Beschluss vom 07.03.2008 -
BVerwG 8 B 94.07ECLI:DE:BVerwG:2008:070308B8B94.07.0

Beschluss

BVerwG 8 B 94.07

  • VG Chemnitz - 23.05.2007 - AZ: VG 1 K 1287/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. März 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf Grund mündlicher Verhandlung vom 23. Mai 2007 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 56 243 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf alle Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 - 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die behaupteten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

3 a) Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Sonntag war aus dem von dem Kläger vorgetragenen Grund nicht gehindert, an der angefochtenen Entscheidung mitzuwirken. Das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch hatte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. November 2005 abgewiesen. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO) und deshalb einer Nachprüfung im Revisionsverfahren entzogen (§ 173 VwGO, § 557 Abs. 2 ZPO).

4 Die Rüge eines Verfahrensmangels ist ausnahmsweise zulässig, wenn sie sich nicht gegen die unanfechtbare Vorentscheidung selbst wendet, sondern einen Mangel benennt, der als Folge der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend dem angefochtenen Urteil selbst anhaften soll (Urteil vom 17. Februar 1972 - BVerwG 8 C 84.70 - BVerwGE 39, 319 = Buchholz 448.0 § 21 WehrPflG Nr. 11). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Der Kläger wendet zwar ein, die Voreingenommenheit des abgelehnten Richters werde durch dessen einseitige Bewertung der Zeugenaussage im angefochtenen Urteil deutlich; dabei verkennt er aber, dass die Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme eine Entscheidung der mit fünf Richtern besetzten Kammer ist.

5 b) Das angefochtene Urteil stellt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht als eine Überraschungsentscheidung dar. Das aus dem Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG abgeleitete Verbot von Überraschungsentscheidungen greift ein, wenn in gerichtlichen Entscheidungen Tatsachen- und Beweisergebnisse zugrunde gelegt wurden, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können. So liegt der Fall nicht. Dem Kläger hat es an der konkreten Möglichkeit der Äußerung zum Sachverhalt vor Erlass des Urteils nicht gefehlt. Ihm und seinem Prozessbevollmächtigten war es nach der umfangreichen Beweisaufnahme auch bei Anwendung der zu verlangenden Sorgfalt möglich zu erkennen, auf welche Sachverhaltselemente es für die Entscheidung ankommen wird. Die erkennende Kammer musste ihre aus der Beweisaufnahme gewonnene Rechtsauffassung nicht vorab bekannt geben (vgl. BVerfGE 84, 188).

6 c) Die Versagung einer Schriftsatzfrist war nicht verfahrensfehlerhaft. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgehoben, dass zwischen Zugang des ersten Schriftsatzes vom 9. Mai 2007 und Schluss der mündlichen Verhandlung (23. Mai 2007) genügend Zeit bestand und dass der zweite Schriftsatz vom 15. Mai 2007 nichts wesentlich Neues beinhaltet hatte.

7 d) Die Zurückweisung der hilfsweise gestellten Beweisanträge war frei von Fehlern. Das Verwaltungsgericht hat von seiner, ihm durch § 87b Abs. 2 VwGO eingeräumten Befugnis, Beweismittel zurückweisen zu dürfen, ohne Rechtsverstoß Gebrauch gemacht. Der Kläger hat mit seiner Beschwerde nicht dargetan, dass es an Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift gemangelt habe. Die Zurückweisung war nicht ermessensfehlerhaft. Die Erwägung des Gerichts, dass eine Zulassung des Beweismittels die Erledigung des Verfahrens verzögern würde, ist auch bei langer Prozessdauer vertretbar. Das Beschleunigungsgebot leidet nicht deshalb Not, weil das Gericht wegen Überlastung die Verfahren nicht zügiger zum Abschluss bringen kann. Der Kläger hat im Gegenteil die Beweisanträge, die die Gegenseite in der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2007 gestellt hatte, selbst für verspätet gehalten, weil sie allein der Verschleppung des Verfahrens dienen würden (Protokoll S. 75). Auch das besondere Interesse des Klägers am Ausgang seines Klageverfahrens hat das Verwaltungsgericht nicht dazu anhalten müssen, den gestellten Beweisanträgen zu folgen. Zudem hatte der Kläger seine verspätete Antragstellung nicht entschuldigt. Zur Begründung der Beschwerde verweist der Kläger insoweit lediglich darauf, dass er erst in der Verhandlung am 23. Mai 2007 Kenntnis von den Zeugen erhalten habe. Gründe dafür, warum er die Zeugen nicht früher ausfindig machen konnte, nennt er auch in der Beschwerdebegründung nicht.

8 e) Die Aufklärungsrüge, mit der der Kläger beanstandet, dass das Verwaltungsgericht nicht die Dissertation „Das Notariat in der DDR“ verwertet und Heinz Stavorinus gehört habe, ist unbegründet. Der Kläger hat nicht dargetan, dass sich die Dissertation darüber verhalte, dass die Notare staatlicherseits verpflichtet gewesen seien, gegen den erkennbaren Willen der Veräußerer zu beurkunden. Auf das Beweisthema, zu dem der Zeuge vernommen werden sollte, kam es dem Verwaltungsgericht Streit entscheidend nicht an.

9 f) Mit seiner Rüge, dass das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung nicht auf alle Zeugenaussagen eingegangen sei, macht der Kläger keinen Verfahrensfehler geltend. Das Verwaltungsgericht ist nicht gehalten, auf sämtliche Bekundungen aus seiner (hier sehr umfangreichen) Beweisaufnahme in allen Einzelheiten einzugehen. Das Gericht kann sich gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf die Wiedergabe der wesentlichen Gründe beschränken, die für das Ergebnis seiner Beweiswürdigung tragend waren. Der Vorgang der Beweiswürdigung wird erst dann verfahrensfehlerhaft, wenn aus der Angabe der Gründe gefolgert werden kann, dass das Gericht erhebliche Beweiserkenntnisse übersehen und deshalb nicht in seine richterliche Überzeugungsbildung einbezogen haben wird. Auf keine der mit der Beschwerde benannten Zeugenaussagen trifft dies zu. Die Zeugin S. hat sich widersprüchlich eingelassen, und die Zeugin P. konnte sich zum Beweisthema nicht eindeutig äußern. Der Zeuge K. hat die für die gerichtliche Entscheidung Streit entscheidende Frage nicht bestätigen können, dass der in Rede stehenden Beurkundungspraxis entsprechende Anweisung zugrunde gelegen hätten. Gleiches gilt für die Zeugen W., K. und H.

10 g) Die nachfolgenden Auseinandersetzungen des Klägers mit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts erweisen sich als materiell-rechtlicher Angriff auf das angefochtene Urteil, betreffen aber nicht das dabei angewandte Gerichtsverfahren.

11 h) Soweit der Kläger behauptet, er habe in der mündlichen Verhandlung vom 23. Mai 2007 die Beiziehung von Grundbuchakten beantragt, enthält das Sitzungsprotokoll keinen solchen Antrag.

12 2. Die geltend gemachten Divergenzen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor. Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass in dem angefochtenen Urteil mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht nur ein Anwendungsfehler, sondern ein Widerspruch in einem entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz feststellbar ist. Die Beschwerde muss die vermeintlich widersprüchlichen Rechtssätze einander gegenüber stellen. Diesem Darlegungserfordernis (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt die Beschwerde nicht.

13 3. Die Sache weist auch nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.

14 a) Die Frage, ob das Verhalten eines staatlichen Notars, der entgegen dem Willen des Verkäufers bei Teilverkäufen von Hofstellen den Vertrag so formulierte, dass der Verkäufer nicht bemerkt hatte, dass sein gesamter landwirtschaftlicher Grundbesitz den Käufern übertragen wurde, den Tatbestand von § 1 Abs. 3 VermG erfüllt, lässt sich nicht allgemein beantworten. Sie erfordert eine an den Einzelumständen orientierte Beurteilung, ob Willkür vorgelegen hatte (vgl. Urteil vom 3. September 1998 - BVerwG 7 C 26.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 160).

15 b) Bei der Frage, ob eine Beurkundungspraxis im Gebiete der früheren DDR Zufall war oder ob vielmehr daraus auf eine einheitliche gezielte Handlungsweise geschlossen werden müsse, der Anweisungen zugrunde gelegen hätten, handelt es sich um eine Tatsachenfrage, die sich im Revisionsverfahren nicht stellen kann.

16 c) Gleiches gilt für die übrigen für rechtsgrundsätzlich gehaltenen Fragen.

17 4. Die Revision ist schließlich nicht deswegen zuzulassen, weil die Kammer angeblich den Streitwert falsch festgesetzt hat. Darin kann kein die Revision eröffnender Verfahrensfehler liegen, weil darauf das angefochtene Urteil nicht beruht. Der Kläger hat im Übrigen zum Wert der streitbefangenen Grundstücke keine abweichenden Angaben gemacht.

18 Auch die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Auf Grund der Einheitlichkeit des Verfahrens hat das Verwaltungsgericht zutreffend eine einheitliche Kostenentscheidung getroffen.

19 5. Mit seiner nachgereichten Begründung der Beschwerde setzt der Kläger der tatsächlichen Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts nur eine davon abweichende Bewertung entgegen, ohne damit einen Verfahrensmangel dargetan zu haben.

20 Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.

21 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 GKG.