Beschluss vom 06.12.2004 -
BVerwG 7 B 121.04ECLI:DE:BVerwG:2004:061204B7B121.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.12.2004 - 7 B 121.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:061204B7B121.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 121.04

  • VG Dresden - 12.05.2004 - AZ: VG 12 K 826/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Dezember 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
  2. Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
  3. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des
  4. Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
  5. Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  6. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 250 000 € festgesetzt.

Die Kläger beanspruchen die Rückübertragung von Grundstücken eines landwirtschaftlichen Betriebs, die ihrem Rechtsvorgänger gehört hatten und laut Grundbucheintrag vom 7. November 1949 in Volkseigentum überführt wurden. Mit Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 20. Juli 1999 wurde ihr Rechtsvorgänger rehabilitiert und das gegen ihn ergangene Waldheim-Urteil vom 11. Mai 1950 aufgehoben. Das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen lehnte die Rückübertragung ab, weil der Betrieb nach einem bestandskräftig gewordenen Bescheid auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet und die Vermögenseinziehung im Waldheim-Urteil erst danach ausgesprochen worden sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen: Grundlage der Enteignung sei der DWK-Beschluss vom 21. September 1948 gewesen. Der Eigentumszugriff sei durch den Grundbucheintrag kundgetan worden. Daran ändere nichts, dass der Ehefrau und dem Sohn des Enteigneten nach dem Klagevorbringen der Besitz an Hofstelle und Flächen belassen worden sei. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Abweichung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Rüge den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Das Verwaltungsgericht ist von dem nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts maßgeblichen faktischen Enteignungsbegriff ausgegangen. Danach ist eine Enteignung immer dann anzunehmen, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt worden ist; davon ist auszugehen, wenn die Vermögensentziehung in der Rechtswirklichkeit für den Eigentümer greifbar zum Ausdruck gekommen ist (Urteil vom 2. August 2001 - BVerwG 7 C 26.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 18 S. 57 <62 f.> m.w.N.). Die greifbare Darstellung der Enteignung in der Rechtswirklichkeit ist insoweit objektiver Natur, als sie auch dann gegeben ist, wenn der Eigentümer selbst sie nicht zur Kenntnis nahm oder zur Kenntnis nehmen konnte, z.B. weil er - wie der Rechtsvorgänger der Kläger - im fraglichen Zeitraum inhaftiert war. Die faktische Verdrängung aus dem Eigentum hat das Verwaltungsgericht aus dem Grundbucheintrag vom 7. November 1949, wonach die Grundstücke "in das Eigentum des Volkes übergegangen (sind) gemäß Beschluss der Deutschen Wirtschaftskommission vom 21. September 1948", sowie daraus abgeleitet, dass unter Nr. 65 der Enteignungsliste über sonstiges Vermögen für den Landkreis Stollberg "Grundstück und Guthaben" des Rechtsvorgängers der Kläger verzeichnet sind. Jedenfalls aus dem Grundbucheintrag ergab sich für den früheren Eigentümer klar, dass er vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt war. Daran ändert sich nichts, wenn seiner Familie der Besitz an den enteigneten Grundstücken belassen wurde, was von den Klägern vorgetragen und vom Verwaltungsgericht als wahr unterstellt worden ist. Einen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssatz des Inhalts, eine Enteignung liege "unabhängig davon (vor), ob der Eigentümer in seinen faktischen Verfügungsrechten eingeschränkt wird", hat das Verwaltungsgericht nicht aufgestellt. Mit ihrer gegenteiligen Auffassung verwechselt die Beschwerde eine Nutzungsbefugnis mit der Verfügungsbefugnis.
Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten Verfahrensfehler zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO); denn diese liegen nicht vor.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der faktischen Enteignung stehe nicht entgegen, dass der Besitz an den enteigneten Grundstücken der Frau und dem Sohn des Eigentümers überlassen geblieben sei, verletzt weder den Überzeugungsgrundsatz noch lässt sie wesentliches Vorbringen der Kläger außer Betracht. Wie schon der Unterschied zwischen Besitz und Eigentum zeigt, ist keineswegs denkgesetzlich ausgeschlossen, dass die Nutzung der Grundstücke trotz ihrer Enteignung fortgesetzt wurde. Das Verwaltungsgericht hat auch seine Aufklärungspflicht nicht dadurch verletzt, dass es nicht seiner Annahme nachgegangen ist, die Grundstücke könnten nach der Enteignung an die Familie des Rechtsvorgängers der Kläger vermietet oder verpachtet gewesen sein. Das Maß der gerichtlichen Sachaufklärung bestimmt sich nach der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts. Da das Verwaltungsgericht eine faktische Enteignung angenommen hat, brauchte es keine Ermittlungen zu einem anschließenden Miet- oder Pachtverhältnis anzustellen. Insbesondere kam es hierauf für die Antwort auf die Frage, ob der Rechtsvorgänger der Kläger bereits vor seiner Verurteilung durch das Waldheim-Gericht enteignet worden war, nicht an. Dies umso weniger, als die Kläger selbst vorgetragen hatten, ihr Rechtsvorgänger habe die Grundstücke nach seiner Entlassung aus der Strafhaft im Juli 1954 selbst wieder genutzt, bis sie 1960 von der LPG übernommen worden seien.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen kann auch keine Rede davon sein, dass sich in den Verwaltungsvorgängen keinerlei Hinweise auf ein Nutzungsverhältnis der vom Verwaltungsgericht angenommenen Art fänden. Der Kläger zu 2 hat in seiner in den Akten befindlichen Eingabe an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags vom 2. Februar 2000 im Auftrag der Erbengemeinschaft selbst vorgetragen, seine Eltern hätten 1950 vom Landkreis Stollberg einen unbefristeten Pachtvertrag für die Landwirtschaft bekommen. Das deckt sich mit der ebenfalls aktenkundigen Tatsache, dass die Grundstücke des früheren Eigentümers laut Übertragungsurkunde der Landesregierung Sachsen vom 29. September 1950 als "sonstiges Vermögen" mit Wirkung vom 1. Juli 1950 dem Kommunalwirtschaftsunternehmen des Landkreises Chemnitz als Rechtsträger übertragen wurden, nachdem sie laut Grundbucheintrag vom 3. März 1950 zunächst in die Rechtsträgerschaft des Kommunalwirtschaftsunternehmens des Gemeindebesitzes Stollberg übergegangen waren. Im Übrigen belegen auch diese Vorgänge die für das angegriffene Urteil entscheidungstragende Annahme, dass die Enteignung des Rechtsvorgängers der Kläger bereits vor dessen Verurteilung durch das Waldheim-Gericht in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck gekommen war. Zugleich wird hierdurch die Behauptung der Beschwerde widerlegt, das Verwaltungsgericht sei von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen.
Unbegründet ist schließlich der Vorwurf der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe aufgrund fehlerhafter Sachverhaltsfeststellung angenommen, die Grundstücke seien auf der Grundlage des Beschlusses der Deutschen Wirtschaftskommission vom 21. September 1948 listenmäßig enteignet worden. Das Beschwerdevorbringen, wonach "heute in der Rechtsprechung anerkannt (sei), dass die Enteignung sog. 'sonstigen Vermögens' ausschließlich Privatgrundstücke, keinesfalls aber irgendwelche betrieblichen Grundstücke - seien sie industrieller oder landwirtschaftlicher Art - erfassten", richtet sich gegen die Anwendung materiellen Rechts und ist für den behaupteten Verfahrensfehler unergiebig. Davon abgesehen trifft diese Behauptung nicht zu. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der Beschluss vom 21. September 1948 (abgedr. in RVI, Bd. 4, Dok. 45 f) den gemäß Nr. 4 des SMAD-Befehls Nr. 64 vom 17. April 1948 der Deutschen Wirtschaftskommission und entsprechend ihren Weisungen den Landesregierungen erteilten Auftrag vollzog, eine Entscheidung über den sonstigen sequestrierten Besitz zu treffen. Mit diesem Auftrag billigte die Besatzungsmacht die von der Deutschen Wirtschaftskommission oder den Landesregierungen erlassenen Entscheidungen generell, ohne dass sie sich noch eine nachträgliche Kontrolle oder gar Bestätigung der einzelnen Enteignungs- oder Freigabebeschlüsse vorbehalten hätte (Beschluss vom 15. Februar 2002 - BVerwG 7 B 81.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 21 m.w.N.). Der Bestätigungsbeschluss vom 21. September 1948 regelte noch nicht abschließend den Umfang des Vermögenszugriffs; dies geschah vielmehr durch die gleichzeitig erlassenen Richtlinien Nr. 3 (abgedr. in RVI, Bd. 4, Dok. 45 c). Nach § 1 Nr. 1 dieser Richtlinien war sonstiges Vermögen "das Vermögen, das durch besonderen Enteignungsbeschluss erfasst und in den 'Enteignungslisten über sonstiges Vermögen' zusammengefasst wurde". Diese Voraussetzungen sind nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die nicht mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge angegriffen wurden, erfüllt. Soweit das Vorbringen der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe den Inhalt der ihm mit Schriftsatz vom 6. Mai 2004 übersandten Anlagen unberücksichtigt gelassen, als Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs zu verstehen ist, kann sie keinen Erfolg haben. Mit dem Schriftwechsel zu der Frage, welcher Stelle der Betrieb des Rechtsvorgängers der Kläger zu überlassen sei (Anlagen 1, 3 und 4), hat sich das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerfrei auseinander gesetzt. Auf die Enteignungsurkunde der Landesregierung Sachsen vom 30. November 1948 (Anlage 2) musste das Verwaltungsgericht nicht näher eingehen, da deren Inhalt nach seiner auf die damalige Vollzugspraxis abstellenden Rechtsauffassung nicht entscheidungserheblich war.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG n.F.