Urteil vom 08.04.2003 -
BVerwG 1 D 34.02ECLI:DE:BVerwG:2003:080403U1D34.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 08.04.2003 - 1 D 34.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:080403U1D34.02.0]

Urteil

BVerwG 1 D 34.02

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 8. April 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H. M ü l l e r ,
Bundesbahnbetriebsinspektor Achim T s c h u r l
und Postbetriebsassistent Uwe B u n d e
als ehrenamtliche Richter
sowie
Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des Bundesbahnhauptsekretärs
  2. ... gegen das Urteil des Bundes-
  3. disziplinargerichts, Kammer VII - ... -, vom 29. Oktober 2002 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

I


1. In dem ordnungsgemäß eingeleiteten Disziplinarverfahren hat der Bundesdisziplinaranwalt den am ... in ... geborenen Beamten nach Durchführung einer Untersuchung angeschuldigt, dadurch ein Vergehen begangen zu haben, dass er
im Zeitraum von Oktober/November 1999 bis zum 21. März 2000 als Reiseberater im Reisezentrum W. durch Trickbuchungen im Abrechnungssystem "KURS 90" Kassengelder in Höhe von ca. 10 000 DM zum Nachteil der DB Reise & Touristik AG veruntreute und für eigene Zwecke verwendete.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat den Beamten durch Urteil vom 29. Oktober 2002 aus dem Dienst entfernt und ihm einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. seines erdienten jeweiligen Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Beamte war zuletzt als Reiseberater bei der DB Reise & Touristik AG, Niederlassung ..., eingesetzt. Zu seinem Aufgabenbereich zählte der Verkauf von Fahr- und Platzkarten. Er hatte deshalb eine Kasse mit arbeitstäglicher Schichtabrechnung zu führen.
Etwa Oktober oder November 1999 begann der Beamte, sich durch eine Vielzahl von so genannten Trickbuchungen Geldbeträge in unterschiedlicher Höhe rechtswidrig zuzueignen und für private Zwecke zu verbrauchen. Er meldete sich dazu bei Schichtbeginn an seinem Computer im Tarif- und Abrechnungssystem "KURS 90" an. Dieses System registriert von Schichtbeginn an jeden Verkauf und vermerkt ihn als Belastung. In Sonderfällen, in denen zwar ein Verkauf getätigt wird, aber kein Bargeld in die Kasse gelangt (zum Beispiel bei Platzkartenbuchungen durch Schwerbehinderte) stellt das System den so genannten "Code 128" zur Verfügung, der jeweils zu einer Entlastung im Kassensoll führt. Auf diese Weise stimmen bei Kassenabschluss "Soll" und "Ist" des Bargeldbestandes jeweils überein. Der Beamte nahm in dem Tarifsystem "KURS 90" in der Folgezeit eine Vielzahl von so genannten Entlastungsbuchungen mit dem "Code 128" vor, ohne dass es einen dienstlichen Grund für diese Entlastungsbuchungen gab. Auf diese Weise bewirkte er, dass der Bargeld-Istbestand jeweils höher war als der Sollbestand. Die so herbeigeführten Kassenüberschüsse entnahm er der Kasse und steckte sie ein.
Nach seinen Angaben handelte es sich anfänglich um geringere Beträge. Im Laufe der Zeit wuchsen die durch die geschilderte Manipulation erzeugten Kassenüberschüsse pro Schicht auf bis zu 280 DM. Insgesamt hat der Beamte eine Gesamtschadenshöhe von 10 000 DM als realistisch eingeschätzt. Allerdings habe er im Laufe der Zeit die Übersicht verloren.
Der Beamte hat den ihm vorgeworfenen Sachverhalt eingeräumt. Er hat dazu erklärt, er habe unter erheblichem persönlichen und finanziellen Druck gestanden. Hierzu sei es bereits 1983 und 1984 aufgrund einer Kreditaufnahme nach einer ...operation gekommen. Spätere finanzielle Engpässe hätten die Situation verschärft, zumal seine Ehefrau erhebliche finanzielle Ansprüche gestellt habe. Im Oktober/November 1999 sei seine Finanzlage eskaliert, weshalb er mit den Trickbuchungen begonnen habe. Er habe Geld zum Tanken gebraucht, später die entnommenen Beträge in die Haushaltskasse gesteckt und auch sein Konto ausgeglichen. Zusätzlich seien familiäre Probleme mit Ehefrau und Schwiegermutter und Schulprobleme seines Sohnes hinzugetreten.
Das Bundesdisziplinargericht hat die Handlungsweise des Beamten als Verstoß gegen die ihm obliegenden Pflichten zur uneigennützigen Verwaltung seines Amtes sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 54 Sätze 2 und 3 BBG) gewertet. Er habe hierdurch ein vorsätzliches Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das wegen seiner Schwere zur Entfernung des Beamten aus dem Dienst habe führen müssen. Ein von der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund liege nicht vor. Dies gelte auch für den Milderungsgrund der ausweglosen wirtschaftlichen Notlage. Eine derartige Notlage habe trotz der angespannten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten nicht vorgelegen. Sie wäre im Übrigen mit Blick auf überhöhte finanzielle Ansprüche nicht unverschuldet gewesen.
3. Gegen dieses Urteil hat der Beamte rechtzeitig Berufung eingelegt und beantragt, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen. Er begründet die Berufung im Wesentlichen wie folgt:
Seine geringe Schuld komme durch die strafgerichtliche Verfahrenseinstellung zum Ausdruck. Angesichts seiner besonderen familiären, persönlichen und sozialen Situation sei unter dem Gesichtspunkt des Opportunitätsprinzips und der Fürsorgeverpflichtung des Dienstherrn ihm gegenüber eine Entfernung aus dem Dienst nicht gerechtfertigt.

II


Die Berufung hat keinen Erfolg.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Senat ist deshalb an die Tat- und Schuldfeststellungen des Bundesdisziplinargerichts sowie an die vorgenommene disziplinarrechtliche Würdigung der festgestellten Pflichtverletzung als innerdienstliches Dienstvergehen gebunden. Er hat nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
Das Bundesdisziplinargericht hat zutreffend festgestellt, dass der Beamte durch die Veruntreuung dienstlich anvertrauter Gelder ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen hat, das nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zur einseitigen Auflösung des Dienstverhältnisses und damit zur Entfernung eines Beamten aus dem Dienst führt.
Die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses ist bei einem Zugriff auf dienstlich erlangtes oder anvertrautes Geld nur möglich, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Dies ist hier nicht der Fall.
Der Milderungsgrund des Handelns in einer unverschuldeten ausweglosen wirtschaftlichen Notlage zur Tatzeit kann dem Beamten nicht zugebilligt werden. Selbst wenn eine derartige Notlage objektiv tatsächlich vorgelegen hätte, so hätte sie der Beamte selbst zu vertreten, weil er offensichtlich über seine Verhältnisse gelebt hat. Das Entstehen seiner ersten Verschuldung aufgrund einer Operation, deren Kosten in der privaten Pflegeklasse er zum Teil selbst tragen musste, lag zur Tatzeit bereits 15 Jahre zurück. Im Übrigen kann dem Beamten der Milderungsgrund auch deshalb nicht zugebilligt werden, weil er nicht - zeitlich begrenzt - in einer ausweglosen Konfliktsituation, auf die der Milderungsgrund zugeschnitten ist, gehandelt hat. Die mildere Bewertung des Fehlverhaltens hat ihren Grund darin, dass der betroffene Beamte in einer Konfliktsituation versagt hat, in der er keinen anderen Ausweg als den Zugriff auf dienstlich anvertrautes Geld oder Gut gesehen hat, um den notwendigen Lebensbedarf für sich und/oder seine Familie zu sichern. Eine derartige Konfliktsituation kann aber nur dann als Ursache des Fehlverhaltens anerkannt werden und zu einer Milderung führen, wenn es sich um ein vorübergehendes zeitlich und zahlenmäßig eng begrenztes Verhalten gehandelt hat. Wiederholte Zugriffshandlungen über einen längeren Zeitraum erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Beamte hat über fünf Monate hinweg in zahllosen Fällen durch Trickbuchungen Geld in Höhe von ca. 10 000 DM seiner dienstlichen Kasse entnommen. Bei dieser Sachlage ist Ursache des Fehlverhaltens nicht mehr eine aus der existenziellen Not geborene, vorübergehende Konfliktsituation, mit der der Beamte nicht fertig geworden ist. Vielmehr hat er gezielt die Inanspruchnahme fremden Vermögens eingesetzt, um damit über weitere "Einkünfte" neben seinem sonstigen Einkommen, das zur Befriedigung seiner finanziellen Bedürfnisse offensichtlich nicht ausgereicht hat, verfügen zu können. Das Sich-Abfinden mit immer neuem Unrecht durch eine rechtswidrige Dauerlösung darf sich nicht maßnahmemildernd auswirken (vgl. Urteil vom 23. Oktober 2002 - BVerwG 1 D 5.02 -). Schließlich kann sich der Beamte auch deshalb nicht auf den Milderungsgrund berufen, weil er die veruntreuten Gelder nicht für unabweisbare Lebensbedürfnisse verwendet hat. Das ließe sich bei einem Betrag von 10 000 DM für einen Zeitraum von fünf Monaten ohnehin nicht begründen. Tatsächlich hat der Beamte auch eingeräumt, einen erheblichen Teil des Geldes zur Tilgung von Schulden verwendet zu haben.
Der Beamte kann sich auch nicht auf eine psychische Ausnahmesituation berufen. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen, unvorhergesehenen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensverhältnisse des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits ein Fehlverhalten des Betroffenen hervorruft. Hierfür reicht eine allgemeine angespannte Seelenlage in Verbindung mit schwierigen familiären Problemen und allmählich entstandenen finanziellen Engpässen nicht aus (Urteil vom 30. September 1998 - BVerwG 1 D 97.97 -).
Schließlich kann es den Beamten disziplinar nicht entlasten, dass durch die strafgerichtliche Verfahrenseinstellung eine lediglich geringe Schuld zum Ausdruck komme. Strafrecht und Disziplinarrecht unterscheiden sich in ihren Zielen grundsätzlich, wie der Senat immer wieder hervorgehoben hat (vgl. z.B. Urteil vom 27. November 1997 - BVerwG 1 D 48.97 - m.w.N.; vgl. z.B. auch BVerfGE 29, 125 <144>). Während das Strafrecht vom Vergeltungsprinzip mit dem Ziel der Sühne geprägt ist, ist es ausschließlicher Zweck des Disziplinarrechts, das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamten und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu sichern. Hat - wie hier - das Fehlverhalten des Beamten trotz geringem strafrechtlichem Gehalt zur Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn geführt, kann das Beamtenverhältnis nicht fortgesetzt werden mit der Folge, dass der Beamte aus dem Dienst entfernt werden muss.
Mit dem vom Bundesdisziplinargericht bewilligten Unterhaltsbeitrag hat es sein Bewenden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.
Albers Mayer Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. H. Müller ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben.
Albers