Beschluss vom 08.06.2010 -
BVerwG 8 B 114.09ECLI:DE:BVerwG:2010:080610B8B114.09.0

Beschluss

BVerwG 8 B 114.09

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 17.09.2009 - AZ: OVG 2 L 228/08

hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und Dr. Held-Daab
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2009 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und auf Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

2 1. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Daran fehlt es hier.

3 Die Frage,
ob die statistische Einordnung eines Unternehmens in die Klassifikation der Wirtschaftszweige als Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG einzuordnen ist,
wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage zwar wegen der Annahme, es liege kein Verwaltungsakt vor, als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage für unstatthaft gehalten, ihre Zulässigkeit als allgemeine Leistungsklage aber bejaht und die Zurückweisung der Berufung auf die Unbegründetheit der Klage gestützt. Ob diese Entscheidung nach § 144 Abs. 4 VwGO zumindest im Ergebnis der revisionsrechtlichen Prüfung Stand halten würde, hängt daher nicht von der Qualifikation der statistischen Einordnung als Verwaltungsakt ab, sondern davon, ob das Unternehmen zu Recht dem Wirtschaftszweig der Forstwirtschaft zugeordnet wurde.

4 Die darauf bezogene Frage,
ob ein Betrieb der Forstwirtschaft (und Landwirtschaft) über Eigentum oder Besitz an Grund und Boden verfügen muss,
wäre in einem Revisionsverfahren nur erheblich, soweit sie forstwirtschaftliche Betriebe betrifft. Insoweit kommt ihr aber keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil sie nicht klärungsbedürftig ist. Dass die Frage noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war, genügt dazu nicht. Nur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein Revisionsverfahren durchgeführt werden. Daran fehlt es, wenn die Frage sich anhand der einschlägigen Vorschriften mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation unter Berücksichtigung der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt (vgl. Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228 S. 13). Das ist hier der Fall.

5 Aus den gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen der Systematisierung der Wirtschaftszweige und der statistischen Einordnung von Unternehmen ergibt sich eindeutig, dass die unternehmerische Tätigkeit, und nicht das Eigentum oder der Besitz an den dazu verwendeten Produktionsmitteln, für die Zuordnung maßgeblich ist. Die gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Systematik der Wirtschaftszweige zielt nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates vom 9. Oktober 1990 (ABl. L 293 S. 1) darauf, eine gemeinsame statistische Systematik in der Europäischen Gemeinschaft aufzustellen, um die Vergleichbarkeit der Systematiken und Statistiken zu gewährleisten und unter anderem den Gemeinschaftsorganen die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zu ermöglichen. Die für die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung verbindliche, im Anhang nach Art. 2 der Verordnung beigegebene und inzwischen durch die Verordnung (EG) Nr. 29/2002 der Kommission vom 19. Dezember 2001 (ABl. L 6 S. 3) und die Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 (ABl. L 393 S. 1) aktualisierte Systematik (NACE Rev. 1, Rev. 1.1 und Rev. 2) stellt jeweils auf die Art der unternehmerischen Tätigkeit, und nicht auf Eigentums- oder Besitzverhältnisse ab. Dies entspricht auch der Verordnung (EWG) Nr. 2186/93 des Rates vom 22. Juli 1993 (ABl. L 196 S. 1) über die innergemeinschaftliche Koordinierung des Aufbaus von Unternehmensregistern für statistische Verwendungszwecke, die zwischenzeitlich durch die Verordnung (EG) Nr. 177/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 (ABl. L 61 S. 6) zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für Unternehmensregister für statistische Zwecke und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 2186/93 des Rates abgelöst wurde. Danach kommt es für die systematische Einordnung entscheidend auf die unternehmerische Tätigkeit, und nicht auf Eigentum oder Besitz an Grund und Boden an. Bereits die Erwägungsgründe der Verordnung Nr. 2186/93 stellen klar, dass Gegenstand der Statistiken die Unternehmenstätigkeit ist; Art. 2 Abs. 2 knüpft für die Bestimmung des Anwendungsbereichs an die Produktionstätigkeit an. Nach Art. 3 sollen alle Unternehmen erfasst werden, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, die zum Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen (BIP) beiträgt. Die Maßgeblichkeit der zur Wertschöpfung beitragenden Tätigkeit, und nicht der Eigentums- oder Besitzverhältnisse, dürfte sich daraus erklären, dass die Vergleichbarkeit der Unternehmenszuordnungen unabhängig von der unterschiedlichen Ausgestaltung der Wirtschaftsverfassung in den Mitgliedsländern gewährleistet sein muss. Die nationale Umsetzung der Systematisierung in WZ 2003 und WZ 2008 ist entsprechend diesen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu verstehen.

6 Danach kommt es für die Zuordnung eines Unternehmens zum Tätigkeitsbereich der Forstwirtschaft weder auf dessen Eigentum am forstwirtschaftlich genutzten Grundstück noch darauf an, ob es bei seiner Tätigkeit Eigen- oder zumindest Fremdbesitz am Grund und Boden des forstwirtschaftlich genutzten Grundstücks ausübt.

7 Sollte die Beschwerde auch unabhängig von den Eigentums- und Besitzverhältnissen für klärungsbedürftig halten, ob das Unternehmen zumindest an der Nutzung des Waldbodens zur Holzerzeugung teilhaben müsse, lässt sich dies aufgrund der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Systematik verneinen. Die Zuordnung zu einer systematischen Kategorie setzt nicht voraus, dass die unternehmerische Betätigung das gesamte von dieser Kategorie erfasste Tätigkeitsspektrum abdeckt, sondern verlangt nur, dass die verrichteten Tätigkeiten
- hier etwa der Holzeinschlag und das Holzrücken - in deren Spektrum fallen, und dass die ihm zuzuordnenden Tätigkeiten des Unternehmens den Schwerpunkt der unternehmerischen Betätigung darstellen. Beides hat das angegriffene Urteil bejaht.

8 2. Die dem Urteil zugrundeliegenden Feststellungen hat die Beschwerde nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen. Ihrer Begründung lässt sich die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO nicht entnehmen.

9 Das Berufungsurteil ist nicht schon als unzulässige Überraschungsentscheidung einzuordnen, weil das Oberverwaltungsgericht den Kläger nicht ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen hat, zur Überprüfung der Zuordnung nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige auf das Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken des Statistischen Bundesamtes auch in der aktuellen Fassung von 2009 (GP 2009) zurückzugreifen.

10 Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG wird in § 108 Abs. 2 VwGO konkretisiert und gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Danach ist ein Hinweis erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <409>).

11 Hier musste ein solcher Prozessbeteiligter bereits nach dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beklagten, der sich zur Rechtfertigung der Zuordnung ausdrücklich auf die damals geltende GP 2002 berufen hatte, damit rechnen, dass das Oberverwaltungsgericht für seine Entscheidung die jeweils geltende Fassung des Güterverzeichnisses berücksichtigen könnte, zumal auch die einschlägige finanzgerichtliche Rechtsprechung die Heranziehung des Güterverzeichnisses zur Überprüfung der Einordnung nach Wirtschaftszweigen, insbesondere für die Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes von der Urproduktion, für zulässig erklärt hat (BFH, Urteil vom 10. Mai 2007 - III R 54/04 - BFH/NV 2007, 2146).

12 Der nicht näher konkretisierte Vorwurf, das Oberverwaltungsgericht habe auf der Grundlage des veralteten Vorbringens im vorangegangenen finanzgerichtlichen Verfahren entschieden und aktuelles Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt, genügt nicht den Anforderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die substantiierte Darlegung eines Übergehens entscheidungserheblichen Vortrags stellt. Außerdem verkennt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht die Tatsachenfeststellungen des finanzgerichtlichen Urteils nicht ungeprüft übernommen hat. Wie aus den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils hervorgeht, war es vielmehr aufgrund eigener Nachfragen und der entsprechenden Angaben des Klägers davon überzeugt, dass der Betriebsumfang sich zwar vergrößert hatte, der Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit aber gleich geblieben war. Gegen diese Feststellung hat die Beschwerde keine Verfahrensrügen erhoben.

13 3. Soweit sie sich für ihre Auslegung des Begriffs der Forstwirtschaft auf planungsrechtliche Entscheidungen, nämlich das Urteil vom 19. April 1985
- BVerwG 4 C 13.82 - (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 225) sowie die Beschlüsse vom 19. Februar 1996 - BVerwG 4 B 20.96 - (Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 320) und vom 4. Oktober 2006 - BVerwG 4 B 64.06 - (Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 373) beruft, arbeitet sie keine divergierenden abstrakten, die Frage der statistischen Zuordnung betreffenden Rechtssätze heraus. Außerdem übersieht sie, dass die statistische Begriffsverwendung aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nach deren Sinn und Zweck nicht mit der planungsrechtlichen Begriffsbestimmung übereinstimmen muss. Schließlich bejaht der Beschluss vom 19. Februar 1996 - BVerwG 4 B 20.96 - (a.a.O.) für einen Betrieb, der unter anderem den Holzeinschlag, die Holzverwertung und bestimmte Waldpflegemaßnahmen auf dem forstwirtschaftlichen Grundstück eines Dritten übernimmt, ausdrücklich das Merkmal forstwirtschaftlicher Tätigkeit. Er verneint nur die zusätzlich zur Erfüllung des Privilegierungstatbestands des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB geforderte planmäßige und eigenverantwortliche Bodennutzung. Diese planungsrechtliche Differenzierung ist für die gemeinschaftsrechtlich vorgegebene, auf den Charakter der Tätigkeit abstellende statistische Systematik ohne Belang. Dies zeigt sich auch darin, dass das im zitierten Beschluss angenommene, nicht unter § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB fallende Erbringen forstwirtschaftlicher Dienstleistungen nach Ziffer 02.40 NACE Rev. 2 noch in die statistische Abteilung der Forstwirtschaft und des Holzeinschlags fällt.

14 Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO abgesehen.

15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Beschluss vom 24.08.2010 -
BVerwG 8 B 55.10ECLI:DE:BVerwG:2010:240810B8B55.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.08.2010 - 8 B 55.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:240810B8B55.10.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 55.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser und Dr. Held-Daab
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss vom 8. Juni 2010 - BVerwG 8 B 114.09 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO hat keinen Erfolg. Der angegriffene Beschluss verletzt nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

2 Bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat dessen Vorbringen berücksichtigt und gewürdigt, soweit es für die Entscheidung im Beschwerdeverfahren erheblich sein konnte. Dies gilt auch für den Vortrag zur Anwendung des Güterverzeichnisses für Produktionsstatistiken des statistischen Bundesamtes (GP) und zur Anwendung der maßgeblichen Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ) sowie zum Kriterium der Erzeugung von Stammholz als notwendige Voraussetzung für die Einordnung eines Unternehmens als forstwirtschaftlicher Betrieb. Dazu wird auf die Gründe des Beschlusses vom 27. Juli 2010 - BVerwG 8 PKH 5.10 - Bezug genommen, mit dem der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin R. zur Durchführung des Anhörungsrügeverfahrens abgelehnt wurde.

3 Soweit der Kläger sich gegen materiell-rechtliche Annahmen der Entscheidung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wendet, berücksichtigt er nicht, dass die Anhörungsrüge keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung darstellt (Urteil vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.).

4 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.