Beschluss vom 05.10.2011 -
BVerwG 6 P 20.10ECLI:DE:BVerwG:2011:051011B6P20.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.10.2011 - 6 P 20.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:051011B6P20.10.0]

Beschluss

BVerwG 6 P 20.10

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 14.06.2010 - AZ: OVG 12 LB 7/09

In der Personalvertretungssache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Oktober 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Vormeier, Dr. Bier und Dr. Möller
beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat für Mitbestimmungssachen/Land - vom 14. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Durch Vereinbarung vom 15. Oktober 2007 zwischen der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Nord wurde festgelegt, dass eine Reihe von Auskunfts- und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung Bund, darunter diejenige in Hamburg, zum 1. Januar 2008 auf die Deutsche Rentenversicherung Nord übergehen. Die Vereinbarung traf unter anderem Regelungen zum übergehenden Personal. Mit Vorlage vom 20. November 2007 bat die Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Nord den dortigen Gesamtpersonalrat, den Beteiligten zu 2, dem Übergang der Auskunfts- und Beratungsstellen einschließlich der Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung Bund in den Zuständigkeitsbereich der Deutschen Rentenversicherung Nord zum 1. Januar 2008 zuzustimmen. Unter dem 26. November 2007 erteilte der Beteiligte zu 2 seine Zustimmung.

2 Unter dem 4. Dezember 2007 bat die Beteiligte zu 1 den Antragsteller, den Personalrat für die Dienststelle Hamburg der Deutschen Rentenversicherung Nord, der Umsetzung von Mitarbeitern innerhalb der Auskunfts- und Beratungsstellen Hamburg zuzustimmen. Der Antragsteller versagte unter dem 13. Dezember 2007 seine Zustimmung mit der Begründung, die beabsichtigten Maßnahmen setzten voraus, dass die benannten Mitarbeiter der Deutschen Rentenversicherung Bund in die Dienststelle Hamburg der Deutschen Rentenversicherung Nord aufgenommen seien; dieser Übergang sei mitbestimmungspflichtig und gehöre in seine Zuständigkeit.

3 Das Begehren des Antragstellers auf Feststellung, dass die Aufnahme der Auskunfts- und Beratungsstellen Bürgerweide und Poststraße, ehemals Deutsche Rentenversicherung Bund, einschließlich der dort Beschäftigten in die Dienststelle Hamburg der Deutschen Rentenversicherung Nord seiner Mitbestimmung unterliege, hat das Verwaltungsgericht wegen fehlenden Feststellungsinteresses abgelehnt. Die Beschwerde des Antragstellers hat das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, eine etwaige Mitbestimmungskompetenz falle in die Zuständigkeit des Beteiligten zu 2.

4 Der Antragsteller trägt zur Begründung seiner Rechtsbeschwerde vor: Dass die ehemaligen Auskunfts- und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung Bund einschließlich der dort Beschäftigten zum 1. Januar 2008 rechtswirksam auf die Deutsche Rentenversicherung Nord übergegangen seien, werde nicht bezweifelt. Begehrt werde vielmehr die Feststellung der Mitbestimmungszuständigkeit bei der internen Weiterorganisation der aufgenommenen Auskunfts- und Beratungsstellen Bürgerweide und Poststraße. Allein der Umstand, dass die Aufnahme der Auskunfts- und Beratungsstellen am Dienstort erfolgt sei, ziehe nicht gleichzeitig die organisatorische Zuordnung zum Verwaltungsbereich Hamburg sowie die dortige Aufnahme der betroffenen Beschäftigten nach sich. In dieser Hinsicht habe ein Mitbestimmungsverfahren bislang nicht stattgefunden.

5 Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und nach seinen dort gestellten Anträgen zu erkennen.

6 Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragen,
die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

7 Sie verteidigen im Ergebnis die Beschlüsse der Vorinstanzen.

II

8 Die zulässige Rechtsbeschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht nicht auf der Nichtanwendung oder der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm (§ 88 Abs. 2 MBGSH vom 11. Dezember 1990, GVOBl Schl.-H. S. 577, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 4. Februar 2011, GVOBl Schl.-H. S. 34, i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Die Aufnahme der ehemaligen Auskunfts- und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung Bund in Hamburg, Bürgerweide und Poststraße, sowie der dort Beschäftigten in die Dienststelle Hamburg der Deutschen Rentenversicherung Nord ist keine mitbestimmungspflichtige Maßnahme.

9 A. Gegen die Zulässigkeit des Mitbestimmungsbegehrens bestehen allerdings keine Bedenken. Rechtsschutzbedürfnis und Feststellungsinteresse können nicht verneint werden. Der Antragsteller bezweifelt nicht, dass die beiden Auskunfts- und Beratungsstellen ebenso wie die Dienst- und Arbeitsverhältnisse der dort Beschäftigten zum 1. Januar 2008 auf die Deutsche Rentenversicherung Nord übergegangen sind. Dies hat er bereits im Anhörungstermin des Verwaltungsgerichts und zuletzt in der Rechtsbeschwerdebegründung klargestellt. Er meint jedoch, die Zuordnung der Auskunfts- und Beratungsstellen und ihrer Beschäftigten zur Dienststelle Hamburg bedürften einer Entscheidung der Beteiligten zu 1, die seiner Mitbestimmung unterliege. Sofern diese Rechtsbehauptung zutrifft, kann das etwa erforderliche Mitbestimmungsverfahren noch durchgeführt werden.

10 B. Das Mitbestimmungsbegehren ist jedoch nicht begründet.

11 1. Auf die Deutsche Rentenversicherung Nord ist das Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein anzuwenden (vgl. Beschlüsse vom 17. Juli 2010 - BVerwG 6 PB 6.10 - juris Rn. 4 ff. und vom 30. November 2010 - BVerwG 6 PB 16.10  - juris Rn. 4).

12 2. Rechtsgrundlage für das streitige Mitbestimmungsbegehren sind die gesetzlichen Regelungen zur Allzuständigkeit des Personalrats. Demgemäß besagt § 2 Abs. 1 Nr. 1 MBGSH, dass der Personalrat mitbestimmt bei allen Maßnahmen der Dienststelle für die dort Beschäftigten. Die Konkretisierung findet sich in § 51 Abs. 1 Satz 1 MBGSH. Danach bestimmt der Personalrat mit bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen, die die Beschäftigten der Dienststelle insgesamt, Gruppen von ihnen oder einzelne Beschäftigte betreffen oder sich auf sie auswirken.

13 Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist unter einer Maßnahme im personalvertretungsrechtlichen Sinne jede Handlung oder Entscheidung zu verstehen, die den Rechtsstand der Beschäftigten berührt (vgl. Beschluss vom 5. November 2010 - BVerwG 6 P 18.09 - juris Rn. 11 m.w.N.). Von diesem Verständnis des Maßnahmebegriffs geht ausweislich der Gesetzesmaterialien auch der Landesgesetzgeber im Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein aus (LTDrucks 12/996 S. 107). Demnach liegt eine Maßnahme nur dann vor, wenn die Dienststelle - ausdrücklich oder konkludent - eine Handlung vornimmt. Daran fehlt es, wenn die fragliche Rechtsfolge, auf welche sich das erstrebte Mitbestimmungsrecht beziehen soll, von Rechts wegen eintritt, ohne dass es eines Ausführungsaktes der Dienststelle bedarf (vgl. zum Gesetzesvorrang im Personalvertretungsrecht: Beschluss vom 16. April 2008 - BVerwG 6 P 8.07 - Buchholz 250 § 86 BPersVG Nr. 5 Rn. 19 m.w.N.; vgl. ferner Gerhold, in: Lorenzen/ Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 69 Rn. 21; Altvater, in: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, Bundespersonalvertretungsgesetz, 7. Aufl. 2011, § 69 Rn. 10; Ilbertz/Widmaier, Bundespersonalvertretungsgesetz, 11. Aufl. 2008, § 69 Rn. 7a). So liegt es hier.

14 a) Die Deutsche Rentenversicherung Nord ist am 30. September 2005 durch Vereinigung der Landesversicherungsanstalten Freie und Hansestadt Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein entstanden. Grundlage dafür waren die Vereinigungsbeschlüsse der Vertreterversammlungen der drei Landesversicherungsanstalten sowie deren Genehmigung durch die für Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörden der drei Bundesländer (§ 141 Abs. 1 und 2 SGB VI; vgl. den Genehmigungsbescheid des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein vom 18. Mai 2005). Nach Art. 1 § 2 des Fusionsvertrages hat die Deutsche Rentenversicherung Nord ihren Sitz in Lübeck. Art. 1 § 4 Abs. 1 bestimmt jedoch, dass die Standorte der bisherigen Hauptverwaltungen der drei Landesversicherungsanstalten in der Deutschen Rentenversicherung Nord als Sitz wesentlicher Organisationseinheiten erhalten bleiben. Es handelt sich dabei neben Lübeck um die Standorte Hamburg und Neubrandenburg; an diesen drei Standorten befinden sich die Leitungen der fünf Abteilungen der Deutschen Rentenversicherung Nord (Art. 1 § 4 Abs. 3 und 4 des Fusionsvertrages). Die Arbeitsmengen werden so verteilt, dass die prozentuale Verteilung der Arbeitsplätze auf die Standorte der drei beteiligten Länder wesentlich der Relation der Stellen der drei Landesversicherungsanstalten vor der Vereinigung entspricht; die durch die Organisationsreform entstehenden Arbeitsmengenveränderungen werden gleichmäßig auf die Standorte verteilt (Art. 1 § 4 Abs. 2 des Fusionsvertrages). Die Arbeitsmengenregelung ist Gegenstand des zitierten Genehmigungsbescheides, und zwar in Gestalt einer konkretisierenden und präzisierenden Auflage.

15 Den vorbezeichneten Regelungen ist zu entnehmen, dass die Selbstverwaltung der Sozialversicherung mit Zustimmung der Aufsichtsbehörden für die Deutsche Rentenversicherung Nord eine Organisationsstruktur geschaffen hat, die aus den drei Standorten Lübeck, Hamburg und Neubrandenburg besteht. Diese sind als Sitz der Geschäftsführung sowie einer Abteilungsleitung (Lübeck) bzw. von zwei Abteilungsleitungen (Hamburg und Neubrandenburg) Zentren der Deutschen Rentenversicherung Nord im jeweiligen Bundesland. Ihnen sind alle Organisationseinheiten auf dem Territorium des jeweiligen Bundeslandes zugeordnet. Gleiches gilt für die Arbeitsplätze und die Beschäftigten auf diesen Arbeitsplätzen. Demnach sind alle Organisationseinheiten mit ihren Beschäftigten in Schleswig-Holstein dem Standort Lübeck, diejenigen in Mecklenburg-Vorpommern dem Standort Neubrandenburg und diejenigen in Hamburg dem Standort Hamburg zugeordnet.

16 Die Satzung der Deutschen Rentenversicherung Nord, die von den Vertreterversammlungen beschlossen und aufsichtsbehördlich genehmigt wurde (§ 141 Abs. 3 SGB VI), bestätigt dieses Verständnis. Demgemäß bestimmt § 1 Abs. 2 der Satzung, dass die Deutsche Rentenversicherung Nord ihren Sitz in Lübeck und Standorte in Hamburg und Neubrandenburg hat.

17 Dieses organisationsrechtliche Verständnis setzt die personalvertretungsrechtliche Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ausführung organisationsrechtlicher Bestimmungen des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (RVOrgG-AusfG) vom 28. September 2005, GVOBl Schl.-H. S. 342, voraus und knüpft daran an, indem sie die Einrichtungen der Deutschen Rentenversicherung Nord in Lübeck, Hamburg und Neubrandenburg zu Dienststellen im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 MBGSH erklärt. Denn damit ist zugleich ausgesagt, dass es innerhalb der Körperschaft Deutsche Rentenversicherung Nord - von den Rehabilitationskliniken abgesehen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 MBGSH) - nur diese drei Dienststellen gibt. Daraus folgt wiederum, dass das im jeweiligen Bundesland tätige Personal der jeweils korrespondierenden Dienststelle zugeordnet ist. In dieser Hinsicht zeigt sich eine Kontinuität zum Rechtszustand vor der Fusion (vgl. LTDrucks 16/202 S. 7 zu § 2); darauf hat die Beteiligte zu 1 im Schriftsatz vom 28. Februar 2011 zutreffend hingewiesen.

18 b) Das vorbezeichnete Organisationsprinzip beansprucht nicht nur Geltung für den Vereinigungszeitpunkt am 30. September 2005. Es gilt wegen der offenen, zukunftsgerichteten Formulierung der genannten Regelungen auch für die Zeit danach. Wird z.B. eine neue Organisationseinheit der Deutschen Rentenversicherung Nord an irgendeinem Ort in Schleswig-Holstein geschaffen, so ist diese mitsamt ihrer Beschäftigten dem Standort Lübeck zuzuordnen. Diese Beschäftigten sind wahlberechtigt zum örtlichen Personalrat der Dienststelle Lübeck.

19 c) Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall, in welchem Auskunfts- und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung Bund mitsamt ihrem Personal auf die Deutsche Rentenversicherung Nord übergegangen sind. Hierbei handelt es sich aus der Sicht der aufnehmenden Körperschaft, der Deutschen Rentenversicherung Nord, nur um den Sonderfall der Schaffung einer neuen Organisationseinheit.

20 Nach Nummer 1 der Vereinbarung vom 15. Oktober 2007 sind die dort näher bezeichneten Auskunfts- und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung Bund, darunter diejenige in Hamburg, zum 1. Januar 2008 auf die Deutsche Rentenversicherung Nord übergegangen. Zum gleichen Zeitpunkt sind die dort beschäftigten Beamten in den Dienst der Deutschen Rentenversicherung Nord eingetreten (Nr. 2.1.1 sowie Anlage 2 der Vereinbarung vom 15. Oktober 2007 i.V.m. § 3 Abs. 1 und 4 des Gesetzes zu Übergangsregelungen zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung - RVOrgRefÜG - vom 9. Dezember 2004, BGBl I S. 3242, 3292, und §§ 128, 129 BRRG). Ebenfalls am 1. Januar 2008 sind die dort beschäftigten Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Rentenversicherung Nord übergetreten (Nr. 2.2.1 sowie Anlage 4 der Vereinbarung vom 15. Oktober 2007 i.V.m. § 3 Abs. 2 und 4 RVOrgRefÜG). Der Antragsteller bezweifelt die Rechtswirksamkeit dieser Vorgänge nicht. Daraus folgt aber in Anwendung des oben genannten Organisationsprinzips zugleich, dass die Auskunfts- und Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund in Hamburg sowie die dort Beschäftigten seit 1. Januar 2008 der Dienststelle Hamburg der Deutschen Rentenversicherung Nord zugeordnet sind. Entsprechendes gilt für Beamte und Arbeitnehmer, die am 1. Januar 2008 beurlaubt waren, hinsichtlich des Zeitpunktes des Wiedereintritts am Standort Hamburg (Nr. 2.1.2 und 2.2 .2 sowie Anlagen 3 und 5 der Vereinbarung vom 15. Oktober 2007). Einer unter Umständen mitbestimmungspflichtigen Entscheidung der Beteiligten zu 1 bedarf es insoweit nicht.