Verfahrensinformation

Im Sommer 1956 verließ die Beigeladene die ehemalige DDR ohne Beachtung der damals geltenden Meldevorschriften. Ihr Grundstück wurde daraufhin unter staatliche Verwaltung gestellt und Anfang 1968 auf der Grundlage des Verteidigungsgesetzes enteignet. Eine Entschädigungsleistung erhielt die Beigeladene nicht. Heutige Eigentümerin des Grundstücks ist die Klägerin, die Bundesrepublik Deutschland. Im Herbst 1990 stellte die Beigeladene einen Rückgabeantrag für das Grundstück, den das Vermögensamt ablehnte. Der Beklagte half dann dem Widerspruch der Beigeladenen ab. Die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage blieb erfolglos, da das Verwaltungsgericht annahm, die Beigeladene sei entschädigungslos enteignet worden, so dass das Eigentum an dem Grundstück an sie zurückzuübertragen sei. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.


Beschluss vom 07.04.2003 -
BVerwG 8 C 4.02ECLI:DE:BVerwG:2003:070403B8C4.02.0

Leitsatz:

Bei den so genannten Republikfluchtfällen, in denen es zu einer Enteignung nach dem Verteidigungsgesetz der DDR ohne Entschädigungszahlung gekommen war, folgt die Entschädigungslosigkeit nicht aus dem Regelwerk zur Anordnung Nr. 2 vom 20. August 1958 über die staatliche Treuhandverwaltung.

  • Rechtsquellen
    VermG § 1 Abs. 1 a
    Verteidigungsgesetz vom 20. September 1961 § 10
    Anordnung Nr. 2 vom 20. August 1958

  • VG Potsdam - 24.07.2000 - AZ: VG 9 K 707/96

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.04.2003 - 8 C 4.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:070403B8C4.02.0]

Beschluss

BVerwG 8 C 4.02

  • VG Potsdam - 24.07.2000 - AZ: VG 9 K 707/96

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. April 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a g e n k o p f und P o s t i e r
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird eingestellt.
  2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam
  3. vom 24. Juli 2000 ist wirkungslos.
  4. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte
  5. und die Beigeladene zu gleichen Teilen.
  6. Der Wert des Streitgegenstandes wird für
  7. das Revisionsverfahren auf 282 442,75 €
  8. festgesetzt.

Nachdem Klägerin und Beklagter den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Vorentscheidung ist wirkungslos (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 2 VwGO. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes sind die Kosten dem Beklagten und der Beigeladenen, die sich mit (angekündigten) Anträgen am Verfahren beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), zu gleichen Teilen aufzuerlegen, weil die Klägerin mit ihrer Revision ohne die Erledigung der Hauptsache voraussichtlich obsiegt hätte.
Das angefochtene Urteil hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Anordnung Nr. 2 vom 20. August 1958 - AnO Nr. 2 - habe die Entschädigungsregelung von § 10 des Verteidigungsgesetzes der DDR für so genannte Republikflüchtlinge generell außer Anwendung gesetzt, ist nicht richtig.
Aus seinem Beweisergebnis - dem "Republikflüchtigen" habe sein in der DDR verbliebenes Vermögen keinen wirtschaftlichen Nutzen erbracht - folgert das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht, dass dieser Sachverhalt ein Unterfall von § 1 Abs. 1 a VermG sei. Dem ist indes nicht so.
Das Dokument 30 (Materialband Heft 10 der Schriftenreihe des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, 1. Aufl. 1996, S. 261, 263 – "4. Grundsatzschreiben" des Ministeriums der Finanzen der DDR vom 14. März 1960 -) enthält unter Nr. IV 1 die Anordnung, dass sich die staatliche Treuhandschaft im Falle der Inanspruchnahme so genannter AnO-Nr.2-Grundstücke nach dem Aufbaugesetz auf den "dem republikflüchtigen Eigentümer zustehenden Entschädigungsanspruch" zu erstrecken habe. In der gleichfalls vom Verwaltungsgericht herangezogenen "Einleitung" zu der genannten Schriftenreihe (a.a.O. S. V, VII) heißt es: "Hatte der Vermögensinhaber finanzielle Ansprüche gegenüber dem Staat, z.B. beim Erwerb oder bei der Inanspruchnahme von Grundstücken zugunsten des Volkseigentums, wurde der Anspruch generell nur im Vermögensverzeichnis buchmäßig nachgewiesen, und es ist kein Geld geflossen." Danach standen auch "Republikflüchtigen" Entschädigungsansprüche zu; sie wurden ihnen nur nicht zur eigenen Verwendung ausbezahlt oder anderweitig zur Verwendung überlassen, sondern dem in der DDR vorhandenen Aktivvermögen hinzugeschlagen und wie dieses behandelt.
Das Verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Entschädigungsregelung von § 10 des Verteidigungsgesetzes der DDR auf "Republikflüchtige" nicht angewandt wurde. Hierauf hindeutende Anhaltspunkte hat der Streitfall nicht aufgezeigt. Vielmehr sollte das Entschädigungsverfahren nach dem Inanspruchnahmebescheid des Rates des Kreises Oranienburg vom 10. Januar 1968 ohne Antrag durchgeführt werden, und nach dem "Ermittlungsbericht für bebautes Grundstück" der Unterkunftsabteilung Potsdam vom 3. April 1968 hätte vorliegend die Erwerbssumme durch die Nationale Volksarmee bei der Grundbuchumschreibung zur Verfügung gestellt sein müssen. Diese Hinweise machen deutlich, dass der Entschädigungsanspruch in der Rechtswirklichkeit der DDR gegenüber "Republikflüchtigen" nicht nur zum Schein bestanden hat.
§ 1 Abs. 1 a VermG will, wie insbesondere auch die Entstehungsgeschichte deutlich macht (vgl. BTDrucks 11/7831 S. 2), grundsätzlich nur solche Enteignungen erfassen, deren besonderer Unrechtsgehalt darin liegt, dass bereits nach den einschlägigen Vorschriften der DDR für bestimmte Enteignungsmaßnahmen eine Entschädigung generell ausgeschlossen war. Dem entsprechend begründet der Umstand, dass eine nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften der DDR an sich bestehende Entschädigungsverpflichtung im Einzelfall nicht erfüllt wurde - etwa weil die staatliche Stelle die Entschädigung nicht festgesetzt, wegen staatlicher Verwaltung des Vermögens nicht ausgezahlt, mit anderen Forderungen verrechnet oder sonst der Verfügungsmacht des Enteigneten vorenthalten hatte -, für sich genommen keine entschädigungslose Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 1 a VermG. Der von einer Maßnahme nach § 1 VermG betroffene Vermögenswert - dazu zählen auch die auf Geldzahlung gerichteten Forderungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 VermG) - kann in solchen Fällen nur der Anspruch auf Entschädigung oder auch ein bereits vorhandenes Kontoguthaben sein. Allein dieser Zugriff auf das Vermögen ist wieder gutzumachen, sofern er einen der in § 1 VermG aufgeführten Schädigungstatbestände erfüllt (Urteil vom 25. Juli 2001 - BVerwG 8 C 3.01 - Buchholz 428 § 1
Abs. 3 VermG Nr. 28 S. 75, 77 m.w.N.). Die unter der staatlichen Treuhandverwaltung bestehende Verfügungsbeschränkung entfiel durch Aufhebung der staatlichen Verwaltung (§§ 11 ff. VermG).