Beschluss vom 05.08.2005 -
BVerwG 1 B 181.04ECLI:DE:BVerwG:2005:050805B1B181.04.0

Beschluss

BVerwG 1 B 181.04

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 16.09.2004 - AZ: OVG 1 LB 20/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. August 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ... ..., ..., beigeordnet.
  2. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. September 2004 wird aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO).

2 Die Beschwerde hat mit einer der von ihr erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Die Beschwerde rügt insoweit zu Recht, dass das Berufungsgericht den in der Berufungsverhandlung gestellten Beweisantrag u.a. dazu, dass eine Ladung und ein in Fotokopie vorgelegtes Strafurteil eines Militärgerichts in Syrien, durch das der Kläger zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt worden sei, echt seien (auf einem echten Original beruhen), mit einer Begründung zurückgewiesen hat, die im Prozessrecht keine Stütze findet und deshalb das rechtliche Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) und die richterliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt. Wegen dieses Verfahrensmangels verweist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung an das Berufungsgericht zurück.

3 Das Berufungsgericht hat die Überprüfung der Echtheit der vorgelegten Fotokopien der Ladung zum 24. September 1997 und des Urteils ersichtlich als für die Klärung der geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung von Asyl nach Art. 16 a GG, § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) sowie von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) erheblich angesehen (vgl. UA S. 5), ohne dazu nähere Ausführungen zu machen. Es hat den Beweisantrag hierzu - wie die weiteren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge - in erster Linie mit der Begründung abgelehnt, es brauche ihnen nicht nachzugehen, weil die widersprüchlichen Angaben des Klägers, die sich in der mündlichen Verhandlung nicht hätten auflösen lassen, nur den Schluss darauf zugelassen hätten, dass der von ihm behauptete Sachverhalt unwahr sei (UA S. 9). Diese Begründung trägt die Ablehnung nicht.

4 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich das Oberverwaltungsgericht bezieht, ist zwar anerkannt, dass die Tatsachengerichte auch substantiierten Beweisanträgen zum Verfolgungsgeschehen nicht nachgehen müssen, wenn die Schilderungen des Asylbewerbers zu seinem Verfolgungsschicksal in wesentlichen Punkten unzutreffend oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich sind (vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 24. November 2003 - BVerwG 1 B 100.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 277 m.w.N.). Mit dieser Begründung kann ein substantiierter Beweisantrag jedoch nur dann abgelehnt werden, wenn im Einzelfall unschlüssige, gänzlich unglaubhafte oder unsubstantiierte Angaben zum Verfolgungsschicksal gemacht werden, die nach ihrem tatsächlichen Inhalt keinen Anlass geben, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsfurcht näher nachzugehen. Bezieht sich ein substantiierter Beweisantrag zur Stützung des eigenen Vortrags hingegen etwa auf einen unmittelbar an dem behaupteten Geschehen beteiligten Zeugen, so darf das Tatsachengericht diesen Beweisantrag nicht schon deshalb ablehnen, weil es den Tatsachenvortrag, zu dem der Zeuge gehört werden soll, für unglaubhaft hält (Beschluss vom 24. November 2003, a.a.O.). In solchen Fällen muss der Tatsachenrichter dem Asylbewerber vielmehr auf einen substantiierten Beweisantrag hin die Möglichkeit einräumen, ihn doch noch von der Wahrheit seines Verfolgungsvortrags zu überzeugen. So verhält es sich auch im vorliegenden Fall jedenfalls hinsichtlich des Beweisantrags auf Überprüfung der Echtheit der Ladung zum 24. September 1997 und des Strafurteils. Würden sich diese Schriftstücke nämlich als echt erweisen, stünde fest, dass dem Kläger die von ihm vor allem geltend gemachte Gefahr der Strafverfolgung in Syrien (mit der bisher nicht untersuchten Möglichkeit einer politischen Gerichtetheit der Strafe und etwaiger Misshandlungen in der Haft) tatsächlich droht. Diese gleichsam letzte Möglichkeit, das Gericht doch noch von der Wahrheit des Verfolgungsvortrags im Wege des Urkundenbeweises zu überzeugen, darf dem Kläger nicht schon deshalb versagt werden, weil das Oberverwaltungsgericht seinen Vortrag für unwahr hält. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - der Verfolgungsvortrag nicht in unauflösbarer Weise unschlüssig oder widersprüchlich ist, sondern trotz der festgestellten Ungereimtheiten noch möglich erscheint (hier: Verurteilung nach § 364 des syrischen StGB, falls der Kläger damals doch wie behauptet beim Militär beschäftigt gewesen wäre).

5 Auch die für die Ablehnung des Beweisantrags gegebene weitere (Hilfs-)Begründung ist prozessrechtlich nicht haltbar. Insoweit hat das Berufungsgericht ausgeführt (UA S. 11), die beantragte Beweisaufnahme sei ferner "nicht erfolgversprechend, weil das Auswärtige Amt in neuerer Zeit bereits mehrfach ausgeführt" habe, "dass Kopien auf ihre Echtheit nicht überprüfbar" seien. Dies erscheine dem Senat angesichts der nicht vorhandenen Sicherheit des Urkundenverkehrs in Syrien und der weiteren Auskünfte des Auswärtigen Amts sowie des Deutschen Orient-Instituts, dass innerhalb der syrischen Behörde nicht recherchiert werden könne, einleuchtend. Die Beweisaufnahme sei im Übrigen auch deshalb entbehrlich gewesen, weil der Senat bereits aus eigener Sachkunde erkennen könne, dass die Ladung und das Urteil gefälscht seien. Das Urteil erfülle wichtige Formerfordernisse nicht. Gegen den ersten Teil dieser Begründung wendet die Beschwerde im Ergebnis zutreffend ein, dass aus den angeführten Auskünften so weitgehende Schlussfolgerungen nicht gezogen werden können. Angesichts dessen, dass das Berufungsgericht selbst davon ausgeht, dass der Kläger oder seine Angehörigen von dem Strafurteil eine beglaubigte Abschrift mit Gebührenmarken hätten "erhalten müssen" (UA S. 11) und bei Berücksichtigung des zutreffenden Hinweises der Beschwerde auf die im Verfahren des Klägers vor dem Bundesamt eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amts vom 15. Mai 1998 (GA S. 112 unter Nr. 4: "Es ist denkbar, dass eine Kopie vom Original eines syrischen Gerichtsurteils in die Hände eines Angehörigen eines verurteilten syrischen Staatsangehörigen gelangt."), durfte das Berufungsgericht der eingereichten und mit Gebührenmarken versehenen Kopie des Strafurteils nicht von vornherein jeglichen Beweiswert absprechen. Entsprechendes gilt für die Ladung zum 24. September 1997. Die vom Berufungsgericht angeführten Auskünfte können auch nicht dahin verstanden werden, dass jegliche Beurteilungen und Aussagen hinsichtlich der Echtheit von Ladungen und Strafurteilen von vornherein ausgeschlossen sind. Das ergibt sich bereits aus der vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang selbst zitierten Auskunft des Auswärtigen Amts vom 27. Februar 2002 an das VG Stade, wo es zwar einerseits unter Nr. 2 heißt, es könne nicht überprüft werden, ob gegen den Kläger ein Urteil ergangen sei, andererseits aber unter Nr. 8 ausgeführt wird, bei dem Ausgangsprodukt für die vorgelegte Kopie scheine es sich um ein offizielles Dokument gehandelt zu haben (wird erläutert), im Ergebnis könne jedoch nicht mit abschließender Sicherheit festgestellt werden, ob es sich um ein echtes Dokument handele (vgl. auch die bei den Gerichtsakten befindliche Auskunft des Auswärtigen Amts vom 30. Juli 1999 an das VG Karlsruhe, GA S. 106, mit der Aussage, ein in Kopie vorgelegtes Strafgerichtsurteil dürfte als echt anzusehen sein). Auch nach Einholung von sachverständigen Äußerungen bleibt es im Übrigen dabei, dass das Tatsachengericht über den Beweiswert sowohl hinsichtlich der Echtheit als ausländischer Urkunde (vgl. § 438 ZPO) als auch hinsichtlich deren Inhalt nach seiner freien tatrichterlichen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) zu befinden hat. Allein wegen der Schwierigkeit der Beurteilung der Echtheit von in Kopie vorgelegten Urkunden und deren voraussichtlich nicht abschließend zu ermittelnder Echtheit kann die Einholung von amtlichen Auskünften und Sachverständigengutachten indessen nicht abgelehnt werden.

6 Etwas anderes würde allerdings dann gelten, wenn - wie das Oberverwaltungsgericht weiter ausgeführt hat - das Tatsachengericht bereits aus eigener Sachkunde über die fehlende Echtheit ohne die beantragte weitere Beweiserhebung entscheiden bzw. aus eigener Sachkunde erkennen kann, dass die Kopie gefälscht ist oder auf einer Fälschung beruht. Entgegen der Auffassung der Beschwerde reicht es zur Begründung und Darlegung für die eigene Sachkunde des Gerichts grundsätzlich aus, wenn es sich hierbei auf eine gesicherte Auskunftslage stützen kann (vgl. etwa Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46). Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht dies hier, wie die Beschwerde im Ergebnis zu Recht einwendet, zu Unrecht angenommen. Seine Auffassung, das vorgelegte Strafurteil erfülle nicht das nach der angeführten Auskunftslage wichtige Formerfordernis der Angabe der Besetzung des Gerichts, trifft nicht zu. In dem vorgelegten Urteil ist nämlich im Gegenteil ausdrücklich angegeben, dass es von einem namentlich benannten Militär-Einzelrichter gefällt worden sei. Auch hat das Berufungsgericht nicht ausgeführt und belegt, dass allein die beiden übrigen nicht erfüllten Formerfordernisse (fehlendes Staatswappen im Briefkopf; fehlende Zeile Verteidigungsministerium) ausreichen, um sicher von einer Fälschung ausgehen zu können. Entsprechendes gilt für die ohnehin wohl nur unterstützend angeführte angebliche Unüblichkeit der vollständigen handschriftlichen Abfassung des Urteils (vgl. anders aber nochmals die bereits zitierte, bei den Akten befindliche Auskunft des Auswärtigen Amts vom 30. Juli 1999 an das VG Karlsruhe, GA S. 106). Auch für die Ladung zum 24. September 1997 reichen die angeführten Erwägungen (UA S. 9/10) nicht aus, um bereits vorab sicher aus eigener, durch die Auskunftslage bestätigter Sachkunde auf eine Fälschung schließen zu können.

7 Das Berufungsgericht wird in dem erneuten Berufungsverfahren die unterlassene Beweisaufnahme zur Einholung von Auskünften und/oder Sachverständigengutachten zur Frage der Echtheit des in Fotokopie vorgelegten Strafurteils und der Ladung zum 24. September 1997 nachzuholen haben. Zugleich wird es erwägen müssen, ob sich nicht weitere ergänzende Ermittlungen dazu aufdrängen und möglich sind, ob die Urteilskopie tatsächlich über den vom Kläger - bisher nur phonetisch - mit Namen benannten Rechtsanwalt in seine Hände gelangt ist.

8 Obwohl danach nicht mehr über die weiteren Gehörsrügen zu entscheiden ist, weist der Senat darauf hin, dass diese voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätten. Die Einwendungen gegen die Ablehnung der als Beweisantrag 1 und Beweisantrag 6 bezeichneten Beweisbegehren (Beschwerdebegründung S. 2 ff. und S. 21 f.) erschöpfen sich in Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts dazu, dass der Verfolgungsvortrag teilweise in sich widersprüchlich und ungereimt ist. Damit lässt sich der behauptete Verfahrensmangel ebenso wenig begründen wie mit den Einwänden gegen die Würdigung der weiter vorgelegten Ladungskopien als gefälscht. Soweit sich die Beschwerde dagegen wendet, dass das Berufungsgericht die Aussage der Ehefrau des Klägers als Zeugin falsch gewürdigt habe, verkennt sie, dass sie insoweit lediglich eine hilfsweise, nicht tragende (Beweiswürdigungs-)Begründung angreift (vgl. UA S. 6), auf der die Entscheidung nicht beruhen kann. Entsprechendes gilt für die bereits erwähnte, aber ebenfalls nicht tragende Erwägung des Berufungsgerichts dazu, dass der Kläger oder seine Angehörigen von dem Strafurteil eine beglaubigte Abschrift hätten erhalten "müssen"; insoweit kommt es deshalb nicht darauf an, ob die als Beleg hierfür angeführte Auskunft vom 22. November 1996 - wie von der Beschwerde geltend gemacht - nicht in das Verfahren eingeführt worden ist. Inwiefern diese Auskunft in anderem Zusammenhang eine entscheidungserhebliche Rolle spielen soll (Beschwerdebegründung S. 21), ist nicht nachvollziehbar dargelegt.