des Vogelzugs durch Windenergieanlagen wissenschaftlich noch nicht umfassend untersucht seien. Das Gericht dürfe sich jedoch am gegenwärtigen Erkenntnisstand orientieren. Danach könnten vorliegend wesentliche Beeinträchtigungen nicht ausgeschlossen werden (UA S. 15). Das Oberverwaltungsgericht ist mithin davon ausgegangen, dass eine Beeinträchtigung von Belangen des Naturschutzes vorliegt, wenn nach gegenwärtigem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis erhebliche Beeinträchtigungen des Vogelzugs zu erwarten sind, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass künftige wissenschaftliche Erkenntnisse diese Erwartung in Frage stellen. Dass die Frage, ob ein Vorhaben Belange des Naturschutzes beeinträchtigt, nur auf der Grundlage des gegenwärtigen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnis beurteilt werden kann, liegt auf der Hand; dies muss nicht in einem Revisionsverfahren bekräftigt werden.

5 1.2 Die Beschwerde möchte in einem Revisionsverfahren außerdem den Begriff Vogelflug als öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB geklärt wissen. Insoweit zeigt sie einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf jedoch nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass einem privilegierten Vorhaben nicht jeder einfache Vogelzug als öffentlicher Belang entgegenstehen könne. Vielmehr bedürfe es eines Vogelzuggeschehens überdurchschnittlichen Umfangs. Ein solches bedeutsames Vogelzuggeschehen werde man allenfalls bei einem Hauptkorridor bzw. bei einer Haupt-Vogelfluglinie annehmen können (vgl. UA S. 11). Bedenken gegen diese Auslegung der Belange des Naturschutzes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB macht die Beschwerde nicht geltend. Insbesondere zeigt sie nicht auf, dass und auf welche Weise, insbesondere aufgrund welcher ornithologischen Erkenntnisse der Begriff Haupt-Vogelfluglinie näher eingegrenzt werden müsste. Dass Haupt-Vogelfluglinien nicht an die Grenzen gemeldeter Vogelschutzgebiete im Sinne der Vogelschutzrichtlinie (RL 79/409/EW des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABlEG Nr. L 103 S. 1) gebunden sind, versteht sich von selbst.

6 Im vorliegenden Fall hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass die Grundstücke, auf denen die beiden Windenergieanlagen errichtet werden sollen, in einem Hauptvogelzugkorridor liegen. Alle bisher vorliegenden Dokumentationen würden ein leicht bis erheblich überdurchschnittliches Vogelzuggeschehen im näheren und weiteren Einzugbereich der geplanten Windenergieanlagen bestätigen (UA S. 11 f.). Aufgrund von feldornithologischen Beobachtungen über Jahre hinweg seien gerade im Naheraum Vogelzugverdichtungen festgestellt worden, die dort die Annahme eines Vogelzugkorridors rechtfertigten (UA S. 14). Der Sache nach richtet sich die Beschwerde im Gewand der Grundsatzrüge gegen diese tatrichterliche, den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindende Sachverhaltswürdigung durch das Berufungsgericht.

7 1.3 Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, ob eine Landesbehörde eine gutachterliche Stellungnahme abgeben kann, bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie ist auf der Grundlage des Gesetzes und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres zu bejahen.

8 Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht in der mündlichen Verhandlung insbesondere Augenschein einnehmen, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernehmen und Urkunden heranziehen. Diese Aufzählung ist - ebenso wenig wie die Bezugnahme in § 98 VwGO auf die in der Zivilprozessordnung genannten Beweismittel - abschließend (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - BVerwG 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <216>; Geiger, in: Eyermann, VwGO, 11. Auflage 2000, § 98 Rn. 40; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage 2005, § 98 Rn. 3). Auch die Einholung einer amtlichen Auskunft ist ein anerkanntes Beweismittel des Verwaltungsstreitverfahrens. Bei einer amtlichen Auskunft, die an die Stelle eines Sachverständigengutachtens treten soll, sind die Ablehnungsgründe des § 406 ZPO, § 54 Abs. 2 und 3 VwGO zu beachten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1988 - BVerwG 4 B 256.87 - NJW 1988, 2491). Dass die Behörde, deren Auskunft ein Sachverständigengutachten ersetzen soll, die beklagte Behörde durch Stellungnahmen und Gutachten zu beraten hat, rechtfertigt es nicht, an der Unbefangenheit ihrer Mitarbeiter zu zweifeln.

9 1.4 Die Frage, ob eine Behörde an ihre Bewertung der öffentlichen Belange gebunden ist oder von Fall zu Fall eine andere Position einnehmen kann, ist einer verallgemeinerungsfähigen Klärung für eine Vielzahl von Fällen nicht zugänglich. Ihre Beantwortung hängt von den Umständen des zu entscheidenden Falles und des Referenzfalles ab, hier u.a. davon, ob der Standort der in Streit stehenden Anlagen mit den in Bezug genommenen Windenergieanlagen auf dem Kandrich und in Hüffelsheim hinsichtlich des Vogelzugs vergleichbar ist (vgl. UA S. 17).

10 2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

11 2.1 Das Oberverwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht - wie die Beschwerde geltend macht - durch Einholung und Verwertung der Stellungnahme des Landesamtes für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht verletzt. Der Umstand, dass das Landesamt die unteren Landespflegebehörden zu beraten hat, stellt - wie bereits dargelegt - seine Neutralität bei der Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts nicht in Frage. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe für die Befangenheit des Mitarbeiters des Landesamtes, Herrn S., hätte die Klägerin im Rahmen eines vor dem Oberverwaltungsgericht zu stellenden Ablehnungsantrages geltend machen müssen (§ 173 VwGO, § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1988, a.a.O.). Dass die gutachtliche Stellungnahme, soweit es um die Frage geht, ob die Standorte der geplanten Windenergieanlagen im Bereich eines Hauptkorridors des Vogelzugs liegen, weitgehend auf bereits vorliegende Untersuchungen gestützt ist, stellt die Sachkunde des Gutachters nicht in Frage.

12 2.2 Soweit die Beschwerde rügt, dass das Oberverwaltungsgericht die Bauakten anderer, näher bezeichneter Genehmigungsverfahren nicht beigezogen hat, ist ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nicht substantiiert bezeichnet. Hierzu hätte u.a. dargelegt werden müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328), welche tatsächlichen Feststellungen bei Beiziehung der Bauakten voraussichtlich getroffen worden wären und warum sich dem Oberverwaltungsgericht die Erforderlichkeit der Beiziehung von seinem Rechtsstandpunkt aus, dass die Standorte nicht vergleichbar sind (vgl. UA S. 16 f.), hätte aufdrängen müssen. Hieran lässt es die Beschwerde fehlen.

13 2.3 Die Beschwerde legt auch nicht, wie dies erforderlich wäre, dar, welche Tatsachen im Hinblick auf die vom Oberverwaltungsgericht verneinte Möglichkeit, die geplanten Windenergieanlagen bei Bedarf zur Vermeidung von Beeinträchtigungen des Vogelzugs abzuschalten (vgl. UA S. 16), näher hätten aufgeklärt werden müssen.

14 2.4 Rechtliches Gehör zu den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Plänen und Skizzen hätte sich die Klägerin durch Beantragung einer Schriftsatzfrist oder einer Vertagung der mündlichen Verhandlung selbst verschaffen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2005 - BVerwG 4 BN 1.05 - NVwZ 2005, 584).

15 2.5 Das Gericht hätte auch nicht aufklären müssen, ob der Vogelzug dem Vorhaben der Klägerin als öffentlicher Belang entgegensteht. Wenn der Vogelzug - wie hier nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts - durch ein Vorhaben beeinträchtigt wird, ist es eine dem Beweis nicht zugängliche Rechtsfrage, ob die beeinträchtigten Belange des Naturschutzes dem Vorhaben als öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB auch entgegenstehen.

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.