Beschluss vom 08.12.2003 -
BVerwG 7 B 12.03ECLI:DE:BVerwG:2003:081203B7B12.03.0

Beschluss

BVerwG 7 B 12.03

  • VG Berlin - 22.11.2002 - AZ: VG 31 A 87.00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Dezember 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. November 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Der Kläger wendet sich gegen die Rückübertragung des Grundstücks B.straße 152 in Berlin-Mitte an die Beigeladene. Die früheren Eigentümer des Grundstücks, die Juden waren, veräußerten das Grundstück im März 1936 an einen Rechtsvorgänger des Klägers. Als Gegenleistung war unter anderem die Übertragung des Eigentums an einem in Polen belegenen Grundstück vereinbart. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin-Mitte - Prenzlauer Berg übertrug das Grundstück an die Beigeladene zurück. Die hiergegen nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch beruht das angefochtene Urteil auf den geltend gemachten Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Der Kläger möchte geklärt wissen, ob ein Grundstückstausch, der dazu führte, dass jüdische Eigentümer eines in Deutschland belegenen Grundstücks die Verfügungsbefugnis über ein polnisches Grundstück erhielten, als Mitwirkung bei der Vermögensübertragung in das Ausland im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO, d.h. als Wahrnehmung der Vermögensinteressen des Veräußerers anzusehen sei. Diese Frage kann, ohne dass es zu ihrer Klärung der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, verneint werden. Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO setzt voraus, dass der Erwerber in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers wahrgenommen hat, z.B. durch Mitwirkung bei einer Vermögensübertragung ins Ausland. Zwar kann eine Wahrnehmung der Vermögensinteressen der jüdischen Vertragspartner ausnahmsweise auch in der besonderen Ausgestaltung der vertraglichen Bedingungen bestehen (vgl. OLG München, RzW 1949/50, 176). Der bloße Abschluss eines Tauschvertrages, der die Übertragung eines im Ausland belegenen Grundstücks an die jüdischen Vertragspartner vorsieht, erfüllt dagegen die Anforderungen des Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO nicht. Diese verlangen vielmehr ein aktives Tätigwerden und besondere Bemühungen des Erwerbers zum Schutz der Vermögensinteressen der jüdischen Vertragspartner. In diesem Sinn ist auch die in der Vorschrift als Beispielsfall genannte "Mitwirkung" bei einer Vermögensübertragung ins Ausland zu verstehen.
2. Auch die Verfahrensrügen des Klägers führen nicht zur Zulassung der Revision. Die Rügen, die eine unterbliebene Beweiserhebung zur Angemessenheit der Gegenleistung und zur freien Verfügungsmöglichkeit der Frau F. über das polnische Grundstück zum Gegenstand haben, bedürfen keiner Klärung. Auch wenn diese Verfahrensrügen durchgreifen würden, weil das Verwaltungsgericht ersichtlich die Anforderungen des § 86 Abs. 1 VwGO verkannt hat, würde das angefochtene Urteil nicht auf den Verfahrensmängeln beruhen, wie es § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO voraussetzt. Denn bei einem Rechtsgeschäft, das in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 vorgenommen worden war, bedarf es zur Widerlegung der Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes zusätzlich des Nachweises, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre oder dass der Erwerber in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers wahrgenommen hat. Der Kläger rügt, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO verneint hat.
Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, dass die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Buchst. b VermG nicht erfüllt sind, auf zwei selbstständig tragende Begründungen gestützt. Zum einen hat es seine Ablehnung damit begründet, es sei nicht nachgewiesen, dass Frau F. Eigentümerin des Grundstücks in Polen geworden sei oder auch ohne förmliche Eintragung in das Grundbuch über das Grundstück wie eine Eigentümerin hätte verfügen können. Diese Begründung zielt darauf, dass Schutzbemühungen wesentlichen Erfolg gehabt haben müssen. Zum anderen ("darüber hinaus") hat das Verwaltungsgericht seine Auffassung damit begründet, es sei nicht nachgewiesen, dass die notarielle Erklärung des Rechtsvorgängers des Klägers vom 16. Februar 1947 aus "fremdnützigen Motiven" abgegeben worden sei. Damit stellt das Verwaltungsgericht in Abrede, dass die Erklärung dem Schutz der Vermögensinteressen der jüdischen Vertragspartner diente. Ist die Entscheidung der Vorinstanz - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund vorliegt (stRspr.; z.B. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 Nr. 4 S. 4 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Soweit es die Begründung betrifft, es fehlten Nachweise, dass die notarielle Erklärung vom 16. Februar 1947 aus "fremdnützigen Motiven" abgegeben worden sei, hat der Kläger keine Verfahrensrüge erhoben. Vielmehr legt er lediglich dar, es bestünden zumindest ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass sein Rechtsvorgänger "in besonderer Weise" die Vermögensinteressen der Veräußerer wahrgenommen habe. Er setzt damit seine eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Gerichts. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind jedoch revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann daher grundsätzlich ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründet werden (Beschluss vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 4). Einen Verstoß gegen die Denkgesetze, der im Rahmen eines Indizienbeweises als Verfahrensfehler in Betracht kommt (Beschluss vom 12. Januar 1995 a.a.O.), zeigt der Kläger nicht auf.
Die Rüge, dass das Verwaltungsgericht die polnischen Grundbuchakten nicht beigezogen habe, bezieht sich auf den Übergang der Verfügungsbefugnis an dem polnischen Grundstück auf Frau F. Auf diese Verfahrensrüge kommt es nicht mehr an, da die Widerlegung der Vermutung nach Art. 3 Abs. 3 Buchst. b REAO bereits daran scheitert, dass es nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Wahrnehmung der Vermögensinteressen der Vertragspartner und damit an einem fremdnützigen Verhalten fehlt. Hiergegen ist - wie dargelegt - keine wirksame Verfahrensrüge erhoben worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 73 Abs. 1 Satz 2 GKG.