Beschluss vom 06.10.2016 -
BVerwG 2 B 77.15ECLI:DE:BVerwG:2016:061016B2B77.15.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.10.2016 - 2 B 77.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:061016B2B77.15.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 77.15

  • VG Köln - 13.01.2011 - AZ: VG 15 K 1199/09
  • OVG Münster - 22.06.2015 - AZ: OVG 1 A 234/11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Oktober 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Kenntner
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 504 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die im Jahre 1969 geborene Klägerin stand bis zu ihrer vorzeitigen Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit zum 1. Januar 2006 als Fernmeldeobersekretärin im Dienst der Beklagten und war der Deutschen Telekom AG zur Dienstleistung zugewiesen. Am 6. Mai 2004 stürzte die Klägerin während des Dienstes auf einer Treppe und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. In der Notaufnahme war sie somnolent, ansprechbar und völlig desorientiert. Im weiteren Verlauf des mehrmonatigen Klinikaufenthaltes verbesserte sich die Amnesie nicht deutlich und es entwickelte sich ein depressives Syndrom.

3 Im Januar 2005 erkannte die Unfallkasse Post und Telekom das Unfallereignis vom 6. Mai 2004 als Dienstunfall und eine Gehirnerschütterung mit kurzer Bewusstlosigkeit als unmittelbare Unfallfolge an. Im Widerspruchsverfahren und im erstinstanzlichen Klageverfahren auf Anerkennung der neuropsychologischen Defizite und psychischen Einschränkungen als Folge des Dienstunfalls und auf Gewährung von Unfallfürsorgeleistungen einschließlich Unfallausgleich sind mehrere ärztliche Gutachten eingeholt worden. Das Berufungsgericht hat die erstinstanzlich erfolgreiche Klage auf der Grundlage eines weiteren ärztlichen Gutachtens abgewiesen. Danach sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin weder durch den Sturz noch durch organ-medizinische Erkrankungen erklärbar. Die Auffälligkeiten in der testpsychologischen Untersuchung seien vielmehr durch eine Antwortverzerrung zu erklären; die gebotenen Leistungen entsprächen nicht dem wahren Leistungsvermögen, sondern würden von der Klägerin bewusst oder unbewusst manipuliert. Der Dienstunfall der Klägerin sei dafür nicht im naturwissenschaftlichen Sinne kausal. Die Klägerin leide nicht an Demenz und auch nicht an einer organischen Persönlichkeitsstörung. Die bei der Klägerin vorliegende mittelgradige depressive Episode könne weder durch ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma ausgelöst werden noch die Symptome der Klägerin erklären.

4 2. Der von der Klägerin in der Beschwerdebegründung geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

5 Die Beschwerde bringt vor, das Berufungsgericht habe dadurch gegen die ihm obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verstoßen, dass es die Feststellungen und Schlussfolgerungen des von ihm beauftragten Sachverständigen zugrunde gelegt habe, statt angesichts der divergierenden Feststellungen und Schlussfolgerungen der verschiedenen Sachverständigen einen Obergutachter zu beauftragen. Damit ist ein Verfahrensfehler nicht aufgezeigt.

6 Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies nach ihrem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1; Beschluss vom 28. Januar 2015 - 2 B 15.14 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 11 Rn. 16 ff.).

7 Hinsichtlich der Art und Anzahl eines (ggf. zusätzlich) einzuholenden Sachverständigengutachtens ist den Tatsachengerichten nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 404 und 412 ZPO Ermessen eröffnet. Die unterlassene Einholung eines zusätzlichen Gutachtens ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn das vorliegende Gutachten seinen Zweck nicht zu erfüllen vermag, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. Liegt dem Gericht bereits eine sachverständige Äußerung zu einem Beweisthema vor, muss es ein weiteres Gutachten nur einholen, wenn die vorhandene Stellungnahme von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters besteht (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 - BVerwGE 150, 1 Rn. 31 m.w.N.). Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 7 C 15.13 - NVwZ 2016, 308 Rn. 47 m.w.N.).

8 Gemessen an diesen Grundsätzen zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass das Berufungsgericht bei der Klärung der Frage der Schwere der kognitiven Einschränkungen der Klägerin und der Frage der Kausalität des Dienstunfalls für diese Einschränkungen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt hat.

9 Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Gutachten des vom Berufungsgericht bestellten Sachverständigen von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, inhaltliche Widersprüche oder fachliche Mängel aufweist oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters bestehen, sondern lässt für die postulierte Notwendigkeit eines Obergutachtens das Vorhandensein unterschiedlicher ärztlicher Einschätzungen genügen. Die Beschwerde zeigt insoweit weder Fehler im gerichtlich bestellten Gutachten noch in der Bewertung des Berufungsgerichts auf, sondern setzt lediglich ihre eigene Einschätzung, dass dem anderen Sachverständigengutachten der Vorzug gebührt, an die Stelle der Bewertung durch das Berufungsgericht. Das genügt für die Annahme eines Verfahrensfehlers nicht (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2016 - 2 B 18.15 - juris Rn. 62).

10 Das Berufungsgericht hat sich vielmehr umfassend und intensiv mit den abweichenden Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen N. und dessen Einwänden gegenüber den Erkenntnissen des vom Berufungsgericht beauftragten Sachverständigen M. auseinandergesetzt und diese für unbeachtlich gehalten. Inhaltliche Einwände hiergegen trägt die Beschwerde nicht vor.

11 Hinzu kommt, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Erstellung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht wolle. Auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat im Berufungsverfahren nicht beantragt, ein weiteres Gutachten einzuholen. Unter diesen Umständen musste sich dem Berufungsgericht, das in der mündlichen Verhandlung beide Sachverständige ausführlich gehört hat, eine weitere Beweisaufnahme durch Einholung eines weiteren Gutachtens nicht aufdrängen.

12 3. Die Kostenentscheidung folgt auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.